(ots) -
Rund 225.000 Kinder leben in Haiti als so genannte "Restaveks".
Sie stammen aus armen Familien, die in ländlichen Gebieten, aber auch
im Großraum von Port-au-Prince leben. Weil die Eltern ihre Kinder
weder ausreichend versorgen, noch ihnen Bildung ermöglichen können,
geben sie ihre Töchter und Söhne in die Obhut von besser gestellten
Familien in Port-au-Prince. Sie hoffen, dass ihre Kinder dort
genügend zu essen bekommen und eine Schule besuchen dürfen. Als
Ausgleich sind die Kinder angehalten im Haushalt der Gastfamilie
mitzuhelfen. Doch meist werden die Mädchen und Jungen in diesen
Gastfamilien als Sklaven gehalten: Sie müssen zwischen zehn und 16
Stunden am Tag im Haushalt arbeiten und der erhoffte Schulbesuch
bleibt ein unerfüllter Traum. Um auf das Problem der Kindersklaven
hinzuweisen, fand Ende August im nationalen Fußballstadion von
Port-au-Prince eine ganz besondere Veranstaltung statt: Nach dem
Vorbild des Gesangswettbewerbs "Deutschland sucht den Superstar",
gaben elf haitianische Talente ihr Bestes, um den Wettbewerb "Haitis
Superstar" für sich zu entscheiden. Der Wettbewerb stand unter dem
Motto: "Nap rive peyi san restavek", zu Deutsch: "wir werden ein Land
ohne Restaveks sein". Dementsprechend befassten sich alle Titel mit
dem Thema Kindersklaverei.
Anna wurde drei Jahre lang als Kindersklavin gehalten
Eines der Kinder, das jahrelang als Restavek bei einer fremden
Familie leben musste, ist Anna (Name geändert). Das Mädchen wurde
unterernährt und bewusstlos vor einem Krankenhaus des
Kinderhilfswerks nuestros pequeños hermanos (nph) aufgefunden.
Nachdem es Anna besser ging, kam sie ins Kinderdorf der Organisation
in Tabarre (Großraum Port-au-Prince). Dort sprach sie zögerlich über
ihre Erfahrungen als Kindersklavin: In allen drei Familien, in denen
sie als fremdes Kind lebte, musste sie für die gesamte Familie
kochen, das Haus sauber halten und die Kinder der Familie betreuen.
Sie wurde misshandelt und durfte nicht zur Schule gehen. Ob Anna
schlafen durfte oder etwas zu essen bekam, hing von der Laune der
Hausmutter und der übrigen Gastfamilie ab. Wie Anna ergeht es fast
allen Restaveks. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)
wiegt ein durchschnittlicher 15-jähriger Restavek durch die
Unterernährung rund 20 Kilogramm weniger als ein Nicht-Restavek und
ist vier Zentimeter kleiner. Und das, obwohl die meisten
Kindersklaven die Mahlzeiten zubereiten.
Haiti ist auf Platz zwei des Globalen Sklaverei-Index
Weltweit leben heute rund 30 Millionen Menschen in
sklavenähnlichen Verhältnissen. Zu dieser Einschätzung kommt der
Globale Sklaverei-Index 2013 der australischen Stiftung Walk Free. Er
listet 162 Staaten auf. Im Verhältnis zur Bevölkerung ist Haiti -
nach Mauretanien - der Staat mit dem höchsten Anteil an Sklaven.
Allerdings geht die Stiftung Walk Free von einer weiter gefassten
Definition von Sklaverei aus. Dazu zählen auch Schuldknechtschaft,
Zwangsheirat oder Menschenhandel. Dennoch erstaunt es, dass gerade
Haiti in Bezug auf moderne Sklaverei den zweiten Platz einnimmt. Denn
Ende des 18. Jahrhunderts fand in dem Karibikstaat der einzige
erfolgreiche Sklavenaufstand gegen die Kolonialmacht Frankreich
statt. Er endete mit der Abschaffung der Sklaverei und der Gründung
der ersten schwarzen Republik, die auf den Grundwerten der
französischen Revolution basierte - Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit. "Es gibt mehrere Gründe für die moderne Art der
Sklaverei in Haiti. Zu nennen sind die hohe Armut der Bevölkerung,
die hohe Geburtenrate und ein weit verbreiteter Analphabetismus",
führt Heiko Seeger aus. Seeger ist Geschäftsführer von nph
deutschland, dem deutschen Zweig des internationalen Kinderhilfswerks
nuestros pequeños hermanos. "Die Gastfamilien halten ihre Versprechen
auch deshalb nicht, weil aufgrund des Mangels an fließendem Wasser
oder fehlender Kühlung genug Aufgaben im Haushalt anfallen, die von
den Gastfamilien gerne an die kostenlosen Arbeitskräfte delegiert
werden", so Seeger weiter. Inzwischen vermitteln auch skrupellose
Menschenhändler Kindersklaven an Gastfamilien.
Regierung verbietet Menschenhandel
Im Juni verabschiedete das haitianische Parlament einen
Gesetzentwurf zum Verbot des Menschenhandels. Dieses Gesetz, das
Menschenhandel mit bis zu 15 Jahren Gefängnis unter Strafe stellt,
könnte ein erster Schritt zur Bekämpfung der Kindersklaverei in Haiti
sein. Bislang ist allerdings nichts über eine Strafverfolgung von
Menschenhändlern oder Familien, in denen Restaveks leben, bekannt
geworden. So ist das Gesetz ein zahnloser Tiger, wie bereits im
Vorfeld von zahlreichen Kritikern befürchtet. Sie hatten die Sorge
geäußert, dass die haitianischen Behörden nicht in der Lage sein
werden für die Einhaltung des Gesetzes zu sorgen.
Durch das kostenlose Konzert im nationalen Fußballstadion, bei dem
tausende Zuhörer dabei waren, wurde das Thema Kindersklaverei wieder
in das Bewusstsein der Menschen gerückt und bleibt dadurch aktuell.
Die drei besten Sänger konnten sich über Geldpreise freuen: 1000
Dollar erhielt der dritte Platz, 2000 Dollar der zweite und 4000
Dollar der Gewinner. In einem Land, in dem 80 Prozent der Bevölkerung
von weniger als zwei Dollar am Tag leben müssen, ist das viel Geld.
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