(ots) -
Eine kinderfreundliche Stadtplanung und die Möglichkeiten zum
selbstbestimmten Spielen wirken sich maßgeblich auf die
Lebensqualität und Entwicklungschancen von Kindern aus. Das stellt
die Kinderstudie "Raum für Kinderspiel!" fest, die das Deutsche
Kinderhilfswerk gemeinsam mit fünf baden-württembergischen Städten
durchgeführt hat. Während Kinder aus sehr kinderfreundlichen
Stadtteilen täglich durchschnittlich fast zwei Stunden alleine ohne
Aufsicht draußen spielen, verbringen Kinder unter sehr schlechten
Bedingungen nur eine Viertelstunde damit. Im Vergleich zu Kindern aus
sehr kinderfreundlichen Stadtteilen haben sie deshalb weniger soziale
Erfahrungen mit Gleichaltrigen, einen deutlich höheren Medienkonsum
und nutzen seltener organisierte Freizeit- und Sportangebote in ihrem
Stadtteil.
Mit den baden-württembergischen Städten Ludwigsburg, Offenburg,
Pforzheim, Schwäbisch Hall und Sindelfingen wurden für die Studie
typische Mittelstädte ausgewählt, um die bundesweite Bedeutung und
Übertragbarkeit der Studie zu gewährleisten. Die wissenschaftlichen
Untersuchungen wurden vom Freiburger Institut für angewandte
Sozialwissenschaft und der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg
durchgeführt.
Je ungünstiger die Wohnbedingungen sind, desto häufiger begründen
Eltern fehlende Spielmöglichkeiten im Umfeld der Wohnung mit
Hinweisen auf Gefahren. Das gilt sowohl für die Einschätzung von
Gefahren durch den Straßenverkehr als auch für die Annahmen der
Eltern über soziale Gefahren. Die Qualität des Wohnumfeldes hat auch
einen deutlichen Einfluss auf die Nutzung von Medien. Kinder, die in
einem sehr ungünstigen Wohnumfeld leben, nutzen Medien intensiver als
Kinder, die in einem sehr günstigen Wohnumfeld aufwachsen. In einem
"sehr günstigen" Wohnumfeld beträgt der Anteil der "Vielnutzer", also
der Kinder, die täglich zwei Stunden oder länger Medien nutzen, unter
10 %, in einem "sehr ungünstigen" Wohnumfeld war er dagegen mehr als
doppelt so hoch (22 %).
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist zudem, dass es in Gebieten
mit schlechter Wohnumfeldqualität bei vielen Kindern zu einer
sozialen Entwicklungsverzögerung kommt. In entsprechenden
Wohngebieten nimmt die Zeit, die Kinder mit zunehmendem Alter draußen
verbringen, nur geringfügig zu, während sich unter positiven
Bedingungen die draußen verbrachte Zeit und die Nutzung von
organisierten Angeboten im Stadtteil deutlich erhöhen. Die
"Verhäuslichung" von Kindern in Gebieten mit schlechter
Wohngebietsqualität verfestigt sich so betrachtet mit zunehmendem
Alter in doppelter Weise.
Der Wert des Spiels wird in bildungsfernen Bevölkerungsschichten
geringer bewertet als Lernen. Je höher die Bildung und die Ressourcen
von Eltern sind, desto eher vertreten sie die Ansicht, dass Spielen
wichtiger als Lernen ist und zeigen eine positive Einstellung
gegenüber tragbaren Risiken. Unter den heutigen Bedingungen von
gesellschaftlicher Modernisierung und Stadtentwicklung ist
"Straßenkindheit" nicht mehr ein für soziale Unterschichten typisches
Phänomen, sondern ist viel eher für Kinder aus dem Bereich
gutsituierter Mittelschichten beobachtbar - auch aus dem einfachen
Grund, dass sich das Wohnumfeld dieser Schichten im Durchschnitt sehr
viel besser für eine "Straßenkindheit" eignet.
"Unsere Studie gibt nicht nur Hinweise auf Defizite, sondern vor
allem Anregungen für eine zielgerichtete und attraktive Ausgestaltung
des öffentlichen Raums für Kinder. Wir zeigen ganz klar auf, dass
sich mit einer auf Kinder bezogenen Stadtentwicklungspolitik sehr
viel erreichen lässt. In allen Gesprächen und Diskussionsrunden in
den Kommunen konnten wir feststellen, dass überall der Wille groß
ist, die Lebensqualität und die Entwicklungschancen von Kindern zu
verbessern. Dabei kommt dem selbstbestimmten Spielen von Kindern eine
ganz entscheidende Funktion zu. Denn gute Mathematikergebnisse
erzielen nicht unbedingt die Kinder, die besonders viele
Matheaufgaben üben, sondern vor allem die Kinder, die gut auf Bäume
klettern und balancieren können", betont Holger Hofmann,
Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes.
"Ein zentrales Prinzip der Kinderstudie war es, Kinder als
Expertinnen und Experten in eigener Sache wahrzunehmen. Ãœber 100
Kinder, deren Eltern an der Befragung teilgenommen hatten, haben im
Rahmen von 20 Wohnumfeldbegehungen ihre Spielorte gezeigt. Die
Beteiligung als 'Stadtforscherinnen' und 'Stadtforscher' war ein
wesentlicher Aspekt, um die Perspektive der Kinder miteinzubeziehen.
Dadurch haben wir eine ganz neue Qualität wissenschaftlicher
Forschung erreicht. Die Themen Verkehr, Interessenkonflikte um
öffentliche und halböffentliche Räume, das Bedürfnis nach
altersgemäßen Herausforderungen und die Attraktivität und Qualität
der Spielräume waren hier zentral", erklärt Prof. Peter Höfflin vom
Institut für Angewandte Forschung der Evangelischen Hochschule
Ludwigsburg.
Das Deutsche Kinderhilfswerk hat die Kinderstudie "Raum für
Kinderspiel!" gemeinsam mit den baden-württembergischen Städten
Ludwigsburg, Offenburg, Pforzheim, Schwäbisch Hall und Sindelfingen
durchgeführt. Die Studie konzentrierte sich auf die Frage, wie sich
die Beschaffenheit des Wohnumfeldes auf den Ablauf des Kinderalltags
und auf die Lebensqualität von Kindern auswirkt. In der ersten Phase
wurden im Frühsommer 2013 Haushalte schriftlich befragt, in denen
Kinder im Alter zwischen fünf und neun Jahren leben. Die Eltern von
mehr als 5.000 Kindern haben sich in den fünf Teilnahmestädten daran
beteiligt. Als weiteres Element der Studie erfolgte eine
Wohngebietsbegehung mit Kindern. Dabei waren in den einzelnen Städten
mehrere Kindergruppen gemeinsam mit den Studienleitern in ihren
Wohngebieten unterwegs. Hier konnten die Kinder ihre Spielorte zeigen
und wurden nach ihren dortigen Eindrücken und Erlebnissen sowie ihren
Zukunftsideen für bessere Spielmöglichkeiten befragt. Zudem war die
Erstellung von ca. 2.000 Wohnumfeld-Inventaren ein weiteres zentrales
Element der Studie, für die nach dem Rücklauf der Fragebögen in den
Kommunen jeweils zehn Gebiete mit unterschiedlicher
Aktionsraumqualität, Bebauung und Sozialstruktur ausgewählt wurden.
Dabei wurden beispielsweise Gebäudestrukturen, Verkehrsregelungen und
Grün- und Spielflächen erfasst.
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