(ots) - Vor Beginn der Eishockey-Weltmeisterschaft in
Belarus am 9. Mai 2014 fordert Reporter ohne Grenzen, dass
Journalisten frei und kritisch berichten können, ohne Angst vor
Schwierigkeiten haben zu müssen: "Die Regierung unter Präsident
Alexander Lukaschenko muss endlich damit aufhören, kritische Stimmen
mundtot zu machen", sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in
Berlin. "Es ist unerträglich, dass die belarussische Regierung
Sportler und Gäste in ein Land einlädt, das unabhängige Medien und
Journalisten seit Jahren systematisch unterdrückt."
Belarussische Journalisten sind vielfältigen Repressionen
ausgesetzt. Während der anstehenden Weltmeisterschaft versucht die
Regierung jedoch auch die ausländischen Medien zu kontrollieren. So
hat die Regierung in Minsk ihre strengen Visaregeln nur für
Sportberichterstatter vorübergehend gelockert. Wer über politische
oder gesellschaftliche Themen schreiben will, muss nach wie vor ein
gesondertes Journalistenvisum beantragen -doch diese Visa wurden in
der Vergangenheit auch verweigert.
In Belarus gibt es mehr als 250 Radio- und Fernsehsender, fast 180
davon sind in staatlicher Hand und werden streng kontrolliert. Eine
durch unabhängige Gremien kontrollierte Rundfunkanstalt besteht
nicht, ebenso wenig wie kritische Fernsehsender, die landesweit
ausstrahlen. Unabhängige Journalisten und Blogger müssen mit
Repressionen rechnen und werden von den Behörden gezielt bei ihrer
Arbeit behindert. Am 7. April etwa wurde der belarussische Kamermann
Alex Dzjanisau von einem Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt, weil
er in der Stadt Grodno ein Interview für den Fernsehsender Belsat TV
geführt hatte. Belsat TV sendet aus Warschau, und Journalisten, die
für einen ausländischen Sender arbeiten, benötigen in Belarus eine
gesonderte Akkreditierung des Außenministeriums. Mehrere Neuanträge
von Belsat TV sind in der Vergangenheit mit der Begründung, die
eingereichten Unterlagen seien unvollständig, abgelehnt worden. Das
Lukaschenko-kritische Programm des polnischen Belsat TV ist auch in
Belarus zu empfangen.
In Belarus ist der Anzeigenmarkt sehr klein, so gut wie alle
Medien sind deshalb auf öffentliche Aufträge angewiesen. Während
staatlich kontrollierte Medien auf großzügige Anzeigenvergabe
vertrauen können, werden unabhängige Publikationen bewusst in
finanziell schwierige Situationen gebracht: sie erhalten so gut wie
keine Anzeigen der öffentlichen Hand- auch nicht von staatsnahen
Unternehmen. Ihnen wird zudem die Zusammenarbeit mit vielen
Druckereien verwehrt. Im Oktober 2013 etwa wies die Druckerei
Karandasch einen Auftrag des örtlichen Büros von Radio Freies
Europa/Radio Liberty mit der Begründung zurück, bei dem Sender handle
es sich um eine extremistische Organisation.
Staatliche Vertriebsunternehmen haben bereits vor Jahren ihre
Zusammenarbeit mit kritischen Zeitungen beendet, seit 2006 etwa
werden die Blätter Gaseta Slonimskaja, Borisovskije Novosti und Novi
Chas nicht mehr ausgeliefert. Die Zeitungen liegen nicht mehr an
Kiosken oder in Geschäften aus und können nur noch per Abonnement
bezogen werden. Die Blätter Belorusskaja Delovaja Gaseta, eine der
wichtigsten unabhängigen Zeitungen in Belarus, oder auch Salidarnasc
erscheinen mittlerweile nur noch im Internet. Eine Reihe von
Publikationen musste den Betrieb ganz einstellen
(http://bit.ly/1j68v2f).
Medien in Belarus benötigen eine staatliche Lizenz, doch sowohl
die Entscheidung über Vergabe wie auch über Entzug ist nicht
transparent. Auch die Erteilung von Akkreditierungen für
Veranstaltungen und Pressekonferenzen ist nicht einheitlich geregelt,
so dass kritische Journalisten oft keinen Zugang zu den Treffen
haben. Mehr als 60 staatliche Institutionen, darunter das
Informationsministerium, das Erziehungsministerium oder die nationale
Fernseh- und Radiogesellschaft können brisante Themen als
Staatsgeheimnis deklarieren und sie so vor Journalisten geheim
halten.
Die unabhängige belarussische Vereinigung der Journalisten, eine
ROG-Partnerorganisation, hat in den Jahren 2011 bis 2013 mindestens
256 Fälle dokumentiert, in denen vornehmlich belarussische
Journalisten vorübergehend festgenommen wurden. Mehrere ukrainische
Reporter wurden im Jahr 2012 an Auslandsreisen gehindert, etwa Zhanna
Litwina, die Vorsitzende der belarussischen Journalistenvereinigung,
die am Flughafen in Minsk festgehalten wurde. Auch
Auslandskorrespondenten wurden behindert: Obwohl sie offizielle
Journalisten-Akkreditierungen hatten, wurden etwa die Kamerateams des
schwedischen Senders SVT sowie des lettischen Senders TV3 im März
2013 in Minsk vorübergehend festgenommen. Vor den Parlamentswahlen im
Jahr 2012 konnten vier Journalisten aus Deutschland und Schweden
nicht ins Land einreisen, weil die Grenzbeamten ihnen keine Visa
ausstellten.
Reporter und Redakteure können mit Verleumdungsgesetzen zum
Schweigen gebracht werden. Auch Medien können mit entsprechenden
Artikeln aus dem Strafgesetzbuch geschlossen werden. Am 18. April
2013 stufte das Aschmiani Bezirksgericht den Bildband "Belarus Press
Photo 2011" als "extremistisch" ein und ließ alle konfiszierten
Ausgaben des Buches vernichten. Kurz darauf wurde dem Verlag
Lohvinau, der die Publikation herausgegeben hatte, die Lizenz
entzogen. Eine Beschwerde der Verleger wurde im September 2013 vom
Obersten Gerichtshof abgewiesen.
Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit belegt Belarus derzeit
Platz 157 von insgesamt 180 Ländern. ROG zählt Präsident Alexander
Lukaschenko zu den Feinden der Pressefreiheit und das Operations- und
Analysezentrum (OAC) in Minsk zu den Feinden des Internets.
Mitarbeiter des OAC überwachen die Online-Kommunikation und speichern
massenhaft Daten.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Silke Ballweg / Christoph Dreyer
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