(ots) - Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat
Parlamentarier und Öffentlichkeit beim Freihandelsabkommen mehrfach
getäuscht. In einem aktuellen Sachstandsbericht für den
Wirtschaftsausschuss des Bundestags arbeitet sein Ministerium mit
formaljuristischen Tricks, im Plenum sagte der Vizekanzler selbst die
Unwahrheit.
Nach deutlicher Kritik insbesondere an den
Investorenschutzklauseln hatte Sigmar Gabriel in der vergangenen
Woche eine Zustimmung Deutschlands zum geplanten CETA-Abkommen
zwischen der EU und Kanada signalisiert. "Deutschland wird dem dann
auch zustimmen. Das geht gar nicht anders", so Gabriel laut
Plenarprotokoll in der Bundestagsdebatte am 27. November. Seine
Begründung: Weil "der Rest Europas dieses Abkommen will." Die
Kritiker warnte Gabriel vor einer "nationalen Bauchnabelschau".
Tatsächlich kann von einer Zustimmung im "Rest Europas" keine Rede
sein: Vier Tage vor Gabriels Rede stimmte die französische Assemblée
Nationale mehrheitlich gegen CETA in der jetzigen Form. Zuvor hatten
sich bereits die Parlamente in den Niederlanden und in Österreich
gegen den Vertragsentwurf ausgesprochen. Noch am 25. September hatte
Gabriel ebenfalls im Bundestag das österreichische Parlamentsvotum
ausdrücklich erwähnt und gelobt: "Gestern hat das österreichische
Parlament - ich glaube, mit einer Zweidrittelmehrheit - [...]
beschlossen, dass sie ebenfalls weiterverhandeln wollen. [...] Tun
Sie [...] bitte nicht so, als gäbe es keinerlei Chance, weiter zu
reden! Das tun die Österreicher, das werden andere tun, und das
werden auch wir machen" (zitiert nach Plenarprotokoll).
In dieser Woche griffen Medien zudem einen Sachstandsbericht des
Bundeswirtschaftsministeriums vom 1.12.2014 für den
Wirtschaftsausschuss des Bundestages auf. Tenor: CETA könne
frühestens in etwa drei Jahren in Kraft treten, weil zunächst alle
nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten den Vertrag ratifizieren
müssten. Auch dieser Eindruck ist falsch. Denn selbst als so
genanntes "gemischtes Abkommen" kann CETA bereits vor Abschluss eines
Ratifizierungsverfahrens - das heißt ohne Zustimmung des Bundestages
- vorläufig angewandt werden. Im Sachstandsbericht greift Sigmar
Gabriels Ministerium daher zu einem formaljuristischen
Formulierungstrick: "Das gesamte Abkommen kann als gemischtes
Abkommen erst nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten endgültig
in Kraft treten" (Hervorhebung durch foodwatch). Auch bei einem nur
vorläufig angewandten gesetzten Vertrag würden jedoch die meisten
Regelungen bereits Gültigkeit erlangen - dies erwähnt das Ministerium
in dem Bericht freilich nicht.
An anderer Stelle schreibt das Bundeswirtschaftsministerium
selbst: "Gemischte Abkommen können nach Zustimmung des Rates vor
ihrem Inkrafttreten vorläufig angewandt werden. Das gilt aber nur für
die Teile des Abkommens, die in EU-Zuständigkeit liegen. Die Teile
des Abkommens, die in nationaler Zuständigkeit liegen, treten erst
nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten in Kraft." (Quelle:
BMWi, Fragen und Antworten zu CETA)
Ohnehin könnte der Bundestag also nicht das CETA-Abkommen in Gänze
ablehnen, sondern lediglich kleine Teile davon. Auf die Frage, ob zum
Beispiel Schiedsgerichtsklagen gegen europäische Gesetze ermöglicht
werden oder nicht, hat das deutsche Parlament keinerlei Einfluss.
Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation foodwatch,
erklärte: "Herr Gabriel ist unter dem Druck der Wirtschaftsverbände
eingeknickt. Jetzt schreckt er nicht einmal davor zurück, das
Parlament und die Öffentlichkeit zu täuschen, um CETA und TTIP
durchzusetzen. Die Mitglieder der SPD sollten sich das nicht bieten
lassen - sie müssen ihren Parteivorsitzenden stoppen, bevor es zu
spät ist."
In einer gestern gestarteten E-Mail-Aktion unter
www.ceta-aktion.foodwatch.de haben bereits rund 15.000 Bürgerinnen
und Bürger die Mitglieder des SPD-Parteivorstands aufgefordert, den
Parteichef zur Umkehr zu bewegen. Schließlich hatte Sigmar Gabriel
selbst Investorenschutzabkommen zwischen zwei Rechtsstaaten noch im
Mai als "Gefahr" für die "verfassungsrechtliche Grundordnung und auch
die Freiheit des Gesetzgebers" bezeichnet - trotz den entsprechenden
Klauseln im CETA-Entwurf will Gabriel nun zustimmen.
"Es ist abenteuerlich, die Verteidigung der verfassungsrechtlichen
Grundordnung jetzt als nationale Bauchnabelschau zu verunglimpfen -
der Vizekanzler hat offenbar jedes Maß verloren", erklärte Thilo
Bode.
Link:
- E-Mail-Aktion an den SPD-Parteivorstand: Stoppen Sie Ihren
Parteivorsitzenden, stoppen Sie CETA!
www.ceta-aktion.foodwatch.de
Quellen:
- Plenarprotokoll vom 27.11.2014:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18070.pdf
- Plenarprotokoll vom 25.9.2014:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18054.pdf
- Entschließung der französischen Nationalversammlung:
http://www.assemblee-nationale.fr/14/ta/ta0428.asp
- Sachstandsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums vom
1.12.2014: http://bit.ly/1tDjhDF
- Fragen und Antworten des Bundeswirtschaftsministeriums zu CETA
(Punkt 6, abgerufen am 3.12.2014): http://www.bmwi.de/DE/Themen/
Aussenwirtschaft/ceta,did=654766.html
- Gabriel-Rede zur "Gefahr" für "verfassungsrechtliche
Grundordnung" (5.5.2014):
http://www.bmwi.de/DE/Presse/reden,did=637254.html
Pressekontakt:
foodwatch e.V.
Martin Rücker
E-Mail: presse(at)foodwatch.de
Tel.: +49 (0)30 / 24 04 76 - 2 90