(ots) - In Deutschland bestehen erhebliche Defizite sowohl
bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention als auch bei der
Bekanntheit der Kinderrechte selbst. Das ist das Ergebnis einer
repräsentativen Umfrage im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes
für den Kinderreport 2015. Nur 4 Prozent der befragten Kinder und
Jugendlichen und 3 Prozent der Erwachsenen kennen genau die in der
UN-Kinderrechtskonvention festgeschriebenen Kinderrechte, jeweils 19
Prozent wissen ungefähr Bescheid. Gleichzeitig wissen 49 Prozent der
Kinder und Jugendlichen bzw. 36 Prozent der Erwachsenen nicht, was
sich hinter der UN-Kinderrechtskonvention verbirgt.
"Die Ergebnisse des Kinderreports 2015 zeigen, dass wir in
Deutschland eine Bildungsoffensive in Sachen Kinderrechte brauchen,
die Kinder und Erwachsene erreicht. Kinderrechte sind kein Gedöns,
sie gehören ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit. Wir erleben
derzeit ganz aktuell wie wichtig es ist, unsere Demokratie zu fördern
und ein gesellschaftliches Miteinander zu ermöglichen. Dafür müssen
wir auch Kindern Räume für echte Mitbestimmung eröffnen. Kinderrechte
gehören in schulische Lehrpläne ebenso wie in Bildungspläne von
Kindertageseinrichtungen. Sie sind ein Querschnittsthema für das
gesamte Handeln von Staat und Zivilgesellschaft und dürfen eben nicht
nur dann ein Thema sein, wenn es um Kinderarbeit in
Entwicklungsländern geht. Alle Kinder in Deutschland haben Rechte,
die nicht umgesetzt werden, das gilt für den Bereich der
Mitbestimmung genauso wie für soziale Sicherheit. Die Ergebnisse des
Kinderreports 2015 verdeutlichen einmal mehr, dass wir dauerhaft
armutsfeste Löhne und mehr Unterstützungsleistungen für
Alleinerziehende brauchen. Wichtig ist zudem die Kostenbefreiung beim
Schulessen, bei Lehrmitteln und bei Kultur- und
Freizeiteinrichtungen. Bezüglich der Nutzung des Internets als
beliebtestes Informations- und Kommunikationsmedium von Kindern und
Jugendlichen besteht dringender Handlungsbedarf. Hier gilt es
einerseits ein zeitgemäßes Jugendmedienschutzrecht zu implementieren,
das Sicherheit vor Missbrauch, vor problematischen Inhalten und vor
allem Orientierung schafft. Andererseits müssen die Kompetenzen von
Kindern und Jugendlichen für eine verantwortungsvolle und
selbstbestimmte Mediennutzung gefördert werden. Denn nur so können
Kinder ihr Recht auf demokratische Teilhabe an der
Informationsgesellschaft wirklich in die Tat umsetzen", betont Thomas
Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes.
"Es geht nicht an, dass Kinderrechte, die international
festgeschrieben sind, in Deutschland noch nicht in geltendes Recht
überführt wurden und Kinder damit in Deutschland weniger Rechte haben
als in anderen Ländern. Die Ergebnisse des Kinderreports zeigen
einmal mehr, wie wichtig es ist, Kinderrechte endlich als
eigenständige Rechte im Grundgesetz zu verankern. Denn Kinder haben
ganz besondere Bedürfnisse und Anforderungen und benötigen einen
speziellen Schutz und besondere Förderung für ein gelingendes und
gutes Leben. Es muss unser Ziel sein, Kindern ein Recht auf Fürsorge,
Bildung, bestmögliche Entwicklung und individuelle Förderung zu
garantieren. Dafür brauchen Kinder eine starke Stimme. Es wird Zeit,
dass sich der Bundestag in Gänze endlich als solche versteht. Wenn
wir die Situation von Kindern betrachten, zeigen sich in jüngerer
Zeit besorgniserregende Entwicklungen: Immer mehr Kinder leben auch
in Deutschland in Armut, die Zahl der unbegleiteten minderjährigen
Flüchtlinge sowie die Zahl der asylsuchenden Kinder in Deutschland
nimmt dramatisch zu, und weltweit geraten Kinderrechte durch
gewaltsame Konflikte, Kinderarbeit und die Folgen von Klimawandel und
Flucht immer stärker unter Druck. In einer solchen Situation muss die
Lage von Kindern neu bewertet werden und müssen gezielte Maßnahmen
zum Zuge kommen. Dazu bieten die internationalen Verhandlungen zu den
Nachhaltigkeitszielen in diesem Jahr eine zwingende Gelegenheit, aber
auch die deutsche Politik sollte endlich umsteuern, vor allem in der
Bildungs-, Migrations-, Teilhabe- und Sozialpolitik. Der Schutz von
Kinderrechten ist schließlich echte Nachhaltigkeitspolitik im
Wortsinne", erklärt Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen
Bundestages.
