(ots) - Nach der Volkswahl ist vor der Kungelwahl: Auch wenn
die beiden stärksten Kandidaten das gerne so sehen möchten - bei
dieser Europawahl wurde keineswegs Mister Europa direkt von den
Bürgern gewählt. Der nächste Kommissionspräsident braucht nach wie
vor eine Mehrheit im neuen Europäischen Parlament plus eine Mehrheit
der Staats- und Regierungschefs. Und ob sich die nationalen Kanzler
und Präsidenten ihr Königsrecht für Europas wichtigste Personalie
entwinden lassen, ist offen. Jene Eindeutigkeit, die Wähler
herbeisehnen, kann es gerade in Europa nicht, Optimisten sagen: noch
nicht, geben. Wer was in Europa darf und sich also durchsetzen kann,
ist keineswegs so klar, wie das Brüsseler Organigramm nahelegt.
Selbst wenn der Konservative Juncker Kommissionspräsident werden
sollte (obwohl ihm Merkel schon wegen dessen Vorliebe für Eurobonds
misstraut) - mit einem Bundeskanzler vergleichbar wäre seine Position
noch lange nicht. Der deutsche Regierungschef kann sich in Absprache
mit dem Koalitionspartner sein Kabinett zusammenstellen. Europas
"Bundeskanzler" bekommt seine Minister-Mannschaft, die Kommissare,
aus den Nationalstaaten zugewiesen. Maßgeblich ist nicht das Ergebnis
der Europawahl, sondern wer in den Nationalstaaten regiert. Dies
zeigt: Auch nach dieser Wahl ist Europa weit entfernt von einem
Bundesstaat. Wir haben vielmehr ein Europa der Vaterländer. Der
kleinste Nenner gibt das Tempo an, nicht der größte Wunsch. Die
Europawahl wird Europas Einigkeit eher nicht befördern, siehe
Ukraine-Politik. Die Länder in Osteuropa, die unter sowjetischer
Knute leben mussten, wünschen sich aus Furcht vor Putins
neoimperialem Russland Nato-Truppen an ihre Grenzen, West- und
Südeuropäer winken ab. Viel mehr als von der Europawahl hängt die
Haltung des Westens zur Ukraine-Krise von zwei wichtigen Personalien
ab. Als Nato-Chef wird der Falke Rasmussen von der Taube Stoltenberg
ersetzt. Und der neue, demokratisch gewählte Präsident der Ukraine
gehört zum eher gemäßigten Lager. Schon bald gibt es wohl eine neue
Ostpolitik.
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