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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Freizügigkeit als Chance/Wirtschaftsforscher Professor Klaus Zimmermann verteidigt Öffnung des Arbeitsmarktes als wichtig für den Erhalt des Wohlstands in Europa.

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(ots) - Was bringt die neue Freizügigkeit der
Arbeitnehmer in der EU für deutsche Unternehmen? Professor Dr. Klaus
F. Zimmermann: Mit Bulgarien und Rumänien ist die Reihe der
Freizügigkeitsregelungen in der EU abgeschlossen, und es hat schon
eine Reihe von Anpassungsreaktionen gegeben, sodass es keine großen
Veränderungen mehr geben wird. Ich rechne nicht mit größeren
Zuströmen auf dem Arbeitsmarkt. Umgekehrt ist es jetzt in Deutschland
für Unternehmen einfacher, Arbeitskräfte aus Rumänien und Bulgarien
direkt zu rekrutieren. Auch ist ein Großteil der qualifizierten,
arbeitswilligen "Wanderer" schon unterwegs und kann nun leichter für
Deutschland gewonnen werden.

Bedroht das Grundrecht auf Freizügigkeit das deutsche
Sozialsystem? Zimmermann: Das sehe ich nicht so. Sicher gibt es das
eine oder andere Schlupfloch, das wir aber aus eigenem Verschulden
nicht richtig verschlossen haben -- insbesondere im Kontext der
Selbstständigkeit. Generell sind "Sozialschmarotzer" aus diesen
Ländern ein Problem von wenigen Kommunen oder Großstädten. Die hohe
Armutszuwanderung dort macht nur ein Bruchteil der Zuwanderung
insgesamt aus.

Ist ein Wirtschaftsraum ohne Mobilitätsschranken der richtige Weg
in die Zukunft für die EU-Wirtschaftszone? Zimmermann: Wenn man in
einem Großraum keine Menschenwanderung möchte, dann muss man die
Grenzen insgesamt schließen. Wir haben für unseren Wohlstand vor
langer Zeit darauf gesetzt, dass eine europäische Integration
gelingt. Das bezieht sich nicht nur auf die Verbindung der Kapital-
und Gütermärkte, sondern auch auf die der Arbeitsmärkte und
schließlich die Integration der Menschen in dem gesamten Großraum.
Und Arbeitsmobilität ist einer der wichtigsten Faktoren, durch den
wir unseren Wohlstand steigern können. Denn es liegt ein großes
Potenzial darin, dass die Menschen dorthin gebracht werden, wo sie am




meisten für die Wirtschaft bringen. Und das wird letztendlich dazu
beitragen, dass sich Europa insgesamt weiterentwickelt.

Wie steht es um Ausbildungsstandards, entsprechen osteuropäische
Zertifikate hiesigen Anforderungen? Zimmermann: Nicht überall. Die
Zuwanderer, die jetzt zu uns kommen, sind aber im Schnitt besser
qualifiziert als andere Zuwanderer und teils sogar besser als
deutsche Arbeitskräfte. So haben sehr viele einen Hochschulabschluss,
sind etwa Ärzte. Einige davon haben sogar einen Teil ihrer Ausbildung
oder erste Berufserfahrungen in Westeuropa gemacht. Unterm Strich
halte ich den Anpassungsbedarf nicht für größer als bei Bewerbern
aus, zum Beispiel, Spanien.

Also ist das viel gelobte deutsche Ausbildungsniveau gar nicht so
hoch? Zimmermann: Sicherlich war das Anerkennungsverfahren von
ausländischen Abschlüssen in der Vergangenheit zu strikt. Das ist ja
kürzlich erst gesetzlich erleichtert worden. Dennoch gibt es ein
Mismatch, viele Zuwanderer arbeiten hier zunächst unter ihrem
Ausbildungsniveau. Doch das reguliert sich von selbst, wenn die
Menschen länger hier bleiben. Das ist ein normaler Prozess der
Integration.

Wie kann man der Mismatch-Falle entkommen? Ist hier die Politik
gefordert? Zimmermann: Nein, überhaupt nicht. Ich will ein Beispiel
nennen: In Tunesien gibt es viele Ingenieure, aber die meisten haben
nur ihr Diplom, kaum Berufserfahrung, sind daher nur begrenzt
einsatzfähig. Diese Leute werden dann entweder schlechter bezahlt
oder geschult oder nicht eingestellt. Insofern sehe ich keine
Notwendigkeit für gesetzliche Vorgaben. Nichtsdestotrotz sind
Maßnahmen wie Deutschkurse für junge Spanier, die die Bundesagentur
für Arbeit derzeit unterstützt, zu begrüßen. Denn letztendlich geht
es um die Schaffung eines europäischen Arbeitsmarktes.

In Großbritannien, einst Vorreiter in Sachen Arbeitsmi-gration,
werden Maßnahmen diskutiert, den Zuzug einzuschränken. Befürworten
Sie dieses Vorgehen? Was kann Deutschland daraus lernen? Zimmermann:
Das ist eine eher politisch motivierte Diskussion vor dem
Hintergrund, dass die Briten generell etwas gegen Europa haben. Die
jetzige Regierung um Cameron spielt auf dem "Stimmungsklavier".
Richtig ist zwar, dass Großbritannien mehr Zuwanderer bekommen hat,
als je erwartet wurde, aber dennoch sind keine wesentlichen Nachteile
zu entdecken. Ähnliche Diskussionen gibt es auch in Spanien,
Frankreich oder Dänemark, aber überall geht es meist nur um Emotionen
wie Angst vor Fremden und nicht um wirkliche Schieflagen. Daher ist
es wichtig, gegen diese Stimmungen Informationen und Aufklärung zu
setzen und die Freizügigkeit als Chance für alle zu sehen.