Die weiteren Ergebnisse der repräsentativen Umfrage für den
Kinderreport 2015 im Einzelnen
Information
Die Informationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen zum
Thema Kinderrechte als einem Kernelement der
UN-Kinderrechtskonvention sehen die Befragten sehr unterschiedlich.
Hier werden der Familie (Note 2,5),
Vereinen/Kinderrechtsorganisationen (2,7) sowie der Schule (2,8) von
den Kindern und Jugendlichen eher gute Noten gegeben. Medien (3,0),
Jugendtreffs/Schülerclubs (3,2), öffentliche Ämter (3,3) und Kitas
(4,0) fallen deutlich ab. Bei den Erwachsenen liegt ebenfalls die
Familie (2,4) an erster Stelle, hier folgen Jugendtreffs/Schülerclubs
(2,7), die Schule (2,8), Medien (3,0) und
Vereine/Kinderrechtsorganisationen (3,0). Auf den letzten Plätzen
liegen auch hier öffentliche Ämter (3,4) und Kitas (3,8).
Mitbestimmung
Bei den Mitbestimmungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen
gehen die Umfragewerte sehr weit auseinander. Während die befragten
Kinder und Jugendlichen die Mitbestimmung in der Familie positiv
sehen (Note 2,4), fallen die Mitbestimmungsmöglichkeiten in der
Schule (3,3), im Wohnumfeld (3,7) und in der Kita (3,7) schon
deutlich ab. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Kommune allgemein
(4,3) und vor allem in der Bundespolitik (5,1) werden als sehr
schlecht angesehen. Ein ähnliches Bild ergibt auch die
Erwachsenenbefragung. Hier erreicht ebenfalls die Familie (2,2) den
besten Wert, gefolgt von der Schule (3,2), dem Wohnumfeld (3,6) und
der Kita (4,1). Die letzten Plätze belegen auch hier die Kommune
allgemein (4,3) und die Bundespolitik (5,0).
Um die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland
zu verbessern, sprechen sich sowohl Kinder als auch Erwachsene für
eine bessere Unterstützung von Kindern und mehr Zuspruch von
Erwachsenen aus (Note 2,0 bzw. 1,9). Als wichtig werden außerdem
Projekte angesehen, die Kindern und Jugendlichen
Mitgestaltungsmöglichkeiten in ihrem Lebensumfeld ermöglichen (2,0
bzw. 1,9). Zudem fordern sie die Verankerung von Kinderrechten im
Grundgesetz (2,0 bzw. 2,1). Und auch mehr Einflussmöglichkeiten für
Schülervertreter stehen bei Kindern und Erwachsenen an vorderer
Stelle (2,0 bzw. 2,2).
Kinderarmut
Bei den Maßnahmen gegen Kinderarmut präferieren die Kinder und
Jugendlichen kostenloses Essen, Bücher, Lehrmittel und Aktivitäten in
Kita und Schule (Note 1,6 / Erwachsene 1,7) sowie einen kostenlosen
Zugang zu Kultur- und Freizeiteinrichtungen (1,8 / Erwachsene 1,8).
