(ots) - Stasi-Unterlagen-Beauftragter: "Auch in der
Diktatur scheint die Sonne - aber nicht jederzeit für jeden"
Behördenchef Jahn plädiert für einen differenzierten Umgang mit
der DDR-Vergangenheit - mehr als drei Millionen Anträge auf
Akteneinsicht verarbeitet
Osnabrück.- Roland Jahn, Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, hat
für einen differenzierten Umgang mit der DDR-Vergangenheit plädiert.
Im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag) sagte
Jahn: "Auch in der Diktatur scheint die Sonne - aber nicht jederzeit
für jeden." Jahn, der seit drei Jahren der Stasi-Unterlagen-Behörde
vorsteht, war einst selbst Opfer des SED-Regimes und in einem
DDR-Gefängnis inhaftiert. Aus diesem Grund habe der 25. Jahrestag des
Mauerfalls in diesem Jahr für ihn "eine ganz persönliche Bedeutung",
erläuterte er. "Mit dem Fall der Mauer war es mir möglich, wieder
nach Hause zu fahren, nach Jena. Sechs Jahre zuvor war ich gewaltsam
aus der DDR herausgebracht worden", erinnerte er sich. Insgesamt
werde "mit dem Mauerfall deutlich, dass Menschen es geschafft haben,
Gesellschaft zu verändern", so Jahn. "Sie haben erreicht, was viele
nicht für möglich hielten, nämlich dass die Mauer als Ausdruck einer
Diktatur in der DDR gefallen ist. Heute sei "wichtig, die Menschen
bei ihren Erlebnissen abzuholen" und "das gesamte Bild" zu
betrachten, forderte Jahn, der 1953 in Jena zur Welt kam.
Der Bundesbeauftragte betonte weiter die besondere Bedeutung der
historisch einmaligen Aktensammlung im Stasi-Unterlagen-Archiv: "Es
sind ja nicht nur Akten, die die Arbeit der Geheimpolizei
dokumentieren, sondern sie sind auch Zeugnisse des Freiheitswillens
von Menschen. Diese Akten zeigen uns das ganze System, die
Herrschaftsmechanismen der SED-Diktatur insgesamt". In diesem
Zusammenhang lobte Jahn die im Juli vom Bundestag eingesetzte
Expertenkommission, welche Empfehlungen für den zukünftigen Umgang
mit dem Archivmaterial geben soll. Jahn sagte dazu: "Das Signal war
eindeutig: Es gibt keinen Schlussstrich zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur. Die Akten bleiben offen." Dass die Anfragen im Laufe
der Jahre zurückgingen, sei "logisch", erklärte Jahn. Jedoch gebe es
"immer wieder neue Aspekte" für Forschung, Medien und Bildungsarbeit.
Insgesamt seien bisher "über drei Millionen Anträge auf persönliche
Akteneinsicht eingegangen", so Jahn.
Mit Blick auf die aktuelle NSA-Spähaffäre erklärte Jahn in der
"Neuen Osnabrücker Zeitung", dies offenbare, wie wichtig es sei,
"sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen". Er könne nur
"ermuntern, dass man heute mit dem Wissen darum, wie es früher in der
Diktatur war, die Stopp-Zeichen" setze. Jedoch dürfe man die
NSA-Affäre keinesfalls einfach gleichsetzten mit den
Stasi-Spähaktionen, betonte er. "Das würde die Opfer der SED-Diktatur
verhöhnen und auch den Blick in die Gegenwart vernebeln." Methoden
seien häufig gleich, jedoch gebe es "einen Unterschied im System":
"In der Diktatur war die Geheimpolizei dazu da, Menschenrechte zu
unterdrücken und die Macht einer Partei zu sichern. In der Demokratie
ist der Geheimdienst dazu da, Freiheit und Menschenrechte zu
sichern", erklärte Jahn.
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