(ots) - Treffen chinesische und deutsche
Staatsoberhäupter zusammen, steht auch immer die Frage nach
Menschenrechten im Raum. Beim jüngsten Besuch des chinesischen
Staatspräsidenten in Deutschland, bot sich mit der Krim-Krise ein
weiteres Politikum an. Haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und
Bundespräsident Gauck die richtigen Töne auf der Klaviatur der
Diplomatie angeschlagen? Professor Sandschneider: Dieses Thema ist
ein Sujet, das hinter verschlossenen Türen angesprochen wurde, was
durchaus üblich ist. Denn Poltern in der Öffentlichkeit ist hier
nicht angebracht, würde eher negative Auswirkungen haben. Insofern
gibt es hier nichts zu beanstanden.
China hatte sich in der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat bezüglich
der KrimKrise der Stimme enthalten. Offenbart sich hier das Dilemma,
dass China weder Putin noch den Westen vergrätzen will.
Sandschneider: Das ist kein Dilemma, sondern eine kühne
Positionskalkulation der chinesischen Führung. Natürlich will man es
sich aus Pekinger Sicht mit keiner der beiden Seiten verderben. Und
ganz praktisch konnte China schon deshalb diese Haltung in Kauf
nehmen, weil es sicher sein konnte, dass eine Entscheidung, dank des
sicher zu erwartenden russischen Vetos, nicht fällt. China
positioniert sich im Moment in einer gelegentlich russlandkritischen,
aber eigentlich abwartenden Haltung, um zu sehen, wie die Dinge sich
weiterentwickeln. Zu guter Letzt kann man aus chinesischer Sicht -
wenn das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland weiter schwierig
bleibt - auch auf billige Ressourcen, also Rohstoffe, hoffen, und
das wäre im ureigensten strategischen Interesse Chinas.
Hat Peking nur deshalb nicht noch deutlicher Position bezogen,
weil es selbst mit Abspaltungsbestrebungen wie bei Uiguren, Tibetern
oder auf Taiwan zu kämpfen hat? Sandschneider: Einen Zusammenhang
würde ich hier nicht sehen. Aber ich warne davor, dieses
Abstimmungsverhalten als ein Signal dafür zu sehen, dass es gelingen
könnte, China näher an den Westen heranzubringen, also als
strategischen Partner gegen Russland. China hat sich nie als Karte
spielen lassen, und das wird erst recht heute nicht passieren.
Staatspräsident Xi Jinping hat Wirtschafts- und Sozialreformen zur
Chefsache erklärt. Wie schnell ist mit einer Umstrukturierung der
bisherigen Staatswirtschaft zu rechnen? Sandschneider: Das ist eine
Frage, die man nicht wirklich beantworten kann, weil die Hürden
gewaltig sind. Das wird nicht schnell gehen. Einerseits hängt es mit
der Größe des Landes zusammen, andererseits hat es aber auch mit dem
Ausmaß der Probleme zu tun. Eine solche Zielvorgabe zu machen, heißt,
in längerfristigen Perspektiven zu denken. Das tut die chinesische
Führung derzeit sicherlich, wie übrigens auch schon ihre Vorgänger.
Aber man darf nicht erwarten, dass da innerhalb der nächsten Wochen
oder Monate dramatische Ergebnisse vorliegen.
An welche aktuellen Beispiele denken Sie jetzt? Sandschneider: An
die Aufgabe, die maroden Staatsbetriebe effizient zu machen. Wie
lange braucht man, um eine Behörde wirtschaftlich effizient und
vielleicht auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen? Das würde
uns auch nicht von heute auf morgen gelingen. Das gilt auch für
China. Das spielt sich in Zeiträumen von Jahren, wenn nicht
Jahrzehnten ab.
Die letzte große Staatsreform wurde 1978 eingeläutet - deren
Architekt Deng Xiaoping gilt als Begründer des Wirtschaftsbooms. Kann
Xi in seine Fußstapfen treten? Sandschneider: Das ist zumindest seine
erkennbare Ambition. Das Programm, das im November auf dem 3. Plenum
des 18. Parteitages verabschiedet wurde, hat ohne Weiteres
Kapazitäten, in diese Richtung zu gehen. Nach rund drei Jahrzehnten
stürmischer wirtschaftlicher Entwicklung stehen Restrukturierungs-
und Anpassungsschritte an.