Als weitere wichtige Maßnahmen werden mehr Sozialarbeiter in Schulen
und Kitas (2,1 / Erwachsene 2,0) und höhere Einkommen (2,2 /
Erwachsene 2,5) genannt. Unterstützung erhalten durch die Umfrage
auch die Forderungen nach mehr Kindergeld (2,3 / Erwachsene 2,8) und
nach einer Erhöhung der Sozialgeld-Regelsätze (2,4 / Erwachsene 2,9).
Staatliche Eingriffe in die Erziehungshoheit der Eltern werden
dahingehend kritischer gesehen. Hier lag der Durchschnittswert bei
Kindern und Jugendlichen bei 3,0 und bei den Erwachsenen bei 3,2.
Gleichzeitig wünschen sich die Kinder und Jugendlichen mehr
Aufklärung über Kinderarmut in den Medien (2,2 / Erwachsene 2,7). Als
wichtig wird von ihnen auch angesehen, dass arme und reiche Kinder
mehr Zeit miteinander verbringen (2,5 / Erwachsene 2,6).
Spiel und Freizeit
Bei den Freizeitaktivitäten rangieren Freundinnen und Freunde ganz
klar an erster Stelle. Hier geben 74 Prozent der Kinder und
Jugendlichen an, mit diesen viel Zeit zu verbringen. Auf dem zweiten
Platz liegen Familie (67 Prozent) und das Internet (67 Prozent). Auch
das Lernen für Schule oder Ausbildung nimmt mit 62 Prozent breiten
Raum ein. Sport (54 Prozent), Lesen (53 Prozent), Chillen (52
Prozent) und das Fernsehen (50 Prozent) folgen auf den Plätzen.
Deutliche Unterschiede gibt es hier in einigen Bereichen zwischen
Mädchen und Jungen, beispielsweise beim Sport (Mädchen 44 Prozent /
Jungen 64 Prozent) und beim Lesen (Mädchen 63 Prozent / Jungen 43
Prozent). Das gilt auch für den Bereich Computer-/Konsolenspielen:
Nur 35 Prozent der Mädchen, aber 62 Prozent der Jungen (Gesamt 48
Prozent) verbringen damit viel Zeit. Die Angaben der Kinder und
Jugendlichen decken sich an vielen Stellen mit denen der Erwachsenen.
Auch diese geben an, dass ihre Kinder am meisten Zeit mit ihren
Freundinnen und Freunden verbringen (65 Prozent). Nach Einschätzung
der Eltern folgen das Lernen für Schule oder Ausbildung (63 Prozent)
und die Zeit mit der Familie (60 Prozent). Auch mit dem Internet (59
Prozent), Sport (52 Prozent), Computer-/Konsolenspielen (50 Prozent),
Fernsehen (49 Prozent) und Chillen (42 Prozent) verbringen Kinder und
Jugendliche nach Einschätzung der Erwachsenen viel Zeit.
Medien
Das Internet (67 Prozent) und Fernsehen (50 Prozent) sind die
Medien, mit denen Kinder und Jugendlichen die meiste Zeit verbringen.
Dabei nehmen sie gerade bei der Internetnutzung die Chancen und
Risiken wahr: 92 Prozent finden dort Sachen, die Spaß machen.
Zugleich geben 86 Prozent an im Internet Informationen zu finden, die
sie interessieren und 71 Prozent sind der Auffassung, dass sie sich
im Internet altersgerecht informieren können. Gleichzeitig fühlen
sich nur 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen sicher vor
problematischen Inhalten wie Gewalt oder Pornografie. Nur 9 Prozent
sind der Ansicht, dass sie im Internet sicher vor Ãœbergriffen von
Erwachsenen oder Gleichaltrigen sind. Erwachsene sehen das ähnlich,
wenn auch etwas kritischer: 85 Prozent sind der Ansicht, dass ihre
Kinder im Internet Informationen finden, die sie interessieren, 74
Prozent geben an, dass Kinder dort unterhaltsame Angebote für ihre
Altersgruppe finden, 66 Prozent sind der Ansicht, dass sich Kinder im
Internet altersgerecht informieren können. Gleichzeitig sehen nur 4
Prozent Kinder und Jugendliche sicher vor problematischen Inhalten
wie Gewalt oder Pornografie. Und nur 3 Prozent sind der Ansicht, dass
Kinder und Jugendliche im Internet sicher vor Ãœbergriffen von
Erwachsenen oder Gleichaltrigen sind.
