(ots) - Leipzig. Der Wittenberger Theologe Friedrich
Schorlemmer ist zufrieden, dass der Kirchentag wieder so politisch
ist wie in den 80er Jahren. "Der Kirchentag ist wieder politischer
geworden und das ist gut so", sagte Schorlemmer der "Leipziger
Volkszeitung" (Dienstag-Ausgabe). Das Christentreffen knüpfe wieder
an die großen Gesellschaftsthemen der 80er Jahre, wie Frieden,
Umweltschutz oder Atomausstieg an. "Es brauchte die furchtbare
Katastrophe von Fukushima, damit wir wieder aufgewacht sind", so
Schorlemmer.
Zugleich forderte der frühere DDR-Bürgerrechtler die Christen auf,
wieder mutiger gegen Ungerechtigkeiten und Missstände in der Welt
anzukämpfen. Auch dafür sei der Kirchentag als Podium und
evangelische Selbstvergewisserung wichtig. "Christen müssen gegen
schreiende Ungerechtigkeit in der Welt anschreien, es reicht nicht,
sich mit der Sammelbüchse vor Weihnachten auf die Straße zu stellen."
Allerdings müsse aus der Empörung auch Ermutigung erwachsen, die
Ursachen anzugehen. "Aus Wut soll Mut werden", so Schorlemmer. Dabei
sei es nicht Aufgabe der Kirche, Politik mit anderen Mitteln zu
betreiben. "Kirche ist nur Kirche, wo sie für andere da ist, sie
betreibt nicht Parteipolitik mit anderen Mitteln, aber sie fragt
stets nach dem Gemein-Wohl in Freiheit." Deshalb dürfen Kirche nie
vergessen, die einzelne Seele zu trösten, zu ermuntern und
aufzurichten. "Christen wollen diese schöne, bedrohte Welt
mitgestalten. Wenn sie sich aber nicht mehr um Politik kümmern,
verabschieden sie sich schon vor ihrem Ableben ins Jenseits."
Schorlemmer warnte davor, unbequemen Debatten auf dem Kirchentag
auszuweichen. "Wir gießen manchmal zu oft süße Soße über die
Probleme." So müsse beispielsweise in der Migrationsfrage klar sein:
"Wer hier leben will, der muss die hier gültigen kulturellen
Rahmenbedingungen anerkennen." So sei etwa die Gleichberechtigung von
Frauen unverzichtbarer Bestandteil unserer Kultur. "So wichtig es
ist, die Stimme gegen Stimmungsmacher zu erheben: Ein Staat kann sich
auch Rechtspopulisten züchten, wo die eigene Kultur überfordert
wird", so Schorlemmer.
Der auch auf dem Dresdner Kirchentag wieder viel gefragte Theologe
hält es für falsch, wenn der Kirchentag mit dem Papst-Besuch im
September um die besten Fernsehbilder konkurrieren wollte. "Soll doch
der Papst wieder eine Show zelebrieren. Warum sollten wir um die
besten Fernsehbilder wetteifern? Nein, unser Glauben mag getrost
schnörkellos bleiben." So siege zwar oft das Spektakel, um in den
Medien gehört zu werden. "Wenn sich einer bei der Bibelarbeit in
Dresden nackig machte oder eine Sarrazinade losließe, gäbe es
deutschlandweit Schlagzeilen", merkte Schorlemmer launig an. Doch ein
Kirchentag, der nur Event sein wollte, der wäre nicht vom Evangelium
geleitet.
Zur Ökumene sagte Schorlemmer, sie könne nur in versöhnter
Verschiedenheit gelingen. Das verlange aber nach Ehrlichkeit auf
beiden Seiten. "Es darf sich nicht Ökumene nennen, was nicht Ökumene
ist. So lange Rom in seiner Selbstherrlichkeit mündigen Christen
vorschreibt, ob sie eine Einladung zum heiligen Abendmahl einer
anderen Kirche annehmen dürfen oder nicht, so lange werden Dispute
des 16. Jahrhunderts weitergeführt. Das will ich nicht." Ökumene
könne gelingen, wo Vernunft und Glaube, Handeln und Meditieren,
Einheit und Wahrheit in der Balance bleiben. "So hübsch rote
Schuhchen sein mögen - warum klettert der Papst nicht auf den
Wartburg-Hügel?" ,fragte Schorlemmer in Anspielung auf den
Deutschland-Besuch Benedikts im September. "Immer geht es um
Bibel-Übersetzung in die Zeit! Und dafür steht der Christ Luther mit
einem genialen Wurf." Aber auch in der Ökumene seien immer Wunder
möglich. "Denn wer keine Wunder mehr für möglich hält, ist kein
Christ", so Schorlemmer.
Pressekontakt:
Leipziger Volkszeitung
Redaktion
Telefon: 0341/218 11558