(ots) -
Es ist wie beim Kartenspiel "Schwimmen". Die Karten werden
gemischt und ausgegeben. Die Spieler untereinander tauschen solange
Karten, bis der Erste eine Einheit in Farbe oder Symbol erzielt hat.
Es gewinnt der Spieler mit dem höchsten Blatt. Ein guter
Zeitvertreib, dachte sich wohl auch die Getränkebranche und macht aus
dem vor Jahrzehnten geplanten Einheitssystem, sprich Normflasche und
Normkiste, ein unkontrollierbares Massenchaos, das täglich wächst und
ökologisch und wirtschaftlich immer mehr belastet. Die Tauschrate im
Mehrwegsystem nimmt hierbei ständig zu. Große Getränkehersteller
sortieren selbst, kleine Abfüller und der Getränkefachhandel
bereinigen ihren Pool über Sortierzentren. Und vielen Abfüllern und
Logistikern ist das Thema zu chaotisch bzw. zu teuer und verirrte
Flaschen werden häufig entsorgt.
Einen Gewinner gibt es nicht, zeigt die nun fertiggestellte Studie
der Unternehmensberatung Weihenstephan GmbH, Tochter der Deloitte
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die auf Anforderung der
Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. und des
Handelsverbands Deutschland e.V. erstellt wurde. Die Arbeit bestätigt
die von Robert Sauer bereits 2009 erschienene und für die Branche
bekannteste Studie "Zukunft Mehrweg". Bereits hier wurden erste
Umlaufzahlen veröffentlicht, die damals kontrovers diskutiert wurden.
Robert Sauer ist geschäftsführender Gesellschafter der
Unternehmensberatung CIS GmbH und seit August letzten Jahres selbst
Brauereibesitzer der Bergbräu in Niedersachsen. Er selbst leidet
unter dem täglichen Durcheinander auf dem Hof seiner Brauerei.
Die Weihenstephan-Studie zeigt Flaschen-Umlaufzahlen und
Transportentfernungen in der Getränkeindustrie. Mit einer
Marktabdeckung von 53 Prozent im Bierbereich ist die Studie die
repräsentativste Studie, die zu diesem Thema jemals erstellt wurde.
Der Lebenszyklus und Kreislauf des gesamten Mehrweg-Flaschenpools
inklusive Individualflaschen für Bier, Wasser und
Erfrischungsgetränke wurde hierbei in Kooperation mit renommierten
Branchenverbänden, Lebensmittelhändlern und Getränkeherstellern
analysiert. Berücksichtigt wurden alle Flaschentypen, von
Bügelverschluss über Long-Neck und Brunneneinheitsflasche bis hin zur
NRW-Flasche, die zwar dominiert, jedoch mit nur noch 39 Prozent
Marktanteil stetig verliert.
Das Ergebnis ist genauso faszinierend wie erschreckend. Die
Pool-Mehrwegflasche 0,5 Liter erreicht im Schnitt 8 Umläufe vor
Tausch und 36 Umläufe nach 100-prozentigem Tausch.
Individual-Mehrwegflaschen zählen ohne Tausch 4 und mit Tausch 23
Umläufe. Aufgrund der Komplexität des gesamten Mehrwegsystems ist
nicht feststellbar, wie viele Umläufe tatsächlich erreicht werden, da
sich der Flaschentausch nur bedingt nachweisen lässt. Zwar zeigt die
Studie Umläufe bei theoretisch vollständigem Tausch, es kann aber in
der Praxis davon ausgegangen werden, dass nur 90 Prozent aller
Fremdflaschen getauscht werden, der Rest wird sehr wahrscheinlich
entsorgt. Die Umläufe liegen also trotz Sortierung deutlich unter den
angegebenen, was die Zahlen der Neuglasbeschaffung bestätigen. Und
jede fehlende Flasche reduziert die Umlaufquote drastisch. Die in der
Vergangenheit für Ökobilanzen zugrunde liegenden Umlaufzahlen von 50
für Bier-Mehrwegflaschen (gemäß UBA I des Bundesumweltamtes), auf
dessen Basis das Mehrwegpfand-System aufbaut, können von
Weihenstephan nicht bestätigt werden. Gerade Individualflaschen
belasten das System gewaltig. Betrachtet man den Sortieraufwand,
lässt sich der Nutzen des Tauschrausches der Branche leicht in Frage
stellen.
