(ots) - Digitale Geschäftsmodelle und ihre Regulierung,
die aktuelle Transformation des (On-line-)Fernsehens und die Frage
nach publizistischer Qualität: Bei der Auftaktveranstaltung der
MEDIENTAGE MÃœNCHEN wurde deutlich, wie eng diese Themenfelder
zusammenhängen, wenn es darum geht, Orientierung in einer digitalen
Medienwelt zu schaffen. Als zentrale Ãœberschrift diente dabei das
Kongress-Motto "Kein Spaziergang. Wege zur digitalen
Selbstverständlichkeit". "Letzten Endes setzt sich immer wieder
Qualität durch", antwortete der Bayerische Ministerpräsident Horst
Seehofer, als er bei einem Interview auf dem Podium von Moderatorin
Jeannine Michaelsen nach seiner Prognose für zukünftige
Medienentwicklungen befragt wurde. Die Politik habe die Aufgabe,
unterschiedliche Interessen auszugleichen und auszubalancieren. Es
gehe darum, in der Internetwelt möglichst viele Dinge zu ermöglichen,
etwa die Erfassung und Analyse digitaler Daten zum Wohle der
Menschen. In Anspielung auf Diskussionen über die große Marktmacht
amerikanischer Online-Konzerne merkte Seehofer schlicht an: "Ich
schimpfe nicht über Google, ich nutze es." Selbstbewusst gelte es,
sich eigene Geschäftsmodelle für ähnliche Erfolge auszudenken. Am
Ende würden Menschen immer diejenigen Medien bevorzugen, von denen
sie sich den größten Nutzen versprechen. Das gelte auch für das
Fernsehen. Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen
Landeszentrale für neue Medien (BLM) und Vorsitzender der
Gesellschafterversammlung der MEDIENTAGE MÃœNCHEN, sagte, angesichts
von Digitalisierung und Globalisierung sei ein fairer Wettbewerb nur
möglich, wenn für alle Wettbewerber vergleichbare rechtliche
Rahmenbedingungen gelten würden: "Je weiter durch die Konvergenz die
Grenzen zwischen Rundfunk, Internet und Print verschwimmen, umso mehr
müssen wir die aktuellen Regulierungsnormen für stark regulierte
Medienmärkte wie Hörfunk und Fernsehen hinterfragen", regte der
BLM-Präsident an. Um Menschenwürde, Urheberrechte und Vielfalt zu
schützen und den Jugendmedienschutz zu sichern, sei ein "europaweit
abgestimmtes Verfahren" erforderlich. Die aktuelle Situation der
Medienbranche "zwischen linearem Fernsehen, Video on Demand und
Streaming" bewertete Schneider optimistisch und sprach von einer
"neuen, Erfolg versprechenden Ära von Bewegtbildangeboten".
Die komplexen Spielregeln und Rahmenfaktoren der digitalen
Ökonomie beleuchtete zum Auftakt der MEDIENTAGE MÜNCHEN auch die
Keynote von Timotheus Höttges. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen
Telekom AG analysierte bei einer Tour d'Horizon, dass Skalenvorteile
wie Größe und Netzwerkeffekte über den Erfolg im Internet
entscheiden. Ziel der großen US-Internetkonzerne seien Monopole. "Für
das einzelne Unternehmen mag das vielleicht gut sein. Aber es ist
schlecht für die Gesellschaft", warnte Höttges. Er forderte, statt
geschlossener Systeme (z.B. Amazon Kindle, Apple) offene Standards zu
schaffen, und zwar "am besten zusammen mit Partnern, die die
Wertschöpfung der Internetwelt kennen und sie auch entsprechend
beherrschen".
Höttges referierte, eine zentrale Rolle spiele künftig auch das
Phänomen Big Data. Der amerikani-sche Streaming-Dienst Netflix
analysiere täglich vier Millionen Kunden-Bewertungen und dreißig
Millionen Streams. Auf einer solchen Basis ließen sich
personalisierte Multimedia-Angebote schaf-fen, so erklärte Höttges,
die Text-, Bild-, Audio- und Video-Elemente kombinieren. Um im
globalen Medienwettbewerb mithalten zu können, komme es nicht nur auf
Inhalte (Content) an, sondern auch auf gute Empfehlungs-Algorithmen
(Recommandation) und auf einfache Bedienbarkeit (Usa-bility).