Die Entwicklung vom wirtschaftlichen Zwerg zur zweitgrößten
Volkswirtschaft der Welt hat auch negative Folgen, zum Beispiel auf
die Umwelt. Wird China am eigenen Smog ersticken oder sich an
bleiverseuchten Brunnen vergiften? Sandschneider: Die
Umweltverschmutzung ist sicherlich ein Thema. Auch hier ist nicht mit
schnellen Schritten zu rechnen. Das Problem ist erkannt und ich gehe
davon aus, dass hier Maßnahmen ergriffen werden, die diesen Prozess
eindämmen. Smog-Bilder gab es kürzlich auch in Paris. Aber vor allem
aus den 70er- und 80er-Jahren sind uns solche Szenarien in Metropolen
wie Tokio in Erinnerung. Heute ist das Schnee von gestern, weil
entsprechende umweltpolitische Maßnahmen ergriffen wurden. Das steht
in China jetzt auf der Tagesordnung. Und wenn die chinesische
Regierung das mit ihrer gewohnten Effizienz umsetzt, kann man davon
ausgehen, dass diese Probleme gelöst werden.
Liegt hier nicht auch eine Chance für westliche Firmen?
Sandschneider: In der Tat. Wir haben die Technologien, die China
dafür braucht.
China entwickelt mehr und mehr technisches Knowhow und stärkt den
eigenen Produktionsaufbau. Werden deutsche Firmen bald aufs
Abstellgleis geschoben? Sandschneider: Wenn sie wettbewerbsfähig
bleiben, dann nicht. Aber wenn sie zu teuer sind, und nicht auf die
chinesischen Bedürfnisse reagieren, dann kann das passieren. Doch das
hat nichts mit Deutschland und China zu tun, sondern ist eine ganz
normale Entwicklung in einer globalisierten Weltwirtschaft. Das würde
uns auf anderen Märkten ganz genauso ergehen. Man darf nicht
erwarten, dass nur, weil die deutsche Ingenieurskunst so gefragt ist,
uns die ganze Welt offen steht. Der Wettbewerb in China wird mit
Sicherheit härter werden, aber in und für andere Nationen auch. Und
schließlich auch, weil auch die Chinesen nicht schlafen und ihre
eigenen technologischen Entwicklungen massiv vorantreiben und so sehr
schnell zu formidablen Konkurrenten werden.
Die Europa-Reise des Staatspräsidenten ging einher mit der
Unterzeichnung zahlreicher Firmenabschlüsse, sowohl in Deutschland
als auch in Frankreich. Auffällig dabei ist, dass mit großen
Bestellungen (70 Airbus-Jets) auch oft gemeinsame Projekte in China
wie die Montage von A320-Maschinen einhergehen. Werden wir bald nach
der chinesischen Pfeife tanzen müssen? Sandschneider: So schnell
stürzt unsere Welt glaube ich nicht zusammen. Aber wir werden uns
daran gewöhnen müssen, dass sie auf den durchaus einleuchtenden Trick
verfallen, Firmenansiedlungen an die Maßgabe zu knüpfen, Knowhow in
China direkt abzuliefern. Das gefällt den Unternehmen nicht immer,
aber wenn sie auf den chinesischen Markt wollen, ist das der
Zugangspreis. Sie werden versuchen müssen, ihre Technologie zu
schützen. Das ist zwar leichter gesagt, als getan. Aber das ist eine
der großen Herausforderungen im globalen Wettbewerb. Wenn die
Deutschen es nicht tun, dann tun's andere. Und selbst wenn niemand
sich darauf einlässt, kommen die Chinesen auf dem Weg der
Direktinvestitionen im Ausland in den Markt und erlangen auf diese
Weise Zugang zu technologischem Wissen. Daher ist Technologie-Schutz
für jedes Unternehmen der globalisierten Weltwirtschaft ein Muss und
eine große Herausforderung. Und China ist nur ein Bestandteil dieser
Situation.
Xi spricht in Bezug auf partnerschaftliche Kooperationen gerne von
geistigem Respekt. In Bezug auf den Schutz geistigen Eigentums wie
Patente und Knowhow haben westliche Firmen häufig negative
Erfahrungen gemacht, siehe Solarindustrie. Ist der Westen machtlos
gegenüber dieser Plagiatskultur? Sandschneider: Ein Stückchen weit
schon. Aber es geht ja nicht nur um die Chinesen. Wenn man an die
NSA-Affäre denkt, erkennt man, dass das kein spezifisch chinesisches
Problem ist, sondern eines, das auch im politischen wie im
wirtschaftlichen Bereich unsere westlichen Partner betrifft. Auch
Amerikaner sind brennend daran interessiert, zu erfahren, was die
Europäer in Sachen Technik betreiben. Das ist keine Entschuldigung
für China, aber das ist eine der Herkulesaufgaben, mit denen
Regierungen und letztendlich auch Privatmenschen zu kämpfen haben.
Das lässt sich auch nicht durch politische Verhandlungen am Rande von
Staatsbesuchen klären. Das einzige Mittel, das wir haben, ist,
sensitives Wissen zu schützen, als Privatmann, als Regierung, als
Unternehmen. Großunternehmen leisten sich ganze Abteilungen, die sich
damit befassen. Mittelständler haben da ein gewisses Nachsehen. Oft
fehlt ihnen dafür auch das nötige Kleingeld.
