(ots) -
Sperrfrist: 26.03.2014 12:00
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Der NABU hat die am heutigen Mittwoch von Bundesumweltministerin
Hendricks vorgestellten Berichte zum Zustand der Natur in Deutschland
als Alarmsignal gewertet. Die Lage sei noch dramatischer als
erwartet. "Zahlreiche Vogelarten, die hierzulande einst weit
verbreitet waren, sind akut gefährdet. Ihre Lebensräume verschwinden
immer schneller", sagte NABU-Präsident Olaf Tschimpke.
Die Berichte, die die Bundesregierung für die EU-Kommission
erstellt hat, beschreiben erstmals im Detail den Zustand von Tieren,
Pflanzen und ihren Lebensräumen, mit zum Teil gravierenden
Resultaten. Beispiel Vogelwelt: Demnach schrumpft hierzulande der
Bestand jeder dritten Art - und das mit zunehmendem Tempo. So
verschwanden in den vergangenen zwölf Jahren über die Hälfte aller
Kiebitze und ein Drittel der Feldlerchen. In der intensiv
bewirtschafteten Landschaft finden sie kaum mehr Nahrung und
geeignete Brutplätze.
Auch abseits der Vogelwelt zeichnet der Bericht ein dramatisches
Bild. Demzufolge haben in Deutschland rund 60 Prozent aller anderen
durch das EU-Recht geschützten Tier- und Pflanzenarten große
Probleme. Von den Lebensräumen sind sogar 70 Prozent in einem
schlechten oder unzureichenden Zustand. Und der Trend ist weiter
negativ: Wichtige Lebensräume wie artenreiche Wiesen werden in
Maisäcker umgewandelt. Alte Eichenwälder werden zu Holzplantagen und
die letzten Sanddünen im Binnenland wuchern zu, weil ihnen die
traditionelle Beweidung fehlt. "Die neuen Daten zeigen ganz klar, wie
die Natur bei uns schleichend verarmt. Das muss ein Weckruf für die
Politik sein", so Tschimpke.
Und offenbar könnte das Ergebnis sogar noch schlechter sein. So
zweifelt der NABU die in den Berichten recht positiv bewertete
Situation der Buchenwälder an. "Bund und Länder scheinen beim Bericht
großzügige Bewertungskriterien angewendet zu haben. Uns ist bekannt,
dass viele Bundesländer auch eintönige und viel zu junge
Wirtschaftsforste häufig als gesunde Wälder bezeichnen, obwohl in
ihnen kaum Artenvielfalt vorhanden ist. Wir hoffen, dass die
EU-Kommission hier Nachbesserungen einfordert", so der
NABU-Präsident.
Die Hauptgründe für die Misere sieht der NABU in schädlichen
Agrarsubventionen, unzureichenden Schutzgebietsbestimmungen und den
personell und finanziell immer schlechter ausgestatteten
Naturschutzverwaltungen. "Obwohl wir in der EU das wahrscheinlich
beste Naturschutzrecht der Welt haben, mangelt es schlicht am Willen
der zuständigen Bundesländer, es auch umzusetzen", kritisierte
Tschimpke. Erst in der vergangenen Woche hatten NABU und BUND die
Naturschutzpolitik der einzelnen Bundesländer analysiert und dabei
gravierende Versäumnisse offengelegt ("Biodiversitäts-Check" der
Bundesländer - http://bit.ly/1m3S2Qe).
Der Bericht der Bundesregierung zeigt aber auch punktuelle
Erfolge, nämlich genau dort wo der Naturschutz konsequent
durchgesetzt und finanziert wird. Nutznießer sind etwa der Biber, die
Wildkatze und einige Fischarten wie Barbe oder Steinbeißer. Sie
konnten sich dank der EU-Vorgaben zur Ausweisung von Schutzgebieten,
zur Regulierung der Jagd und zum Gewässerschutz erholen. Das gleiche
gilt für einige Vogelarten: Das deutsche Wappentier, der Seeadler,
aber auch Kranich, Wanderfalke und einige andere von der
EU-Vogelschutzrichtlinie besonders geschützte Arten feiern derzeit
spektakuläre Comebacks.
Angesichts der insgesamt aber dramatischen Lage fordert der NABU
eine Naturschutzoffensive von den zuständigen Landesregierungen. "Vor
allem die Natura-2000-Schutzgebiete müssen viel besser überwacht,
betreut und finanziert werden. Andernfalls wird Deutschland sein
international gegebenes Versprechen brechen, den Rückgang der
biologischen Vielfalt bis 2020 zu stoppen und umzukehren. Nach den
heute veröffentlichten Daten hat sich die Bundesrepublik jedenfalls
weiter denn je von diesem Ziel entfernt", so Tschimpke.
