(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) ist besorgt über
zunehmende Einschränkungen der Pressefreiheit in Ecuador seit
Inkrafttreten eines neuen Mediengesetzes vor einem Jahr. In einem
ausführlichen Bericht hat ROG nun dokumentiert, wie das umstrittene
Gesetz zu einer Häufung staatlicher Eingriffe in die Arbeit von
Journalisten und Medien beiträgt. (http://bit.ly/1iUmjEj) Im Zeitraum
von Juni 2013 bis Juni 2014 zählte die Organisation neun Fälle
direkter Zensur, 18 erzwungene Korrekturen und 16
Verleumdungskampagnen gegen Journalisten.
"Ecuadors Regierung benutzt das Mediengesetz, um den
Informationsfluss stärker denn je zu kontrollieren und kritische
Meinungen zu unterdrücken", kritisierte ROG-Geschäftsführer Christian
Mihr. "Das Verfassungsgericht sollte zügig über die Klagen
entscheiden, die gegen das Gesetz anhängig sind. Einige der neuen
Vorschriften müssen in jedem Fall geändert werden."
Das Ende Juni 2013 in Kraft getretene Gesetz schreibt unter
anderem ein Recht auf "verifizierte, ausgewogene, präzise und
kontextualisierte" Information über Angelegenheiten von öffentlichem
Interesse fest. Auch beschreibt es Information als "öffentliches Gut"
und macht sie damit zum Gegenstand staatlicher Regulierung.
(http://bit.ly/1nZ7dt1)
Die Folge solcher Regelungen sind Beschwerden, wie sie am 4. und
5. Juni bei der neugeschaffenen Medienaufsichtsbehörde Supercom
eingereicht wurden: Die Tageszeitungen La Hora, El Universo, El
Comercio und Hoy hatten nach Ansicht der Beschwerdeführer nicht
ausreichend über einen Chile-Besuch von Präsident Rafael Correa
berichtet. Damit hätten sie gegen das Verbot der Vorabzensur
verstoßen, worunter das Gesetz das "vorsätzliche und wiederholte
Versäumnis" versteht, Themen von öffentlichem Interesse aufzugreifen.
Hoy kündigte inzwischen an, nicht zuletzt wegen der neuen
Einschränkungen seine gedruckte Ausgabe einzustellen. Das Gesetz
erschwere Investitionen in Medien und habe unter anderem zu einem
"permanenten Anzeigenboykott" geführt, schrieb die Zeitung am
vergangenen Sonntag in einem Leitartikel. (http://bit.ly/1lvxEoL) Es
erzwinge Selbstzensur und schaffe zusammen mit den übrigen
Beeinträchtigungen seit dem Amtsantritt von Präsident Rafael Correa
Bedingungen, die "für die Entwicklung einer freien Presse absolut
ungünstig" seien.
Völlig offen ist bislang, wie die im Gesetz vorgesehene, von ROG
ausdrücklich begrüßte Neuverteilung der Rundfunkfrequenzen
(http://bit.ly/1rbZj5Z) in die Praxis umgesetzt werden soll.
Staatliche, private und nichtkommerzielle Medien sollen künftig im
Durchschnitt etwa gleich viele Frequenzen erhalten. Dies würde eine
deutliche Aufwertung der sogenannten radios comunitarias bedeuten,
die eine wichtige Funktion insbesondere für die indigene Bevölkerung
haben. Bisher ist jedoch nicht erkennbar, wer nach welchen Kriterien
über die Neuverteilung entscheiden könnte.
UNLIEBSAME KRITIK MUSS "KORRIGIERT" WERDEN
Zu den unmittelbaren Folgen des Mediengesetzes zählen erzwungene
Korrekturen, die weit über eine Richtigstellung sachlicher falscher
Informationen hinausgehen. So musste der Karikaturist Xavier Bonilla
auf ultimative Weisung der Medienaufsicht eine "korrigierte" Fassung
(http://tinyurl.com/m97kyhx) einer Bildserie veröffentlichen, in der
er eine Razzia bei einem Journalisten und Polizeiberater kritisiert
hatte. (http://bit.ly/1k9Yoev) Zusätzlich musste die Zeitung El
Universo, in der die Karikatur erschien, eine Strafe von zwei Prozent
ihres Quartalsumsatzes zahlen.
In der Provinz Esmeraldas geriet die Sendung "Vision 360" des
Fernsehsenders Ecuavia ins Visier der Supercom, weil sie mit
Berichten über den Mord an einem Bürgermeister und über ein Klima der
Gewalt ein negatives Bild der Region gezeichnet habe. Am 25. Mai
wurde die Sendung mit einer sogenannten cadena unterbrochen - einer
amtlichen Verlautbarung, die im laufenden Programm ausgestrahlt
werden muss. Darin verlangte die Gouverneurin von Esmeraldas unter
Berufung auf das Mediengesetz eine umgehende Korrektur und eine
öffentliche Entschuldigung für die Berichte.
Eine politische Talkshow der Radiosender Exa FM und Democracia FM
wurde im Mai gleich dreimal binnen einer Woche durch cadenas
unterbrochen. Als sich Moderator Gonzalo Rosero dagegen beschwerte,
verlangte die Supercom, er solle eine Meinungsäußerung über die
umstrittenen Pläne zur Erdölförderung im Yasuni-Nationalpark
korrigieren.
Ecuadors Präsident Correa betreibt seit seinem Amtsantritt 2007
eine systematische Kampagne zur Dämonisierung vor allem privater
Zeitungen und Rundfunksender, denen er die Verquickung von
Journalismus und Geschäftsinteressen vorwirft. Wiederholt hat er
Nachrichtenmedien als Saboteure seiner "Bürgerrevolution" beschimpft
oder einzelne Journalisten öffentlich an den Pranger gestellt.
Regierungsmitglieder dürfen auf Anweisung des Präsidenten keine
Interviews an Privatmedien geben.
In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit steht Ecuador auf
Platz 95 von 179 Staaten - eine Verbesserung um 25 Plätze im
Vergleich zum Vorjahr. Beobachter haben diese Verbesserung zum Teil
auf das neue Mediengesetz zurückgeführt. Tatsächlich ist sie jedoch
vor allem dem Umstand geschuldet, dass in Ecuador 2013 anders als im
Jahr zuvor kein Journalist wegen seiner Arbeit ermordet wurde. Zudem
wurde die relative Platzierung in der Rangliste durch eine
verschlechterte Situation in anderen Ländern beeinflusst. Die nun
dokumentierten Folgen des neuen Mediengesetzes dürften in der
Rangliste 2015 berücksichtigt werden.
Den vollständige ROG-Bericht zum neuen Mediengesetz Ecuadors
finden Sie unter http://bit.ly/1iUmjEj, weitere Informationen zur
Situation der Journalisten in dem Land unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/ecuador/.
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Silke Ballweg / Christoph Dreyer
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