Das Turbo-Wachstum ist vor allem durch billiges Geld für
staatseigene Betriebe entstanden. Jetzt steht das Riesenreich vor
riesigen Schuldenbergen. Provinzen, Städte und Kommunen standen 2013
mit 18 Billionen Dollar in der Kreide. Daher will Xi auch den
Finanzsektor lockern. Kommen diese Veränderungen nicht zu spät?
Sandschneider: Das weiß man immer erst im Nachhinein. Ja, das
chinesische Wachstum durch massive staatliche Investitionen ist
getrieben worden. Man muss allerdings hinzufügen, auch durch foreign
direct investment. Wir haben aus westlicher Sicht in keinem Land mehr
investiert, als in China. Auch das war eine Triebkraft. Und die
dritte Triebkraft, die das Wirtschaftswachstum erklärt, ist die
Exportorientierung. Die ist nun auch im Zeichen der
Weltwirtschaftskrise nach 2008 ein Stück weit schwieriger geworden.
Daher steht China im Augenblick vor der schwierigen Aufgabe, dieses
Wachstumsmodell umzubauen, und zwar zu einem von innen getriebenen,
konsumorientierten Wachstum. Das würde aber bedeuten, dass die
Menschen in China mehr Vertrauen in staatliche Sicherungssysteme
bekommen müssen, so dass sie ihr unglaubliches Sparverhalten abbauen
und das Geld in Einkäufe stecken. Davon sind sie noch weit entfernt.
Bisher war auch die Währung in staatlicher Hand, der Yuan wurde
künstlich billig gehalten und stimulierte so den Exportsektor. Was
wird sich ändern? Sandschneider: China befindet sich hier in einer
Ãœbergangsphase. In einigen Jahren, das ist ein klar erkennbares Ziel
der chinesischen Regierung, soll der Yuan die dritte große
konvertible Währung neben Euro und Dollar sein Das wird Schritt für
Schritt in die Tat umgesetzt. Und wir werden schätzungsweise in vier
bis fünf Jahren auch international mit dem Yuan arbeiten.
Ballungszentren und Umweltprobleme auf der einen, bäuerliche
Rückständigkeit und Armut auf der anderen Seite - wie groß ist die
Zerrissenheit in der chinesischen Bevölkerung? Sandschneider:
Gewaltig. Es gibt eine ganze Reihe von Verwerfungen neben der von
Stadt und Land. China wird in den nächsten Jahren seinen
Urbanisierungsgrad auf 55 bis 60 Prozent treiben, das heißt, immer
mehr Menschen streben in die Stadt. Aber jenseits der regionalen
Verwerfung gibt es noch das unglaubliche soziale Ungleichgewicht, das
sich durch den Erfolg der wirtschaftlichen Reformpolitik aufgebaut
hat. Die obersten zehn Prozent der Einkommensskala verdienen ein
Zig-faches dessen, was die untersten zehn Prozent pro Jahr zur
Verfügung haben. Die Schere zwischen Arm und Reich ist weit
aufgegangen. Auch dieses Problem muss die chinesische Regierung in
den Griff bekommen. Da zeigt sich eine Verwerfungslinie, die in ihrer
Brisanz in Bezug auf soziale Unruhen extrem schwer zu kalkulieren
ist.
Ist das bei der Regierung auch angekommen? Sandschneider: Ja,
selbstverständlich. Die große Kampagne, die Xi Jinping gerade lenkt,
hat unter anderem damit zu tun. Zum Teil ist das natürlich auch
blanke Machtpolitik, weil einige Leute, die bei dieser Kampagne
politisch nicht so genehm sind, beiseite geschoben werden, um es
vorsichtig auszudrücken. Aber er weiß, dass die Menschen mit
Argusaugen beobachten, wie die Bereicherungsstrategie funktioniert.
Also muss er etwas tun, was zumindest den Anschein erweckt, dass die
Regierung das soziale Ungleichgewicht reduzieren will.
China will auch international eine größere Rolle spielen, nicht
nur wirtschaftliche Supermacht sein. Was bedeutet das für das
deutsch-chinesische Verhältnis? Sandschneider: Wir werden uns daran
gewöhnen müssen, dass wir keines der Probleme der internationalen
Politik dauerhaft lösen können, ohne dass China dabei eine Rolle
spielt. Insofern sind wir gut beraten, die deutsch-chinesischen
Beziehungen auf der Schiene zu lassen, auf der sie stehen, und dabei
aber den politischen Dialog zu intensivieren. Es ist völlig normal,
dass ein Land dieser Größe, dieser Menschenmasse und dem mittlerweile
wirtschaftlich erreichten Gewicht, dieses irgendwann auch in Politik
übersetzt und am Ende sogar in militärische Leistungsfähigkeit. Das
war letztendlich immer so in der Weltgeschichte. Und es wäre ein
Wunder, wenn es im Falle Chinas anders wäre. Das Interview führte
Dietlinde Terjung
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