(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die Welle
der Gewalt gegen Journalisten bei den jüngsten Protesten in der
Ukraine. Seit dem vergangenen Sonntag sind bei den Zusammenstößen
zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in Kiew mindestens 37
Journalisten und Medienmitarbeiter verletzt worden. Viele von ihnen
berichteten, Polizisten hätten sie gezielt angegriffen. Die Proteste
wurden zuletzt durch ein hastig verabschiedetes Gesetzespaket
angefacht, das die Demonstrations-, Versammlungs- und Pressefreiheit
einschränkt und das am Dienstag in Kraft getreten ist.
"Diese gezielten Angriffe auf Journalisten sind völlig
inakzeptabel. Sie müssen sofort gestoppt und vollständig aufgeklärt
werden", forderte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Die neue
Protestwelle zeigt, wie verfehlt der Versuch von Präsident Viktor
Janukowitsch ist, Kritik an seiner Politik durch weitere
Einschränkungen der Meinungsfreiheit und anderer Grundrechte zu
ersticken. Parlament und Präsident sollte diese repressiven Gesetze
umgehend aufheben."
Die meisten Verletzungen sind auf Blendgranaten, Gummigeschosse
oder den Einsatz anderer "nicht tödlicher" Waffen zurückzuführen.
Pawlo Iwanow, ein Journalist der Ukrainischen
Jugendinformationsagentur, wurde von vier Gummigeschossen getroffen.
Drei davon blieben in seinem Schutzhelm stecken, das vierte drang in
seinen Kopf ein. Auch den Kameramann Oleg Weremijenko vom
Onlinesender Prichowana Prawda traf ein Gummigeschoss in den Kopf.
Der Kameramann Iwan Nakonetschni vom ukrainischen Fernsehsender 5
Kanal filmte, wie ein Polizist einer Spezialeinheit frontal in seine
Kamera schoss (http://bit.ly/1jmZAPr). Ebenso erging es einem
Journalisten des US-Auslandssenders Radio Liberty/Radio Svoboda
(http://bit.ly/1hF7Y9Z).
Der Reporter Wiatscheslaw Weremij von der Zeitung Vesti und der
Spilno.tv-Kameramann Janek Falkewitsch wurden von Blendgranaten im
Gesicht verletzt. Beiden droht der Verlust jeweils eines Auges.
Wolodimir Sintschenko, ein Kameramann des Senders ICTV, wurde von
einem Gummigeschoss ins Auge getroffen. Ebenfalls ins Auge traf ein
unbekanntes Geschoss den Journalisten Roman Malk vom Magazin
Ukrainski Tischden. Stanislaw Grigoriew, Korrespondent des russischen
Senders Ren-TV, wurde schwer am Bein verletzt, als vor laufender
Kamera eine Blendgranate zu seinen Füßen explodierte
(http://bit.ly/KFUKh5).
Für Verwirrung sorgte am Dienstag die kurzzeitige mutmaßliche
Entführung des bekannten Bloggers und Protestanführers Ihor Luzenko.
Am späten Abend meldete er sich via Facebook zurück und schilderte,
wie er und ein weiterer Aktivist in den frühen Morgenstunden aus
einem Krankenhaus verschleppt, aus der Stadt gefahren und von zehn
Maskierten misshandelt worden seien (http://on.mash.to/1fbd0IY).
Die ukrainische ROG-Partnerorganisation Institut für Massenmedien
(IMI) führt auf ihrer Webseite eine fortlaufend aktualisierte Liste
der verletzten Journalisten (http://bit.ly/1aKrKvz). IMI-Leiterin
Oksana Romanjuk, die auch Korrespondentin von ROG in der Ukraine ist,
wurde am Wochenende im staatlichen Fernsehsender UT1 erneut als
"ausländische Agentin" diffamiert. Sie ist nicht zum ersten Mal das
Ziel von Einschüchterungen: Im vergangenen Herbst veröffentlichten
Hacker ihre gesamte E-Mail-Korrespondenz sowie den Inhalt ihrer
Computerfestplatte im Internet (http://bit.ly/1mrHGbz).
Der bekannte ukrainische Journalist Witalij Portnikow hat nach
Drohungen das Land verlassen, wie die Internetzeitung Ukrainskaja
Prawda am Dienstag berichtete (http://bit.ly/KFX4of). Nach einem
Treffen mit Botschaftern der EU-Staaten habe er Drohungen erhalten,
man werde einen "neuen Georgi Gongadse" aus ihm machen. Gongadse war
der im September 2000 ermordete Herausgeber der Ukrainskaja Prawda
(http://bit.ly/KEjqXP).
Die extreme politische Polarisierung in der ukrainischen
Gesellschaft bekamen auch Mitarbeiter der Nachrichtenwebseite Nowosti
Donbassa in der Region Donezk im Osten des Landes zu spüren, die die
Proteste in Kiew aktiv verfolgt. Sie berichteten von zahlreichen
"unzweideutigen" Drohungen, die sie in sozialen Netzwerken erhalten
hätten (http://bit.ly/KFQXQR).
Das ukrainische Parlament hatte vergangene Woche in großer Eile
ein Gesetzespaket verabschiedet, das viele der repressivsten
russischen Neuerungen aus jüngster Zeit quasi kopiert. Insbesondere
macht es Verleumdung - seit dem Jahr 2001 eine Sache der
Zivilgerichte - wieder zur Straftat, auf die hohe Geldstrafen und bei
erschwerenden Umständen bis zu zwei Jahren Haft stehen. Einen ersten
Versuch, diesen Rückfall der Ukraine in überwunden geglaubte Zeiten
abzuwenden, hatten Proteste der ukrainischen Zivilgesellschaft und
des Auslands im Oktober 2012 knapp abwenden können.
Zu den Neuerungen gehört auch ein nebulöser Extremismusparagraf,
der das Sammeln und Verbreiten persönlicher Informationen über
Richter, Polizisten und Mitglieder von Sondereinheiten der
Sicherheitskräfte mit bis zu drei Jahren Haft bedroht
(http://bit.ly/1dBQvjn). Internetmedien müssen sich künftig
registrieren lassen und können von einer vom Präsidenten eingesetzten
Kommission gesperrt werden, falls sie "illegale" Informationen
verbreiten (http://bit.ly/1jyyliu). Ukraine
Journalistenorganisationen haben in scharfer Form gegen das
Gesetzespaket protestiert (http://bit.ly/1jn6sMP).
Unter Präsident Viktor Janukowitsch hat sich die Position der
Ukraine auf der weltweiten ROG-Rangliste der Pressefreiheit deutlich
verschlechtert: von Platz 89 im Jahr 2009 auf derzeit Platz 126. Dies
liegt auch daran, dass Journalisten immer wieder gewalttätig
angegriffen und diese Fälle in den seltensten Fällen aufgeklärt
werden. Die einflussreichsten Medien des Landes gehören Politikern
oder Geschäftsleuten und berichten kaum ausgewogen
(http://bit.ly/1iOWc0o).
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Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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