(ots) - Joachim Gauck reist an. Für Beistand ist gesorgt.
Keiner kann so gut wie der Bundespräsident das Hohelied auf die
Freiheitsliebe singen. Darum ging es ja - vor einem Jahr auf dem
Maidan, dem großen Platz im Herzen von Kiew. Um Freiheit,
Unabhängigkeit und Demokratie für die Ukraine. Groß waren die Träume,
und groß ist die Trostlosigkeit zwölf Monate später: Die Krim
verloren, das Land geteilt, ausgeblutet, verwüstet und bankrott.
In diesem schmutzigen Krieg ist Russland überlegen, weil es Wort-
und Rechtsbrüche nicht scheut. Die Kesselschlacht um Debalzewe hielt
an - Waffenstillstand hin oder her -, bis Fakten geschaffen waren.
Nicht nur auf dem Feld, sondern auch am Verhandlungstisch ist
Russlands Präsident im Vorteil, weil Merkel und Co. weder für die
Ukraine kämpfen noch Waffen liefern wollen. Putin hat einen Colt, die
anderen haben Worte.
Der Konflikt ist eingefroren und die Ukraine weit entfernt von
Stabilität. Nach dem Völkerrechtsbruch durch Russland kann der Westen
nicht zur Tagesordnung übergehen. Die Nato wird aufrüsten. Die
Sanktionen halten an, treffen Russland und ebenso die Ukraine.
Deutsche Exporteure, traditionell stark im Osten, spüren den Rückstoß
auch. Ob die EU noch einmal an der Sanktionsschraube drehen könnte,
ist mehr als offen. So weit ist es mit der Einigkeit nicht her.
Die Ukraine war schon immer ein gespaltenes Land: unterschiedliche
Ethnien, unterschiedliche Kulturen, westlich römisch-katholisch,
östlich russisch-orthodox. Das sind nicht nur alte Grenzen zwischen
Byzanz und Rom. Daran kann man auch andere Trennlinien ziehen,
zwischen der russischen Einflusssphäre und Westeuropa. Das hat die EU
vor einem Jahr zu wenig einkalkuliert. Sie hat die Spaltung
verstärkt, und Putin hat es als geopolitische Auseinandersetzung
aufgefasst.
Ein Jahr nach Maidan stünde den Europäern mehr Selbstkritik gut
an. Sie waren kulturell unbedarft, geschichtsvergessen und naiv. Sie
haben ihre Krisendiplomatie gut gemeint, aber nicht gut gemacht.
Davon wird wohl kaum die Rede sein, wenn am Wochenende auf dem Maidan
an die Freiheit und Demokratie erinnert wird.
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