(ots) - Nachrichten kann man so lesen. Oder so: Der frühere
Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat sowohl dem zwielichtigen
russischen Präsidenten Putin als auch dem zwielichtigen
Ex-Öl-Oligarchen Chodorkowski zu einem Sieg verholfen. Diese
Freilassungsaktion - alles nur PR, sagen denn auch die zornigen
Pussy-Riot-Frauen. Putin ist der große Sieger. Der Patriarch, der
unbarmherzig straft und barmherzig Gnade walten lässt, der macht, was
er will. Ein lupenreiner Autokrat. Dieser russische Bär ist größer
denn je. Chodorkowski ist frei, aber für einen, der Putin stürzen
wollte, ist das ein eher kleiner Sieg. Chodorkowskis Stärke war seine
Unbeugsamkeit. Kein Gnadengesuch, kein Schuldeingeständnis, darin
gründete sein Respekt bei Teilen der Oppositionsbewegung. Davon ist
nichts mehr übrig. Es hat einen Kompromiss zwischen dem
Polit-Oligarchen Putin und dem Wirtschafts-Oligarchen Chodorkowski
gegeben. Chodorkowski stellte ein Gnadengesuch, was er nie wollte,
Putin verzichtete auf ein ausdrückliches Schuldeingeständnis, das er
stets verlangt hatte. Kompromisse mit der ungerechten Macht machen
aus Justizopfern noch keine Helden. Schlag nach bei Mandela. Offensiv
will der Mann, der im Fernsehen so gut erholt wie sympathisch
rüberkam, der Opposition nicht helfen. Sich stattdessen für russische
Strafgefangene einsetzen - aber wie, wenn nicht als Teil der
russischen Opposition? Wer Gnade erweist, offenbart seine Macht.
Putin hat sie, wegen des öffentlichen Interesses, gleich der ganzen
Welt gegenüber demonstriert. Was für eine Gelegenheit, aus einer
Niederlage - in Haft war Chodorkowski für Putin eine Gefahr, in
Freiheit nicht - einen Sieg zu machen. Und in der russischen
Öffentlichkeit bleibt von dem Putin-Opfer vor allem die Erinnerung an
den Oligarchen. Chodorkowski ist kein Sacharow, kein Kopelew, kein
Solschenizyn. Wenn nun aber Putin der Sieger ist und Chodorkowski
sich selbst als demokratiebewegten Oppositionellen vom Spielfeld
zieht - was hat dann Genscher am Ende erreicht? Und wie erklärt die
Bundesregierung den Unterschied, den sie zwischen Chodorkowski und
Snowden macht?
Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 - 804 6519
zentralredaktion(at)waz.de