Voraussetzung seien hybride Netze, um verschiedene Technologien wie
Rundfunk, WLAN, Festnetz und Mobilfunk zu vereinen. An die
Medienpolitik wandte sich Höttges mit folgender Kritik: "Wir haben es
in vielen Bereichen mit einer Ãœberregulierung und in anderen mit
einer Fehlregulierung zu tun." Wenn Größe ein ent-scheidender Faktor
der digitalen Ökonomie sei, müsse auch europäische Größe möglich
sein. Für die Datenübertragung forderte der Telekom-Chef verschiedene
Qualitätsklassen. Schließlich ent-spreche es der wirtschaftlichen
Logik, "wenn unterschiedliche, wichtige Datentransporte auch
un-terschiedlich bezahlt werden müssen". Zum Thema Big Data merkte
Höttges an, es helfe nicht, die Auswertung großer Datenmengen zu
blockieren. Vielmehr müssten geeignete Algorithmen eingesetzt werden,
um bessere und individualisierte Produkte anzubieten. Voraussetzung
dafür seien der Schutz der Privatsphäre durch die Anonymisierung und
Pseudonymisierung aller Daten. Die Frage nach der Gewinnung von
Nutzungsdaten spielte auch eine zentrale Rolle bei der Diskussion der
ersten großen Gipfel-Veranstaltung der MEDIENTAGE MÜNCHEN. Während
die klas-sischen TV-Programmanbieter noch immer auf Daten der
repräsentativen GfK-Erhebung zurückgreifen müssen, operieren Anbieter
von Video on Demand im Internet schon mit viel detaillierteren
Nutzerprofilen. "Wir können viel besser sehen, was das Publikum
will", argumentierte Christoph Krachten. Er ist Präsident von
Mediakraft Networks. Das Unternehmen vermarktet als
Multi-Channel-Network mehr als 2.500 Streaming-Angebote (Youtube) und
erreicht nach eigenen Anga-ben insgesamt etwa 16 Millionen Zuschauer.
Vorteil von Online-Videos sei, dass die Anbieter je-derzeit sehen
könnten, was wie stark akzeptiert werde. Dr. Christoph Schneider,
Geschäftsführer der Amazon Instant Video Germany GmbH, schilderte,
wie Amazon für sein Streaming-Angebot (Amazon Instant Video)
Pilot-Fassungen neuer Serien gratis ins Internet stellt, um den
möglichen Erfolg zu testen. Findet das bessere Fernsehen also längst
non-linear im Internet statt? Die Vertreter der großen
TV-Programmanbieter sind anderer Ansicht. Der ARD-Vorsitzende und
NDR-Intendant Lutz Mar-mor unterstrich, viele könnten die
Online-Videos gar nicht nutzen. Schließlich verfüge noch immer etwa
ein Fünftel der Bevölkerung über keinen Internetzugang. Wolfgang
Link, Vorsitzender der Geschäftsführung von ProSiebenSat.1 TV
Deutschland, betonte, für die großen TV-Events bleibe die
gleichzeitige lineare Ausstrahlung eine wichtige Voraussetzung. Ãœber
den Second Screen könnten dann begleitende Angebote unterbreitet
werden. "Der große Screen wird weiter klar von den großen Sendern
bespielt werden", sagte Link voraus. Dort werde "Exklusivität und ein
Must-See-Gefühl" geboten. TV-Moderator und Produzent Klaas
Heufer-Umlauf, der die Diskussion auf dem Fernseh-Gipfel leitete,
wollte wissen, wer künftig die Inhalte für den TV-Bildschirm im
Wohnzimmer dominiere. Bei Live-Events gebe es zur linearen
Ausstrahlung auf große Bildschirme keine Alternative, urteilten die
Experten einhellig. Zusätzlich biete das Internet aber eine Fülle
spannender Möglichkeiten. Zu den Vorteilen von Youtube etwa zähle,
dass dort neue Formate zu niedrigen Kosten getestet wer-den könnten,
sagte Sharzad Rafati, Gründerin und Geschäftsführerin von Broadband
TV.
Das Unternehmen Broadband TV vermarktet Online-Videos, ist eines
der größten Multichannel-Networks weltweit und betrachtet Deutschland
als einen Schlüssel-Markt. Rafati lobte die hohen Qualitätsstandards
des dualen Rundfunksystems. Broadband TV habe die Größe seines
Netzwerkes im vergangenen Jahr verdoppelt und wolle die Lücke
zwischen den "alten Medien" und den "neuen Playern" schließen. "Das
Publikum sagt ihnen, was es möchte", lautete Rafatis kategorischer
Imperativ, der auf der Ãœberzeugung beruht, dass die Auswertung von
Online-Nutzerdaten das ideale Instrument zur Planung erfolgreicher
TV-Formate ist. Gary Davey, der als Executive Vice President das
Programm von Sky Deutschland verantwortet, ist da anderer Ansicht:
Die Magie am TV-Geschäft sei doch, "dass niemand weiß, was die
Zuschauer eigentlich sehen wollen, und die Zuschauer selbst dies auch
nicht wissen, bis sie es endlich sehen." Eine ähnliche Meinung
vertrat auch Prof. Nico Hofmann. Der Produzent und Vorsitzende der
Geschäftsführung der UFA Fiction GmbH forderte ein Bekenntnis zur
Qualität. "Wir wollen keine Berieselung", zeigte sich Hofmann von
anspruchsvollen Stoffen überzeugt. Nur mit ihnen könne man sich
angesichts der unendlichen Zahl neuer Plattfor-men und Angebote
wirkungsvoll auf dem Weg in die Zukunft von anderen unterscheiden -
kein Spaziergang eben.
Weitere Informationen erhalten Sie unter www.medientage.de
Pressekontakt:
Medientage München
Anja Kistler
Telefon: 089/68999250
Fax: 089/68999199
anja.kistler(at)medientage.de