(ots) -
Letzte Woche erschütterte die Nachricht über einen
niedersächsischen Richter, der seit dem Jahr 2011 Prüfungsthemen und
Lösungen von Klausuren des Zweiten Juristischen Staatsexamens an
interessierte Prüfungskandidaten verkauft haben soll, die deutschen
Juristen. Wie nun bekannt wurde, könnte sich der Skandal sogar noch
auf weitere Bundesländer ausweiten, der Umfang der betroffenen Fälle
ist bisher nicht absehbar. Rund 2.000 Examina werden von der
niedersächsischen Justiz überprüft, um die Täuschungen aufzudecken.
Erfolgreiche Prüflinge müssen mit einer genauen Überprüfung
rechnen: Wem tatsächlich die Prüfungsinhalte auch nur teilweise im
Vorfeld mitgeteilt wurden, hat grundsätzlich mit einer Rücknahme der
Prüfungsentscheidung zu rechnen. Das kann zum Entzug der
Anwaltszulassung sowie ganz allgemein zum Verlust es Arbeitsplatzes
führen, sagt Rechtsanwalt Dr. Philipp Verenkotte von der auf
Prüfungsrecht spezialisierten Anwaltskanzlei Birnbaum & Partner aus
Köln.
Tatsächlich dürfte sich der Nachweis der vorherigen Kenntnis der
Aufgabenstellung für die Justizbehörden als überaus problematisch
erweisen, sagt sein Kollege Christian Teipel, ebenfalls aus dem Büro
Birnbaum & Partner. Denn ganz überwiegend werden die Klausuren des
Zweiten Juristischen Staatsexamens aktuellen ober- und
höchstrichterlichen Entscheidungen nachgebildet. Da sei es natürlich
auch denkbar, dass eine solche Entscheidung im Rahmen der
mehrmonatigen Prüfungsvorbereitung in einem juristischen Repetitorium
besprochen wurde oder der Prüfling durch Lektüre entsprechender Fach-
und Ausbildungsliteratur unbewusst Kenntnis von den späteren
Klausurinhalten gewann. In diesem Fall wäre die "unbewusste Kenntnis"
ganz legal erlangt, so Teipel. Der Nachweis einer illegalen Kenntnis
dürfte sich nach Ansicht des Juristen jedenfalls dann als schwierig
darstellen, wenn keine eindeutigen, belastbaren Anhaltspunkte wie
etwa Aufzeichnungen oder Kontobewegungen vorliegen würden. Es sei
inzwischen nämlich keine Seltenheiten mehr, dass angehende
Volljuristen zur Prüfungsvorbereitung gleich seitenweise ganze
Urteile auswendig lernten. Anwalt Teipel rät betroffenen Prüflingen,
nicht in Aktionismus zu verfallen und jede Handlung oder Reaktion -
beispielsweise auf eine angekündigte Anhörung oder "informatische
Befragung" hin - im Vorfeld umsichtig und mit anwaltlichem Beistand
abzuwägen.
Während nun die Sorge einiger erfolgreicher Prüfungsteilnehmer
wachsen dürfte, dass ihnen im Nachgang die Staatsprüfung aberkannt
wird, eröffnet die jetzige Situation denjenigen Prüflingen
unerwartete Möglichkeiten, die im Zeitraum zwischen 2011 und 2014 das
Zweite Juristische Staatsexamen in Niedersachsen endgültig nicht
bestanden haben. Rechtsanwalt Dr. Verenkotte: "Prüfungsbewertungen
erfolgen stets auch unter dem Eindruck der Ergebnisse sämtlicher
Prüfungsteilnehmer. Wenn nun andere Prüfungskandidaten bereits im
Vorfeld die Lösung einer Klausur kennen, fällt fast zwangsläufig das
Ergebnis derjenigen, die keine Musterlösung vorab erhalten haben,
schlechter aus als es bei einem regulären Prüfungsverlauf der Fall
gewesen wäre." Demzufolge können die Prüfungsergebnisse der
benachteiligten Prüfungsteilnehmer infrage gestellt werden.
Rechtsanwalt Dr. Verenkotte erläutert, dass selbst angesichts der
über 2.000 Verfahren, welche die Kanzlei jährlich in ganz Deutschland
im Bildungsrecht führe, das Ausmaß dieses Falles auch für ihn eine
völlig neue Dimension erreicht habe.
Als "nicht unproblematisch" werten die Juristen den Umstand, dass
gegen Prüfungsentscheidungen grundsätzlich innerhalb einer Frist von
einem Monats nach deren schriftlicher Bekanntgabe vorgegangen werden
muss, da ansonsten die sogenannte Bestandskraft eintritt. Dennoch rät
Rechtsanwalt Teipel, der wegen der Frage der Bestandskraft von
juristischen Prüfungsentscheidungen im Jahr 2012 vor dem
Bundesverwaltungsgericht erfolgreich war, im Rahmen einer
Prüfungsanfechtung gegen das endgültige Nichtbestehen vorzugehen und
die Rechtslage vorab durch einen versierten Anwalt prüfen zu lassen.
Im Zweifel könnten Prüflinge einen rechtlichen Anspruch auf
Wiederaufgreifen des Verfahrens erheben.
Pressekontakt:
BIRNBAUM und Partner Rechtsanwälte, Rechtsanwalt Christian Teipel
Tel. 0221/27.72.71-0
E-Mail: christian.teipel(at)birnbaum.de
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