(ots) - Ungarn: ROG kritisiert abrupte Absetzung von
Chefredakteur eines Nachrichtenportals
04.06.2014 - Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert die abrupte
Absetzung von Gergö Saling, Chefredakteur des zur Deutschen Telekom
gehörenden, unabhängigen Online-Nachrichtenportals Origo.hu in
Ungarn. Origo.hu hat in den vergangenen Wochen eine Reihe kritischer
Artikel über Janos Lazar, den Büroleiter von Ministerpräsident Viktor
Orban veröffentlicht. Am Montagabend wurde Salings Vertrag dann
plötzlich gekündigt. Saling zufolge sei die Kündigung nicht "auf
seine Initiative" hin geschehen. Beobachter und auch Mitglieder der
Redaktion führen die Entscheidung jedoch auf die Berichterstattung
zurück. In einem öffentlichen Schreiben machte die Redaktion am
Dienstag ihrem Unmut Luft und betonte, mit der Absetzung nicht
einverstanden zu sein. In der Budapester Innenstadt demonstrierten
rund 1000 Menschen gegen die Entscheidung.
"Nach ihrem jüngsten Wahlsieg will die Regierung von Viktor Orban
offenbar weitere kritische Stimmen im Land zum Schweigen bringen und
auch die Zivilgesellschaft in ihre Schranken weisen", sagt
ROG-Vorstandssprecherin Astrid Frohloff in Berlin. "Die Absetzung von
Gergö Saling als Chefredakteur von Origo.hu ist ein herber Schlag für
den unabhängigen Journalismus in Ungarn und kein gutes Zeichen für
die weitere Entwicklung des Landes."
Origo.hu hat während der vergangenen Wochen berichtet, der
Orban-Vertraute Janos Lazar habe bei einer Reihe von nicht näher
erläuterten Auslandsreisen Hotelrechnungen aus öffentlichen Mitteln
bezahlt. Unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz hat
Origo.hu Hintergründe zu den Reisen gefordert und, nachdem die
Behörden die Herausgabe der Informationen verweigerten, vor Gericht
schließlich auf Akteneinsicht geklagt. Daraufhin gab Lazar
vergangenes Wochenende bekannt, er werde die entsprechenden
Rechnungen privat begleichen - ein Schritt, der ihn vor einer
Offenlegung der Angelegenheit schützt. Am Montagabend dann wurde
Origo-Chefredakteur Saling gekündigt.
Die Deutsche Telekom erklärte in einer Stellungnahme gegenüber
ROG, die Veränderungen bei Origo.hu seien das Resultat interner
Umstrukturierung, auf die die Deutsche Telekom "zu keinem Zeitpunkt
Einfluss genommen habe". Origo.hu gehört zur ungarischen
Tochtergesellschaft Magyar Telekom.
Auch mit Steuererhöhungen will Ungarns Regierung offenbar
kritische Medien unter Druck setzen. Vergangenen Montag gab
Wirtschaftsminister Mihaly Varga bekannt, die Regierung plane
zusätzliche Abgaben auf Werbeeinnahmen im Medienbereich. Vor allem
unabhängige Publikationen, die ohnehin über geringen finanziellen
Spielraum verfügen, könnten dadurch in Bedrängnis kommen.
Seit ihrem neuerlichen Wahlsieg kritisiert die Regierung von
Ministerpräsident Viktor Orban auch die Finanzierung unabhängiger
NGOs durch Norway Grants, ein Förderprogramm von Europäischer Union
mit Norwegen, Island und Lichtenstein in wirtschaftsschwachen
Ländern. Die Regierung wirft dem Programm vor, in Ungarn nur linke,
regierungskritische NGOs zu finanzieren, etwa die bekannte Webseite
für investigativen Journalismus Atlatszo. Die Regierung moniert
zudem, dass die Gelder von einem ungarischen Stiftungskonsortium
verwaltet werden, das der grünen Partei nahesteht. Da diese nach den
Wahlen im April ins Parlament eingezogen ist, bezeichnet die
Orban-Regierung die Zusammenarbeit nun als einseitige Förderung einer
politischen Gruppierung und spricht von Einmischung. Um wieder
Unabhängigkeit zu erlangen, sollte der Regierung zufolge ein
staatliches Amt in Ungarn künftig die Gelder verwalten.
Seit der Wahl Orbans zum Ministerpräsidenten im Jahr 2010 hat sich
die Situation der Medien in Ungarn insgesamt dramatisch
verschlechtert. Die damals neu erlassenen Mediengesetze verlangen
etwa eine "ausgewogene Berichterstattung", die weder "öffentliche
Moral" noch die "menschschliche Würde" verletzen darf. Schwammige
Forderungen, die zu Selbstzensur geführt haben, denn sie werden von
der mächtigen Nationalen Medien- und Kommunikationsbehörde NMHH und
dem Medienrat überwacht. Die Mitglieder dieser Gremien sind von der
Regierung ernannt und sie können hohe Geldstrafen verhängen, wenn die
Medien gegen die Vorgaben verstoßen. Auf diese Weise wird Druck auf
die Radio- und Fernsehsender ausgeübt.
Auch die staatlichen Medien wurden 2010 und 2011 enger miteinander
verschränkt. Nahezu alle Angestellten des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks wurden mit der Nachrichtenagentur Magyar Tavirati Iroda
(MTI) in die übergreifenden "Mediendienstleistungs- und
Vermögensfonds" (MTVA) überführt. Die regierungsnahe
Nachrichtenagentur MTI bietet ihre Dienste seither kostenfrei an.
Dieser Schritt hat zu einer massiven Verdrängung anderer Wettbewerber
auf dem Markt geführt, da MTI vor allem bei finanzschwachen Medien
zum alleinigen Nachrichtenlieferanten geworden ist. Mehrere hundert
Redakteure, darunter viele regierungskritische Journalisten, haben im
Zuge der Veränderungen in den vergangenen Jahren ihre Arbeit
verloren.
Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Ungarn auf Platz 64
von 180 Ländern.
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