(ots) - Reporter ohne Grenzen ist zutiefst beunruhigt über
die fast vollständige Unterdrückung unabhängiger Informationen in den
von der Dschihadistengruppe Islamischer Staat kontrollierten Regionen
Syriens und des Irak. Mit massiver Gewalt, Drohungen und
aufgezwungenen Verhaltensregeln hat der IS erreicht, dass
Journalisten allenfalls noch zensiert und unter ständiger
Lebensgefahr aus diesen Gebieten berichten können. Damit sind sowohl
die dort lebenden Menschen als auch die Außenwelt von glaubwürdigen
Informationen über die Lage vor Ort abgeschnitten.
"Der IS führt seinen Krieg ebenso sehr in den Medien wie mit
Waffen. Die Gruppe bekämpft gnadenlos jeden Journalisten, der sich
ihrer Propaganda nicht unterordnet", sagte der Geschäftsführer von
Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. "Journalisten müssen
unbehelligt recherchieren und berichten können. Wer sie nach Belieben
jagt und ermordet, vergeht sich an den Menschenrechten und muss
entsprechend bestraft werden."
Neben den US-Reportern James Foley und Steven Sotloff haben die
Dschihadisten des IS bislang mindestens acht syrische und einen
irakischen Journalisten ermordet. Derzeit halten sie mindestens neun
irakische Journalisten als Geiseln, außerdem den seit zwei Jahren
entführten Briten John Cantlie, der zuletzt mehrfach als Sprachrohr
der IS-Propaganda vorgeführt wurde (http://t1p.de/0o51). Daneben
befinden sich rund 20 syrische Journalisten in der Gewalt des IS oder
anderer bewaffneter Gruppen.
FERNSEHSENDER WERDEN GESCHLOSSEN, DIE STUDIOS VOM IS GENUTZT
Der IS ist sorgfältig bemüht, sein Bild in den Medien soweit wie
möglich selbst zu steuern. Dazu schafft sich die Gruppe ihre eigenen
Propagandamedien und schaltet alle Medienschaffenden aus, die sich
ihr nicht unterordnen.
Journalisten in den Gebieten unter ihrer Kontrolle soll die Gruppe
vor die Alternative gestellt haben, ihre Arbeit aufzugeben oder
getötet zu werden. Im irakischen Samarra enthauptete sie im Oktober
öffentlich den Fotografen und Kameramann Raad al-Asawi
(http://t1p.de/9iry). An ihre Kämpfer hat sie Berichten zufolge
schriftliche Anweisungen verteilt, alle Journalisten zu töten, die
"dem Image der Organisation schaden und damit der irakischen
Regierung nützen". Die persönlichen Gegenstände solcher Journalisten
seien zu beschlagnahmen. Einem Informanten zufolge sollen IS-Anführer
sogar Kopfgelder als Belohnung für die Entführung ausländischer
Reporter ausgesetzt haben.
In den irakischen Provinzen Mossul und Salaheddin schloss der IS
die Büros der Fernsehsender Sama Salaheddin TV, Al-Fayhaa TV, Al-Ahad
TV und Al-Scharkija TV. Die entführten irakischen Journalisten
arbeiteten nach Angaben des Journalistic Freedoms Observatory
(www.jfoiraq.org) allesamt für diese Sender, weitere stehen aus dem
gleichen Grund unter strenger Beobachtung. In Mossul können derzeit
nur noch die vom IS selbst betriebenen Medien arbeiten - in den
Räumen und mit der Ausrüstung der geschlossenen Sender. "Mindestens
60 oder 70 Prozent der Journalisten von Mossul haben die Stadt
verlassen, die anderen bleiben zu Hause", berichtet ein Informant,
der ungenannt bleiben will.
JOURNALISTEN MÜSSEN LOYALITÄT ZUM "KALIF" SCHWÖREN
Insgesamt kontrolliert der IS nach US-Medienberichten fünf
Fernsehsender in Mossul und zwei in der syrischen Stadt Rakka
(http://t1p.de/7vjz). Hinzu kommen arabischen Medien zufolge ein
Radiosender in Mossul sowie mindestens ein Print- und Onlinemagazin
(http://t1p.de/2ru0).
In der syrischen Provinz Deir al-Sor erließ der IS einem Bericht
des Onlinedienstes Syria Deeply zufolge elf nicht verhandelbare
Regeln für Journalisten, die über die Aktivitäten der Gruppe
berichten wollen (http://t1p.de/1219). So müssten sie Loyalität
gegenüber dem selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi schwören,
nichts ohne Erlaubnis der IS-Pressestelle veröffentlichen und nicht
mit bestimmten Fernsehsendern wie Al-Arabija, Al-Jazeera and Orient
TV zusammenarbeiten.
Wer gegen diese Regeln verstößt, wird verfolgt und getötet. Ein
Beispiel ist der 17-jährige Abdullah al-Buschi, der öffentlich
gekreuzigt worden sein soll, weil er das IS-Hauptquartier in Aleppo
gefilmt habe (http://t1p.de/uf3l).
IRAKS REGIERUNG REAGIERT MIT REPRESSIONEN GEGEN MEDIEN
Die irakische Regierung hat auf die Bedrohung durch den IS
reagiert, indem sie ihrerseits die Kontrolle über die Medien
verstärkt. So wurden noch vor dem Regierungswechsel im vergangenen
Sommer drei Fernsehsender geschlossen, weil sie Spannungen zwischen
den Konfessionsgruppen angeheizt und nicht "neutral" berichtet
hätten. Die neue Regierung will weitere Sender schließen, offiziell
wegen ausgelaufener Lizenzen (http://t1p.de/nsr1).
Die Behörden in Syrien gehen schon seit dem Beginn der
Massenproteste gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad im
Frühjahr 2011 massiv gegen jede unabhängige Berichterstattung vor.
Regime und Rebellengruppen haben dort bis heute Hunderte
Medienschaffende verhaftet, verschleppt oder getötet, darunter
zahlreiche Bürgerjournalisten. Aktuell sitzen in den Gefängnissen des
syrischen Regimes rund 40 Journalisten.
Syrien steht auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit auf Platz
177, der Irak auf Platz 153 von 180 Ländern. Zur Situation in Syrien
hat ROG Ende 2013 einen ausführlichen Bericht veröffentlicht:
"Journalismus in Syrien - ein Ding der Unmöglichkeit?"
(http://bit.ly/XgFyhI) Weitere Informationen zur Lage in Syrien
finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/syrien/, zur Lage im
Irak unter www.reporter-ohne-grenzen.de/irak/.
Pressekontakt:
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Silke Ballweg / Christoph Dreyer
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