(ots) - Die Entscheidung der Schotten, das Vereinigte
Königreich doch nicht zu verlassen, ist dreidimensional. Dimension 1:
Wir können aufatmen. Aufatmen, dass die Horrorszenarien, die wir uns
in den vergangenen Tagen für den Fall eines Auseinanderbrechens
Großbritanniens ausgemalt haben, nicht über uns kommen werden. Was
für ein Glück, dass wir nicht Zeugen eines wahrhaft historischen
Prozesses werden, dessen destruktive Wirkung kaum geringer
ausgefallen wäre als die positive Wirkung der Deutschen Einheit.
Dimension 2: Wir können die demokratische Kultur der Briten loben.
Gerade wir Deutschen mögen mit Respekt darauf schauen, wie sich eine
Gesellschaft traut, Tabufragen des nationalen Separatismus in den
Wettstreit der Argumente zu geben und das Volk darüber entscheiden zu
lassen. Was für eine Wahlbeteiligung! Welcher Grad an Politisierung
aller Alters- und sozialen Schichten ging dieser nationalen
Selbstbestimmung voraus! Doch dieser Blickwinkel ist ausschließlich
ergebnisabhängig. Mit einem Schaudern dürfen wir schon auf das
nächste Referendum schauen, das der britische Premierminister für den
Fall seiner Wiederwahl angekündigt hat: eine Volksabstimmung über
Austritt oder Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union.
Dann könnten sich die Schotten - die überzeugtesten Europäer im
Königreich - mit einem Mal von den Engländern aus der EU geworfen
sehen.
Mehr Föderalismus täte Europa gut
Dimension 3: Wir müssen mit Sorge auf die anderen
Separatistenbewegungen in Europa schauen. Der Sieg der Unionisten in
Schottland bremst die Unabhängigkeitsbewegungen in Katalonien, im
Baskenland, in Südtirol, in Korsika und in Flandern ja mitnichten
aus. Diese sehen sich vielmehr beflügelt, das gleiche Recht auf
Selbstbestimmung einzufordern. Insofern markiert das Referendum nicht
das Ende einer Entwicklung, sondern ihren Anfang. Einer Entwicklung,
in der die Staaten ihren Regionen mehr Autonomierechte einräumen
müssen, um die Kraft des Separatismus zu brechen. Die britische
Regierung sah sich bereits gezwungen, den Regionen weitreichende
Zusagen zu geben. Das mag man als lästigen Preis ansehen. Man kann
diese Föderalisierung aber auch als Chance betrachten. Gerade
Deutschland sollte für dieses Erfolgsmodell werben. Weniger
Zentralität und mehr Eigenverantwortung sind klassische Instrumente
für eine ausgeglichenere Entwicklung verschiedener Landesteile. Damit
könnten sie mittelbar auch ein Treiber für den Abbau des gefährlichen
Nord-Süd-Gefälles in Europa sein.
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Florian Giezewski
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