(ots) - Zweifelhafte Siegerjustiz
Die Revolutionäre haben das korrupte Regime von Viktor
Janukowitsch gestürzt. Ob die Ukraine dadurch zu einem besseren Ort
wird, muss aber bezweifelt werden. Denn echte Demokraten sind in den
Reihen der Oppositionsgruppen kaum zu finden.
Die aus der Haft befreite Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko
ist auch kein Unschuldsengel, als der sie im Westen oft
fälschlicherweise dargestellt wird. In Wahrheit dürfte Timoschenko
kaum weniger machtbesessen, geldgierig und politisch zweifelhaft als
Janukowitsch sein.
Es ist ohnehin ein Fehler, den Konflikt in ein Schwarz-Weiß-Schema
pressen zu wollen. Der Westen würde es sich zu einfach machen, in den
Straßenkämpfern die Guten zu sehen, die angeblich für einen Anschluss
des Landes an Europa kämpfen, um es aus den vermeintlich bösen Fängen
Russlands zu befreien. Wer dieser fatalen Sicht folgt, könnte einen
Bürgerkrieg und einen neuen Kalten Krieg entfachen.
Dass die neuen Machthaber in Kiew nach Janukowitsch und anderen
Mitgliedern des gestürzten Regimes wegen "Massenmordes" fahnden
lassen, zeugt von einer höchst zweifelhaften Siegerjustiz, die die
Spaltung des Landes weiter verstärkt. Es wird daher dringend Zeit,
dass sich die Europäische Union mit Russland endlich über ein
gemeinsames Vorgehen in Kiew verständigt. Die Ukraine muss sich nicht
zwischen West und Ost entscheiden. Das Land braucht Moskau - und den
Westen ebenso.
Michael Clasen
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