(ots) -
Sonntag, 27. Juli 2014, 0.00 Uhr
Precht
Affenliebe - Wo ist die Grenze zwischen Mensch und Tier?
Richard David Precht im Gespräch mit Prof. Hans Werner Ingensiep,
Biologe und Philosoph
Menschen und Schimpansen unterscheiden sich in ungefähr nur einem
Prozent ihrer genetischen Ausstattung voneinander. Biologisch
betrachtet sind sie näher miteinander verwandt als Pferde und Esel.
Menschenaffen teilen mit uns Lachen und Trauer, Brutpflege, Zuneigung
und Fürsorge, List, Täuschung und Verrat. Und doch trennen wir
Menschen uns selbst von den Menschenaffen als "Menschen" und "Tiere".
Ist diese alte Trennung heute noch zeitgemäß, wenn sie biologisch
offensichtlich falsch ist? Müssen wir die Sichtweise unserer nahen
Verwandten, den Menschenaffen, nicht revidieren? Verläuft die neue
"natürliche" Grenze, die Menschen von Tieren trennt, jetzt zwischen
Orang-Utans und Gibbons, statt zwischen Mensch und Schimpanse?
Richard David Precht diskutiert darüber mit dem Philosophen und
Biologen Hans Werner Ingensiep, Professor an der Universität
Duisburg-Essen, einem der weltweit besten Kenner des schillernden und
oft kuriosen Verhältnisses zwischen Menschen und Menschenaffen.
Unsere Beziehung zu unseren nächsten Verwandten, den Affen, ist
gekennzeichnet durch viele Widersprüche: Wir finden sie niedlich und
drollig, aber auch garstig und abscheulich. Im 19. Jahrhundert fragte
sich Darwins Gegenspieler, der Bischof Samuel Wilberforce nach einem
Besuch im Londoner Zoo, wie Gott etwas so Widerwärtiges wie die Affen
erschaffen konnte. Den Mayas galten Affen als der letzte verpfuschte
Versuch Gottes, bis es ihm gelang, den Menschen zu erschaffen. Und
die Ureinwohner Borneos glaubten, dass Orang-Utans Menschen seien,
die nur deshalb schweigen würden, weil sie zu faul zum Arbeiten
wären. Seit Charles Darwin wissen wir, dass wir tatsächlich mit den
Affen verwandt sind und uns aus gemeinsamen Vorfahren entwickelt
haben.
Tierrechtler wie der australische Philosoph Peter Singer fordern seit
20 Jahren sogar "Menschenrechte" für die Großen Menschenaffen
Schimpanse, Bonobo, Gorilla und Orang-Utan. Gemeint sind das Recht
auf Leben, der Schutz der individuellen Freiheit und das Verbot der
Folter. Doch was bedeutet es konkret, Menschenaffen "Rechte"
einzuräumen? Dürfen wir sie dann noch in Zoos halten? Fallen sie
damit nicht mehr unter die Bestimmungen des Artenschutzes, sondern
unter die Menschrechts-Deklaration der UNO? Neben solchen praktischen
Erwägungen berührt der Gedanke, Menschenrechte für Menschenaffen
einzuräumen, die Grundfesten unseres Selbstverständnisses in der
Welt. Wie und als was sehen wir uns im Verhältnis zu unseren
nicht-menschlichen oder doch sehr menschlichen Verwandten?
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