(ots) - Reporter ohne Grenzen verurteilt die willkürlichen
Strafprozesse gegen zwei kritische Journalisten im russischen Rostow
am Don. Dem schon in einem anderen Fall verurteilten Sergej Resnik
drohen wegen Beleidigung von Staatsbeamten und Meineids bis zu drei
Jahre zusätzliche Haft. Sein Kollege Alexander Tolmatschew wurde
wegen angeblicher Erpressung zu neun Jahren Arbeitslager verurteilt.
"Sergej Resnik wurde von denselben Menschen vor Gericht gebracht,
über die er kritisch berichtet hat. In Wirklichkeit geht es in diesem
Prozess um Vergeltung an einem kritischen Journalisten", kritisierte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Wenn Resnik die Chance auf ein
faires Verfahren bekommen soll, muss sein Prozess in eine andere
Stadt verlegt werden."
BEAMTE HABEN WEGEN BELEIDIGUNG GEKLAGT
Resnik und Tolmatschew sind für ihre investigativen Berichte über
die in Rostow grassierende Korruption sowie für ihre Kritik an
lokalen und regionalen Behördenvertretern bekannt. Resnik griff in
Artikeln in der Zeitung Juschni Federalni, der online erscheinenden
Nowaja Gaseta w Juschnom Federalnom sowie in seinem Blog
(http://t1p.de/7as5) insbesondere den Gouverneur des
Verwaltungsbezirks Rostow an. Drei Beamte aus Justiz und Polizei
werfen ihm vor, er habe sie in Artikeln auf seinem Blog beleidigt.
Einer von ihnen beschuldigt den Journalisten zusätzlich des Meineids
bezüglich einer schweren Straftat. Bei einem Schuldspruch drohen
Resnik drei Jahre Gefängnis (http://t1p.de/ws9k).
Sein am 20. August begonnener Prozess findet zum Teil unter
Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Verteidigung wirft der
Staatsanwaltschaft vor, sie habe Dokumente gefälscht
(http://t1p.de/dfsr). Am Mittwoch wurde der Prozess mit der Anhörung
erster Zeugen der Verteidigung fortgesetzt (http://t1p.de/ghz2).
Resnik verbüßt bereits eine 18-monatige Haftstrafe aufgrund eines
Gerichtsurteils von Ende November 2013 wegen Korruption, Meineids und
Beamtenbeleidigung (http://t1p.de/6ucu). Nach der Verurteilung hätte
er eigentlich in eine Strafkolonie überstellt werden müssen; auf
Antrag der Staatsanwaltschaft wird er jedoch in Einzelhaft und damit
unter deutlich schlechteren Bedingungen festgehalten. Trotz
Protesten aus der Zivilgesellschaft wurde seine Berufung am 15.
April abgewiesen.
NEUN JAHRE ARBEITSLAGER NACH FRAGWÃœRDIGEM PROZESS
Alexander Tolmatschew wurde am 29. Oktober der Erpressung eines
Unternehmers schuldig gesprochen (http://t1p.de/w2pm): Der
Chefredakteur des Magazins Upolnomotschen Sajawit und der Zeitung Pro
Rostow habe eine Million Rubel dafür verlangt, auf die
Veröffentlichung kompromittierender Informationen zu verzichten. Bis
zu seiner Verurteilung saß Tolmatschew trotz schwerer
Gesundheitsprobleme schon fast drei Jahre in Untersuchungshaft. Weil
unter den ursprünglichen Geschworenen auch Menschen waren, über die
der Journalist kritisch berichtet hatte, wurde sein Prozess auf
Antrag der Verteidigung in die Region Krasnodar verlegt.
Dennoch war auch dieses Verfahren von Fehlern gekennzeichnet. So
wurden nur sieben der 50 in der Anklage benannten Zeugen gehört. Zwei
junge Frauen gaben an, sie seien gezwungen worden, vorgefertigte
eidesstattliche Erklärungen gegen Tolmatschew zu unterschreiben
(http://t1p.de/ptc8). Sofort nach seiner Festnahme im Dezember 2011
war dieser in Einzelhaft genommen worden. Reporter ohne Grenzen
fordert ein umfassendes Berufungsverfahren, um dem Journalisten einen
fairen Prozess zu ermöglichen. In der Zwischenzeit muss seine Haft
ausgesetzt werden.
UNABHÄNGIGE MEDIEN UNTER ZUNEHMENDEM DRUCK
Neben investigativen Journalisten stehen auch unabhängige Medien
in Russland unter zunehmendem Druck. Zu den jüngsten Beispielen
gehört der kritische Radiosender Echo Moskwy. Erst zwei Tage vor dem
Termin wurde ein für (den heutigen) Freitag geplantes
Aktionärstreffen abgesagt, bei dem die staatlich kontrollierte
Gesellschaft Gazprom Media als Mehrheitseigentümer über die Ablösung
von Chefredakteur Alexej Wenediktow und weiteren Mitarbeitern sowie
über Änderungen am Programm des Senders abstimmen lassen wollte
(http://t1p.de/wtdr).
Wenediktow hatte sich einer Anordnung von Gazprom Media
widersetzt, einen langjährigen Moderator wegen einer umstrittenen
Twitter-Botschaft zu entlassen (http://t1p.de/9mtb). In jüngster Zeit
hat die Regierung den Sender unter anderem wegen seiner vom
Kreml-Kurs abweichenden Ukraine-Berichterstattung kritisiert
(http://t1p.de/9if0).
Ende September verabschiedete die Duma ein Gesetz, das den Anteil
von Ausländern am Stammkapital russischer Medienunternehmen auf
zwanzig Prozent begrenzt. Zuvor hatte es für Printmedien keine
derartige Beschränkung gegeben. Die Reform bedroht deshalb die
Unabhängigkeit investigativer Medien wie der Wirtschaftszeitung
Wedomosti, an der bislang das Wall Street Journal aus den USA und die
britische Financial Times zu je einem Drittel beteiligt sind
(http://t1p.de/8el4), sowie der vom deutschen Verlag Axel Springer
herausgegebenen russischen Ausgabe der Zeitschrift Forbes.
Russland steht auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit auf Platz
148 von 180 Ländern. Insgesamt sitzen dort derzeit mindestens vier
Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Weitere Informationen
zur Lage der Journalisten in Russland finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/russland/.
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Silke Ballweg / Christoph Dreyer
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