Die demographische Pyramide kippt - weniger "Nachwuchs", mehr
ältere Bürger; was bedeutet das für den Arbeitsmarkt hierzulande?
Zimmermann: Wir befinden uns in einem riesigen Umwandlungsprozess.
Der Rückgang der Bevölkerung und die Zunahme des Anteils der älteren
Bürger bedeuten auch, dass weniger nachgefragt wird. Das heißt der
Mangel an Arbeitskräften ist nicht das zentrale Thema, sondern
vielmehr die Tatsache, dass die Nachfrage sich verändert: Ältere
wollen andere Güter und Dienstleistungen als Jüngere. Damit ändern
sich also auch die Berufsfelder. Hier stellt sich die Frage, wie
schnell wir uns an diese Veränderungen anpassen können. Und da spielt
auch wieder die Zuwanderung eine Rolle - nämlich insofern, als dass
wir uns in anderen Ländern Arbeitskräfte holen, deren Berufsprofile
wir brauchen; ich denke da konkret an den Pflegebereich.

Laut der aktuellen Trendstudie von Peter Wippermann ist der Faktor
Gesundheit auf Platz 1 der Werteskala gerückt - vielleicht ist das
auch der Rente mit 67 geschuldet. Ist das nicht auch ein Signal an
Arbeitgeber, mehr auf ältere Mitarbeiter zu setzen? Zimmermann: Das
ist richtig. Letztendlich ist diese Werteverschiebung auch dem
zunehmendem Bildungsniveau zu verdanken. Dafür spricht auch, dass es
vor 10 oder 20 Jahren bei den Firmen gang und gäbe war, keine Leute
über 50 einzustellen. Doch die Erwerbsbeteiligung der 50- und
60-Plus-Generation ist zuletzt erheblich angestiegen. Hier findet
bereits heute weitgehend unbemerkt die größte Veränderung auf dem
Arbeitsmarkt statt. Und diese Tendenz wird sich fortsetzen, weil die
Menschen auch länger fit sind.

Haben das denn auch die Arbeitgeber erkannt? Zimmermann: Nicht
hinreichend. Die wenigsten haben durchgerechnet, was in fünf bis zehn
Jahren auf sie zukommt.

Fachkräftemangel auf der einen Seite, Stellenabbau aus
Einspargründen auf der anderen Seite. Wie passt das zusammen. Man
könnte doch diese Leute anwerben und umschulen, um das
Fachkräfte-Loch zu stopfen, oder? Zimmermann: Der Fachkräftemangel
ist eher ein Zukunftsproblem, der Stellenabbau ein normaler
Anpassungsprozess der Wirtschaft. In der Zukunft müssen die Firmen
frühzeitig auf Umschulung setzen, um die richtigen Fachkräfte zu
bekommen. Derzeit liegt ein größeres Potenzial bei den
Langzeitarbeitslosen. Denn der Dauerarbeitssuchende wird nicht
wirklich in Arbeit vermittelt, sondern lediglich versorgt. Er muss
besser betreut werden, um wieder in den Arbeitsmarkt eintreten zu
können.

Was halten Sie von der stufenweisen Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns in allen Branchen? Zimmermann: Die Maßnahme Mindestlohn
hat eine gute Absicht, doch die Hoffnung trügt, damit Armut zu
bekämpfen. Denn die meisten, die bisher für weniger als 8,50 Euro
arbeiten, leben gar nicht in armen Haushalten. Denn es handelt sich
meist um geringfügig Beschäftigte, Studenten, Schüler und Hausfrauen.
Nur etwa zehn Prozent haben einen Vollzeitjob. Das heißt im Klartext:
Das Ziel des Mindestlohns ist verfehlt. Und die Kosten, die für die
Unternehmen entstehen, werden teilweise anderswo wieder reingeholt.
Sei es durch direkte oder indirekte Preiserhöhungen oder Stellen-
oder Stundenkürzungen. Die Konsequenzen verschmieren sich auf dem
gesamten Arbeitsmarkt. Wenn die Arbeitskosten steigen, dann wird die
unternehmerische Nachfrage nach Arbeit zurückgehen. Das ist
unvermeidbar, wie viele Studien gezeigt haben. Wenn man nun sagt, das
wollen wir uns leisten, dann ist es okay; ökonomisch jedoch ist es
unvernünftig, es kostet etwas. Um die "Armen" zu erreichen, müsste
etwas Anderes gemacht werden. In der Politik geht es häufig gar nicht
um die Sache an sich, sondern darum, eine Stimmung politisch zu
nutzen, um regieren zu können.

Hohe Bildung gleich Arbeitsplatzgarantie - gilt diese Formel in
Zukunft noch oder werden die Akademiker von den Fachkräften überholt?
Zimmermann: Das gilt im Großen und Ganzen auch weiterhin. Denn
Bildung liefert mehr Flexibilität und mehr Fähigkeiten zur Anpassung.
Und das ist der entscheidende Punkt. Doch auch Fachausbildungen
dürfen nicht unterschätzt werden. Auf jeden Fall sollten gute Noten
die Abschlüsse krönen.

Das Interview führte

Dietlinde Terjung



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de


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Datum: 09.01.2014 - 20:49 Uhr
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