Auch beim Fernsehen wird die Gefahr problematischer Inhalte
gesehen: Nur 11 Prozent der Kinder und Jugendlichen fühlen sich hier
ausreichend vor Gewalt oder Pornografie geschützt, von den Eltern
stimmen nur 7 Prozent dieser Aussage zu.
General Comments des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes
Die Umfrageergebnisse des Kinderreports 2015 werden gerahmt von
vier Fachbeiträgen zu verschiedenen General Comments des
UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes. Dabei sieht Vanessa Masing
bei der Vorrangstellung des Kindeswohls nach Artikel 3 der
UN-Kinderrechtskonvention und hier insbesondere bei der Beteiligung
von Kindern und Jugendlichen umfassende Defizite in Deutschland. Dr.
Wolfram Hartmann, Präsident des Bundesverbandes der Kinder- und
Jugendärzte, kritisiert die mangelhafte Umsetzung des Kinderrechtes
auf bestmögliche Gesundheit nach Artikel 24 der
UN-Kinderrechtskonvention. Dr. Friederike Wapler von der Universität
Frankfurt am Main ist der Auffassung, dass aus dem Recht auf Gehör
nach Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention die Belange der Kinder
bei allen politisch-strategischen Planungen im Wirtschaftsleben
berücksichtigt werden müssen und sieht beispielsweise bei wachsender
Neuverschuldung oder Maßnahmen im Bereich der Rentenpolitik
Entwicklungen, durch die Deutschland diesen Vorgaben zuwider handelt.
Christine Kimpel von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg stellt
in Bezug auf das Kinderrecht auf Freizeit, Erholung und Spiel nach
Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention fest, dass die Gefahren rund
um Spielorte verringert, das soziale Klima in den Wohngebieten
verbessert und die Attraktivität von Spielorten gesteigert werden
müssen. Zentrale Beachtung bei den Belangen der Spielorte für Kinder
ist es, die Kinder selbst ihre Spielorte ausgestalten zu lassen.
Zur Repräsentativität der Umfrage für den Kinderreport 2015
Im Kinderreport wird die Sicht von Kindern auf die Lage der
Kinderrechte in Deutschland erhoben und mit den Ansichten der
Erwachsenen verglichen. Für den Kinderreport 2015 wurden im Auftrag
des Deutschen Kinderhilfswerkes 1.020 Kinder und Jugendliche im Alter
von 10-17 Jahren sowie Eltern von Kindern und Jugendlichen im Alter
von 10-17 Jahren befragt (verteilt auf n=320 Kids und n=700
Erwachsene). Die Stichprobe wurde quotiert auf Alter und Geschlecht
der Kinder/Jugendlichen (bei der Kidsbefragung ebenso wie bei der
Erwachsenenbefragung). Als Stichprobenquelle diente der EARSandEYES
Online Access Pool. Die Befragung wurde online als Selbstausfüller
durchgeführt. Die Ergebnisse der einzelnen Alters/Geschlechtsgruppen
sind als repräsentativ zu betrachten. Die Fehlertoleranz innerhalb
der Kidsbefragung liegt bei 3,4% (bei einer Wahrscheinlichkeit von
95%) und bei 2,3% bei der Erwachsenenbefragung (bei einer
Wahrscheinlichkeit von 95%).
Der Kinderreport 2015 des Deutschen Kinderhilfswerkes wurde
gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend. Er steht unter www.dkhw.de zum kostenlosen Download
bereit.
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