Pressefotos zum Kiebitz ("Verlierer" laut Bericht unter der
EU-Vogelschutzrichtlinie) und zum Grünlandumbruch im
Natura-2000-Schutzgebiet unter www.NABU.de/presse/fotos/#voegel bzw.
www.NABU.de/presse/fotos/#Landwirtschaft
Für Rückfragen:
Konstantin Kreiser, NABU-Experte für internationale
Biodiversitätspolitik, mobil: 0172-4179730
Hintergrundinformationen:
- Mit den beiden EU-Naturschutzrichtlinien haben sich die
Mitgliedstaaten verpflichtet, alle sechs Jahre eine nationale
Bestandsaufnahme von Arten und Lebensraumtypen vorzulegen. Bis
Frühjahr 2015 wird die Europäische Kommission daraus einen
EU-weiten Gemeinschaftsbericht erstellen und möglicherweise neue
Naturschutzinitiativen einleiten.
- Laut aktuellem Bericht zur Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH)
ist die Lage bei den Lebensraumtypen (Habitaten) katastrophal.
Hier entfernt sich Deutschland immer weiter von seinen
politischen Zielen und rechtlichen Verpflichtungen: Bei keinem
einzigen Habitat konnte eine Verbesserung seit 2007 erreicht
werden. Bei 13 verschlimmerte sich die Lage sogar deutlich.
Insgesamt sind jetzt 70 Prozent der Lebensraumtypen in einem
schlechten oder unzureichenden Zustand. Beispiele: Mähwiesen im
Flach- und Bergland (Grünland), Binnendünen, Eichen- und
Kiefernwälder.
- Bei den in der FFH-Richtlinie für Deutschland gelisteten 195
Tier- und Pflanzenarten (Vögel ausgenommen, da diese durch die
Vogelschutzrichtlinie erfasst werden) verzeichnet der Bericht 18
Verschlechterungen und 16 Verbesserung in den vergangenen sechs
Jahren. Zwar konnte somit durch gezielte Schutzprogramme in der
Bilanz fast eine Stabilisierung erreicht werden. Von einer
Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands für alle in
der Richtlinie genannten Arten, wie sie das EU-Recht verlangt,
ist Deutschland bei den meisten Arten allerdings noch weit
entfernt. Insgesamt sind 60 Prozent in einem schlechten oder
unzureichenden Zustand. Beispiele für Verbesserungen
("Gewinner"): Wildkatze, Biber, Kegelrobbe, Mauereidechse,
Fische (Barbe, Bitterling, Steinbeißer). Beispiele für
Verschlechterungen ("Verlierer"): Grasfrosch, Wechselkröte,
Smaragdlibelle, Breitflügelfledermaus
- Der gesonderte Bericht unter der EU-Vogelschutzrichtlinie zeigt,
dass sich bei den Vögeln Artenabnahmen und -zunahmen in den
vergangenen zwölf Jahren in etwa die Waage halten (jeweils etwa
ein Drittel, der Rest ist konstant). Gegenüber den Trends der
letzten 25 Jahre (36 Prozent zunehmend, 29 Prozent abnehmend)
ist dies eine deutliche Verschlechterung. Weiterhin sind die
Bestände der Hälfte aller Arten nicht gesichert. Viele
Vogelarten haben in den letzten Jahren dramatisch abgenommen (z.
B. der Kiebitz um rund 55 Prozent in zwölf Jahren). Beispiele
Verbesserungen ("Gewinner"): Seeadler, Wanderfalke,
Schwarzstorch, Kranich, Grünspecht. Beispiele Verschlechterungen
("Verlierer"): Kiebitz, Uferschnepfe, Bekassine, Rebhuhn,
Turteltaube, Feldlerche, Wiesenpieper
- Das Biodiversitätsziel der EU: Im Jahr 2010 haben sich die
Staats- und Regierungschefs der EU dazu verpflichtet, den
Rückgang von Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräumen bis 2020
zu stoppen. Außerdem wollen sie die Erholung der Artenvielfalt
einleiten: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen doppelt so viele
Lebensraumtypen und 50 Prozent mehr Arten in einem guten oder
verbesserten Zustand sein als noch 2010. Deutschland hat sich
aufgrund der heute veröffentlichten Daten weiter denn je von
diesem Ziel entfernt. Bis 2020 müssten hierzulande drei Viertel
aller Vogelarten (derzeit 50 Prozent), die Hälfte aller anderen
Arten (derzeit 25 Prozent in günstigem Zustand) und zwei Drittel
der Lebensräume (derzeit 28 Prozent, vor sechs Jahren noch 34
Prozent in günstigem Zustand) in einen ungefährdeten bzw.
günstigen oder deutlich verbesserten Zustand gebracht werden.
Pressekontakt:
Konstantin Kreiser, NABU-Experte für internationale
Biodiversitätspolitik, mobil: 0172-4179730