Im Bierbereich kommt man bei 59 Mio. HL in Mehrweg-Flaschen laut
Robert Sauer auf geschätzte 9 Milliarden Tauschvorgänge pro Jahr.
Allein die Sortierkosten liegen je nach Größe des Betriebs und Art
der Sortierung, ob interne Sortierung oder extern über einen
Dienstleiter, zwischen 0,5 und 1,2 Cent pro Gebinde. Bei einem
realistischen Mittelwert von 0,85 Cent Sortierkosten pro Flasche
bedeutet dies eine wirtschaftliche Branchen-Belastung von 76,5
Millionen EUR jährlich, zuzüglich Logistikkosten. Ein weiterer
Kostenfaktor für Abfüller ist die zunehmende Neuglasbeschaffung, die
sich je nach Brauereigröße zwischen 7 und 15 Prozent beläuft. Mit
durchschnittlich mindestens 11 Prozent Neuglasanteil im Jahr fällt
diese Anschaffung mit geschätzten 170 Millionen EUR zusätzlich ins
Gewicht.
Im Wasser- und Erfrischungsgetränkebereich dominieren bereits zu
jeweils 58 Prozent und 72 Prozent Einwegverpackungen. Zumindest der
restliche Mehrweganteil galt hier als umlaufsicher. Weihenstephan
zeigt allerdings auch hier, dass die Umläufe weit unter 50 liegen. Im
Schnitt liegen die Umläufe der Poolflasche bei 38, der
Individualflasche bei 23 und der PET-Mehrwegflasche bei 19 Umläufen.
Betrachtet man vor allem die aus Umweltsicht hinsichtlich des
CO2-Ausstoßes wichtigen Transportwege, zeigen sich für das
Biersegment ebenfalls hohe Unterschiede im Vergleich zur der
Gesetzgebung zugrunde liegenden Ökobilanz. Während das
Umweltbundesamt für Hin- und Rückfahrt von einer Gesamtstrecke von
200 km ausgeht, sind es tatsächlich im Gesamtdurchschnitt 437 km, die
eine Flasche zurücklegt. Die weiteste Strecke legen mit 537 km
Individual-Mehrwegflaschen zurück, Pool-Flaschen kommen auf 419 km.
Nur kleine Brauereien unter 50.000 Hektoliter liegen mit 154 km gemäß
Umweltbundesamt im Rahmen.
Laut den Auftraggebern der Arbeit, der Bundesvereinigung der
Deutschen Ernährungsindustrie e.V. und des Handelsverbands
Deutschland e.V., zeigt die Studie, dass sich der Markt stark
verändert und die Branche mit der steigenden Kostenintensität immer
mehr zu kämpfen hat. Die Aussage "Mehrweg ist gut und Einweg
schlecht", ist schlicht weg veraltet. Das Mehrwegsystem wird aus
ökologischer Sicht viel zu sehr von neuen Faktoren belastet. Regional
im engen Radius ist Mehrweg vorteilhaft, national werden die Karten
aber neu gemischt, steigende Transportwege und eine scheinbar
unbeherrschbares Flaschenchaos brechen jeden Tag mehr den
Grundgedanken des Mehrwegsystems. "Ökonomisch und ökologisch müssen
für die Branche neue Rahmenbedingungen und Spielregeln aufgestellt
werden, welche aktuelle Marktbedingungen berücksichtigen und die
Unternehmen und die Umwelt nicht weiter be- sondern entlasten", fasst
Robert Sauer den Handlungsbedarf zusammen.
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Pierre Sauer
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