Eisblaues, kühles Licht überflutet die alptraumhafte Szene, die sich vor einer Menge aus stummen Gesichtern abspielt: Die Frau im roten Kleid stößt den Mann. Fest. Er fällt. Sie setzt nach, holt aus und tritt ihm mit voller Wucht in den Magen. Er krümmt sich vor Schmerzen, hält sich die Mitte. Plötzlich wirbeln unzählige, silberfarbene Flitterpartikel über den Platz, die erst nach minutenlangem Tanz wie unmögliche Schneeflocken auf den Mediapark und das dortige Geschehen herabsinken.
(firmenpresse) - Das Stück Blind, Teil der Open Air-Eröffnung des Sommer Köln am vergangenen Wochenende, war nichts für schwache Nerven. Vergewaltigungen, nackte Haut, Tod – die Streetart-Theatergruppe KTO aus Krakau beschönigte nicht, sondern zeigte menschliches Verhalten in Reinkultur. Harter Tobak, der auf den ersten Blick nicht zu der rheinisch-fröhlichen Veranstaltungsreihe passen will, die von der künstlerischen Leiterin Priska Höflich für die SK Stiftung Kultur der Sparkasse KölnBonn schon seit 25 Jahren betreut wird. Doch das ernste, verstörende und offene Stück, das auf dem Roman von Nobelpreisträger José Saramago basiert, hat eben nicht nur den Zweck zu unterhalten. Kultur sei auch ein politisches Werkzeug, so Höflich, die die Schauspieler aus Polen für die Veranstaltungsreihe eingeladen hat, die in diesem Jahr zum ersten Mal in Kooperation mit dem Rheinischen Kultursommer stattfindet.
„Natürlich hat man einen Kloß im Hals, wenn man dort zuschaut. Es geht einfach um ein brutales Thema. Aber wir haben uns bewusst für dieses Stück entschieden, vor dem Hintergrund der politischen Schwierigkeiten in der Ukraine. Wir müssen uns damit auseinander setzen, um besser zu verstehen. Die Nachrichten berichten immer einseitig, ob deutsch, polnisch oder russisch. Und deshalb haben wir gedacht, wir holen ein polnisches Straßentheater, um zu verstehen, was für die Menschen dort wichtig ist.“
Auch das Vorprogramm orientierte sich an dem inoffiziellen Motto des Abends, den Zuschauern das osteuropäische Leben näher zu bringen. Die Folkmix-Band HopStopBanda setzt sich aus Multi-Kulti Mitgliedern zusammen, zu denen neben chilenischen, jüdischen und deutschen Wurzeln auch weißrussische und tatarische hinzu kommen.
„Das zeigt, wie übergreifend Kultur sein kann“, so Höflich weiter. „Man genießt zusammen, man ist geschockt, man ist begeistert. Und darüber lernt man viel mehr als rein analytisch. Der Abend berührt emotional.“
Das sahen auch die rund dreitausend Zuschauer so, von denen sich viele schon Stunden vor Beginn der Veranstaltung am Mediapark einfanden, um den strahlenden Sonnenschein am Seeufer zu genießen. Der mitreißende Sound von Gitarre, Akkordeon, Schlagzeug und Bass der HopStopBandas unterstrichen die Gute-Laune Stimmung des warmen Sommertags und lösten schon nach wenigen Liedern den Drang zum Tanzen aus. Unter tosendem Applaus verabschiedeten sich die Musiker nach zwei Stunden in den verdienten Feierabend.
In der anschließenden Pause versorgten sich die meisten Kölner mit Würstchen und kalten Getränken, bevor Geigenklänge die Zuschauer in Richtung der ebenerdigen Schauspielbühne lockten. Die klassische Musik bereitete den Stimmungswechsel vor, den Blind auslöste. Denn bald verwandelte sich die fröhlich plaudernde Menge in nachdenkliche und hoch konzentrierte Zuschauer, während sich die komplexe Geschichte des polnischen Straßentheaters in die einbrechende Dunkelheit hinein entwickelte:
In einer namenlosen Stadt geht eine Epidemie um sich, die Blindheit verursacht. Nur eine Frau bleibt wie durch ein Wunder verschont. Aus Liebe zu ihrem Mann lässt sie sich mit ihm und den anderen Erkrankten in eine Anstalt sperren, damit das rätselhafte Leiden nicht um sich greift. Ohne Hilfe und Kontakt zur Außenwelt lässt sich der Teil der Psyche bald nicht mehr kontrollieren, der uns zu rationalen, gesellschaftsfähigen Menschen macht.
Das Stück unter der Regie von Jerzy Zon kam ganz ohne Dialoge aus. Die Performance der Schauspieler, die ihre Seelen und Körper entblößten, entfaltete seine Wirkung durch den Einsatz von Musik und Lichtinstallationen. Die Stille des Publikums während der anspruchsvoll choreografierten Szenen war fast mit den Händen greifbar. Der Applaus am Ende der Vorführung fiel andächtig, doch kraftvoll und langanhaltend aus. Eine Reaktion, die KTO-Urgestein Zon zufrieden nicken ließ:
„In Polen wollen wir uns nur an die 80er Jahre erinnern. Vorher gab es nur die Farben Schwarz und Weiß. Es herrschte Krieg, Kommunismus. Das Theater gab uns die Möglichkeit, den Straßen Farbe zu verleihen. Es ist eine andere Möglichkeit, uns auszudrücken, die ich sehr liebe. Natürlich bin ich der Regisseur und muss das sagen, aber es stimmt wirklich.“
1977 gründete sich die Schauspieltruppe als reine Studentenvereinigung. Seitdem hat sich die Gruppe zum bekanntesten Straßentheater Europas entwickelt. Zu Köln haben die Künstler einen besonderen Bezug.
„Der erste Auftritt im Ausland, den wir jemals hatten, fand hier in Köln statt“, so Zon. „Es handelte sich um einen Auftritt von sechs polnischen und sechs deutschen Gruppen. Jede Gruppe sollte nur einmal spielen. Doch das kam so gut an, dass wir eine zweite, ungeplante Show zum Besten gaben. Und jetzt spielen wir zum ersten Mal wieder hier. Deutsche lieben meine Stücke, weil sie erkennen, wie poetisch sie sind.“
Der Auftakt des Sommer Köln war ein voller Erfolg. Bis zum 18.08.2014 wird die Veranstaltungsreihe fester Bestandteil der Stadt, mit 45 Veranstaltungen für Jung und Alt. Keine gleicht der anderen und doch mit einem gemeinsamen Ziel: Köln wird zur Bühne. Ob Akrobatik, Theater, Kunstaktionen oder interaktive Veranstaltungen wie der Singende Biergarten (bei dem jede Kölsche Frohnatur ihr Gesangstalent zum Besten geben kann). Der Eintritt ist frei. Nähere Informationen gibt es im Netz unter http://www.sommerkoeln.de. Sommer Köln ist eine Veranstaltung der SK Stiftung Kultur und der Stadt Köln (Kulturamt und Stabsstelle Events) in Kooperation mit dem Rheinischen Kultursommer.
Eine Veranstaltungsübersicht des Rheinischen Kultursommers finden Sie hier:
www.rheinischer-kultursommer.de und facebook|kulturfreak
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