(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert das türkische
Parlament auf, das von der Regierung vorgelegte Paket von
Sicherheitsreformen abzulehnen oder grundlegend zu überarbeiten. Die
geplanten Verschärfungen des Demonstrationsstrafrechts würden
willkürliche Festnahmen von Journalisten sowie Durchsuchungen ihrer
Wohn- und Arbeitsräume weiter erleichtern und die richterliche
Kontrolle verringern.
"Journalisten in der Türkei sind schon jetzt ständigen Übergriffen
der Polizei ausgesetzt", kritisierte ROG-Geschäftsführer Christian
Mihr. "Polizeiexzesse sollten verfolgt und nicht erleichtert werden.
Die Türkei braucht nicht zuletzt im Interesse der Pressefreiheit mehr
rechtsstaatliche Aufsicht statt noch weniger davon."
DURCHSUCHUNGEN AUF MÃœNDLICHE ANWEISUNG
Der Gesetzentwurf dürfte die schon jetzt häufigen Durchsuchungen
von Redaktionen und Wohnungen von Journalisten im Zusammenhang mit
ungenehmigten Demonstrationen weiter erleichtern - zulasten des
Quellenschutzes. So sollen Polizisten in "dringlichen" Fällen auf
mündliche Anweisung eines Vorgesetzten Personen, Fahrzeuge oder
Räumlichkeiten durchsuchen können und erst im Nachhinein binnen 48
Stunden eine richterliche Genehmigung einholen (http://t1p.de/3yii).
Auch willkürliche Festnahmen von Journalisten, die über Proteste
berichten, dürften noch öfter vorkommen, sofern die Reform wie von
der Regierung eingebracht Wirklichkeit wird: Der Entwurf sieht vor,
dass Festnahmen bei ungenehmigten Demonstrationen bis zu 24 Stunden,
im Falle einer "schweren Bedrohung der öffentlichen Ordnung" sogar 48
Stunden ohne Richterbeschluss möglich sind. Bedenklich ist ferner ein
Passus, der es der Polizei erlauben soll, Menschen von
Versammlungsorten zu entfernen, die "ihre eigene Sicherheit oder die
Sicherheit anderer gefährden".
Für Telefonabhörmaßnahmen der Polizei oder des Geheimdienstes soll
künftig erst 48 Stunden im Nachhinein eine Genehmigung eingeholt
werden müssen - eine Verdoppelung der bisherigen Frist von 24
Stunden. Die entsprechenden Befugnisse soll künftig auch die
Gendarmerie erhalten.
Die Regierung hatte das Paket Ende November unter dem Eindruck der
schwersten Unruhen seit rund einem Jahrzehnt vorgelegt. Dabei waren
in den Kurdengebieten im Südosten des Landes rund 30 Menschen bei
Protesten gegen die Belagerung der syrisch-kurdischen Stadt Kobane
durch Dschihadisten getötet worden.
SERIE REPRESSIVER GESETZE SCHRÄNKT PRESSEFREIHEIT EIN
Besonders deutlich wurde das Ausmaß der Polizeigewalt gegen
Medienschaffende in der Türkei bei den Gezi-Protesten von Mai bis
September 2013. Dabei wurden mindestens 153 Journalisten angegriffen
und 39 verletzt (http://t1p.de/8zwc). Die Justiz hat die Ãœbergriffe
seitdem nur sehr schleppend behandelt. Regierung und Behörden haben
nichts unternommen, um den Schutz von Journalisten bei
Demonstrationen zu verbessern; im Gegenteil haben sie etwa mit
wiederholten Verschwörungsvorwürfen gegen ausländische Medien und
Journalisten einem Klima von Verdächtigungen und Hysterie Vorschub
geleistet.
Das aktuelle Reformvorhaben reiht sich in eine Serie repressiver
Gesetze in jüngster Zeit ein. So beschloss das Parlament im
vergangenen April, die Befugnisse des Geheimdienstes MIT zu
erweitern; Journalisten müssen diesem nun auf Aufforderung
ausdrücklich und unter Haftandrohung alle gewünschten Informationen
vorlegen. Die Veröffentlichung "sensibler" Dokumente über den MIT
wird mit bis zu zehn Jahren Haft bedroht. Im Februar und September
2014 verabschiedete Reformen des türkischen Internetgesetzes haben
die Behördenbefugnisse für Onlineüberwachung und -zensur drastisch
erweitert (http://t1p.de/vqer, http://t1p.de/j3pv).
Zugleich sind trotz mehrerer Reformpakete der vergangenen Jahre
unter anderem einige problematische Strafrechtsartikel weiterhin in
Kraft, nach denen zahlreiche Journalisten juristisch verfolgt werden.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2014 steht die Türkei auf
Platz 149 von 180 Ländern. Weitere Informationen zur Lage der
Journalisten dort finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei/ sowie in einer ROG-Stellungnahme
für den UN-Menschenrechtsrat (http://t1p.de/8zwc), auf dessen
Tagesordnung Ende Januar die turnusmäßige Überprüfung der
Menschenrechtslage in der Türkei stand.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Silke Ballweg / Christoph Dreyer
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