(ots) - Die Welt ist voller Daten, und täglich werden es
mehr. Allein Google produziert täglich das 6000-fache an Daten, das
die Library of Congress bereithält, die größte Bibliothek der Welt.
Solche riesigen Datenmengen - Big Data genannt - beeinflussen alle
Lebensbereiche. Kinder und Jugendliche in diese Welt zu begleiten,
stellt Eltern wie Gesellschaft vor neue Herausforderungen. "Alles
unter Kontrolle?", fragte deshalb die 10. Interdisziplinäre Tagung
nach, die am 28. November in der Bayerischen Landeszentrale für neue
Medien (BLM) stattfand. Einen Tag lang diskutierten 150 Teilnehmer
aus Forschung und Praxis fachübergreifend das Thema
"Interdisziplinäre Zugänge zum Aufwachsen in einer digitalen
Gesellschaft". Sie folgten der Einladung der BLM und des "JFF -
Institut für Medienpädagogik". Gefördert wurde die Tagung durch das
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Zukunft gehört einer Arbeitswelt, in der nicht mehr Menschen,
sondern Werkstücke miteinander in Kontakt sind: Welche Folgen Big
Data hat, verdeutlichte der Wissenschaftsphilosoph Professor Klaus
Mainzer in seinem Einführungsreferat. Dabei zeichnete er ein Bild der
technischen Welt, in die Kinder und Jugendliche hineinwachsen. "Das
Internet, das wir alle kennen und nutzen, ist ein Computernetz, bei
dem Menschen miteinander kommunizieren", sagt der Forscher der TU
München. In der Zukunft, die er "Industrie 4.0" nennt, kommunizierten
die Dinge miteinander. Der Mensch werde dadurch nicht überflüssig,
aber die Anforderungen an ihn steigen. Die Datenflut brauche
Reflexion, Theorie und Gesetze, damit "eine immer komplexere und von
Automatisierung beherrschte Welt nicht aus dem Ruder läuft". Wie sich
die Digitalisierung der Gesellschaft aus Sicht der Kinder und
Jugendlichen darstellt und welche Herausforderungen für ein möglichst
selbstbestimmtes Aufwachsen damit verbunden sind, skizzierte die
Direktorin des JFF, Dr. Ulrike Wagner: "Die Integrität für die eigene
Person herstellen und die Partizipationsmöglichkeiten auszuschöpfen,
bilden zwei zentrale Aspekte des Heranwachsens". Wie dies gelingen
kann, verdeutlichte Niels Brüggen vom JFF mit einem Einblick in das
Projekt "Jugend erforscht die digitale Gesellschaft".
Die Herausforderungen auf ethischer Seite skizzierte im Anschluss
der Medienethiker Professor Alexander Filipovic von der Münchner
Hochschule für Philosophie. Wo der Mensch seine persönlichen Daten
ans Netz verkaufe, werde er zur Ware, lautete eine seiner Thesen.
"Dieser ökonomische Gedanke wird den Heranwachsenden auf der
DNA-Ebene eingepflanzt." Filipovic warnte vor den Folgen der
Datenökonomie, vor den Überwachungs- und Vorhersagestrukturen, die
durch Big Data möglich würden. Als Beispiel nannte er die Freigabe
von persönlichen Bewegungsprofilen im Netz. Eine solche
Öffentlichkeit nach dem Motto "Ich habe ja nichts zu verbergen"
befördere anti-solidarische Potenziale. "Autonomie steht im digitalen
Zeitalter neu zur Debatte", sagte Filipovic.
Wer sich in digitalen Räumen bewegt, braucht Schutz durch den
Gesetzgeber - doch was, wenn sich das Gesetz gegen die Nutzer
richtet? Der Rechtsanwalt und Publizist Dr. Till Kreutzer diskutierte
mit dem Podium die Herausforderungen des Urheber- und
Datenschutzrechts. Er machte klar, wie das Urheberrecht in seiner
bisherigen Form zu einer "Verrechtlichung des Alltags" führe, die für
Heranwachsende wie für ihre Eltern oder Erzieher völlig
undurchschaubar geworden sei. "Würde ein Nutzer alle AGBs lesen, die
hinter dem Button 'Akzeptieren' stehen, benötigte er dafür acht volle
Tage im Jahr." Laien könnten all dies nicht mehr durchschauen,
Medienkompetenz alleine reiche dafür nicht mehr. Kreutzer plädierte
eindringlich für eine Reform des Urheberrechts zu einer
"Straßenverkehrsordnung des Internets", um beispielsweise den Umgang
mit Bildern oder gestreamten Videos zu vereinfachen.
Wie sehr die Verrechtlichung des Alltags Medienpädagogik
behindert, das konnte Klaus Lutz, pädagogischer Leiter am Nürnberger
Medienzentrum Parabol, mit Beispielen belegen. Etwa mit dem einfachen
Foto einer erfolgreichen Volleyballklasse, das seit langem darauf
wartet, seinen Platz auf der Internetseite der zugehörigen Schule zu
finden. Doch der Rektor gebe das Bild nicht frei, weil nicht alle
Eltern dazu eine schriftliche Einwilligung abgegeben hätten, erzählte
Lutz. "Jugendliche sind als Produzenten am täglich wachsenden
Datenstrom beteiligt", sagte Lutz. Verbieten lasse sich da nichts.
"Wir müssen als Medienpädagogen mit diesem Spagat leben."
"Medienkompetenz darf sich nicht nur an Kinder und Jugendliche
richten", sagte BLM-Präsident Siegfried Schneider zu Beginn der
Tagung. "Sie muss auch die Älteren mitnehmen." Derselben Ansicht war
auch JFF-Direktorin Ulrike Wagner: "Wir dürfen nicht bei den
Heranwachsenden stehen bleiben, sondern müssen das erzieherische
Umfeld und die pädagogischen Fachkräfte mit einbeziehen sowie Akteure
aus der Politik und den Medien für die Auseinandersetzung mit diesen
Entwicklungen gewinnen. Dazu ist es wichtig, Diskurse wie diesen
heute zu initiieren". "Der Mensch muss in den Mittelpunkt gestellt
werden", betonte der Vorsitzende des JFF, Professor Bernd Schorb. Die
Jugendlichen hätten ein Recht auf den Schutz ihrer
Persönlichkeitsrechte in den Medien.
Voneinander lernen und Wissen teilen: Seit zehn Jahren bringt die
Interdisziplinäre Tagung human- und sozialwissenschaftliche
Disziplinen zusammen, um auf wissenschaftlicher Basis über
pädagogische Arbeit zu reden. Dabei stehen spezifische Zielgruppen
genauso im Blickfeld wie mediale Entwicklungen mit gesellschaftlicher
Bedeutung. "Die Dringlichkeit solcher Auseinandersetzungen wächst, je
intensiver mediale Techniken und Strukturen in das private und
öffentliche Leben Eingang finden", betonte Professorin Helga
Theunert, bis 2010 JFF-Direktorin und Mitbegründerin der Tagung. "Der
Anspruch an solche Diskursräume besteht fort."
Informationen zur Veranstaltung unter www.medienpuls-bayern.de. Im
Nachgang stehen alle Vorträge im Tagungsblog unter www.id-tagung.de
zur Verfügung.
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Dr. Wolfgang Flieger
Pressesprecher
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wolfgang.flieger(at)blm.de