(ots) - Die Verbraucherorganisation foodwatch hat
Bundesernährungsminister Christian Schmidt aufgefordert, den
Evaluationsbericht über die Arbeit der Lebensmittelbuch-Kommission
unverzüglich und vollständig zu veröffentlichen. Das externe
Gutachten liegt dem Ministerium bereits seit Dezember vor. Rund drei
Monate nach Abschluss der Evaluation konnte ein Sprecher Schmidts auf
Nachfrage von foodwatch jedoch noch nicht einmal einen Termin für die
Veröffentlichung in Aussicht stellen. Das widerspricht dem
Versprechen des Bundesernährungsministeriums (BMEL) in Bezug auf die
Evaluation der umstrittenen Kommission: "Das BMEL legt Wert auf einen
offenen und öffentlichen Diskussionsprozess zu diesen Fragen und hat
einen solchen Prozess deswegen selbst angestoßen." (Quelle:
Internetseite des BMEL; Link siehe unten).
"Die Mauertaktik von Minister Schmidt ist das Gegenteil einer
offenen und öffentlichen Debatte und lässt nichts Gutes erwarten",
kritisierte Lena Blanken, Expertin für Lebensmittelkennzeichnung bei
foodwatch. "Bei der Evaluation läuft einiges schief: Erst bekommen
ausgerechnet industrienahe Gutachter den Zuschlag für die Überprüfung
der Kommission, dann wird das Ergebnis monatelang nicht auf den Tisch
gelegt. Es gibt keinen guten Grund dafür, das Gutachten
zurückzuhalten oder erst dann zu veröffentlichen, wenn es durch die
politische Mühle gegangen ist."
Die geheim tagende, beim BMEL angesiedelte
Lebensmittelbuch-Kommission erarbeitet sogenannte Leitsätze zur
Produktkennzeichnung und -zusammensetzung. Diese sind zwar formal
unverbindlich, doch weil sich Hersteller, die amtliche
Lebensmittelüberwachung und auch Gerichte an ihnen orientieren, haben
sie eine mit Gesetzen vergleichbare Wirkung. Acht der 32 Mitglieder
der Kommission stammen aus der Lebensmittelwirtschaft. Die
Geschäftsordnung sieht vor, dass sie mit ihren Stimmen alle
Entscheidungen blockieren können. In der Kritik steht das Gremium,
weil es für zahlreiche irreführende Produktbezeichnungen
verantwortlich ist - zum Beispiel Schokoladenpudding, der nur einen
Mini-Anteil Kakao enthält, Kirschtee ohne Kirschen oder Lachs-Imitat,
das unter dem Namen "Alaska-Seelachs" verkauft wird. Der Bayreuther
Staatsrechtler Prof. Stephan Rixen hatte das Konstrukt einer quasi
normsetzenden, aber demokratisch unzureichend legitimierten Instanz
zuletzt als verfassungswidrig bezeichnet.
foodwatch forderte Minister Christian Schmidt auf, die
Lebensmittelbuch-Kommission abzuschaffen. "Die Kommission hat
Verbrauchertäuschung in vielen Fällen erst legitmiert,
verbraucherfreundlichere Standards sind am Veto der
Lebensmittelwirtschaft gescheitert", erklärte Lena Blanken. Zur
Festegung von Produktbezeichnungen forderte foodwatch stattdessen ein
demokratisches und transparentes Verfahren, bei dem zum Beispiel das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Leitsätze
erarbeitet und sich dabei zuallervorderst an der Erwartung der
Verbraucher, nicht an den ökonomischen Interessen der Hersteller
orientiert.
Das Bundesernährungsministerium hatte im Jahr 2013 auf die Kritik
an der Lebensmittelbuch-Kommission reagiert und eine externe
Evaluation angestoßen. Dabei sollte laut Ausschreibungstext die
"gesamte Struktur" des umstrittenen Gremiums "auf den Prüfstand"
kommen. Nach der Ausschreibung durch die Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung (BLE) erhielt die zur industrienahen AFC
Consulting Group gehörende AFC Public Services GmbH den Zuschlag -
gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfgang Voit von der Philipps-Universität
Marburg, dessen Forschungsstelle u.a. von Ferrero und Dr. Oetker
unterstützt wird. Im April 2014 begannen sie mit der Arbeit an dem
Gutachten. Auch foodwatch wurde um eine Einschätzung gebeten. Mitte
Dezember 2014 wurde der Evaluationsbericht dem Ministerium
überstellt, seitdem jedoch nicht veröffentlicht.
LINK:
E-Mai-Protestaktion von foodwatch zur Abschaffung der
Lebensmittelbuch-Kommission:
www.foodwatch.de/aktion-lebensmittelbuch
REDAKTIONELLE HINWEISE:
- Bundesernährungsministerium (BMEL) zur Evaluation der
Kommission: http://bit.ly/1AJV1Wd
- Ausschreibungstext der Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung (BLE): http://bit.ly/1Esn9jv
- Pressemitteilung von foodwatch zur Einschätzung von Prof. Rixen
zur LMBK: http://bit.ly/1ArgRit
- foodwatch-Beitrag zur Evaluierung: http://bit.ly/1MR1eGi
- Fotostrecke von foodwatch mit Beispielen für irreführende
Leitsätze: http://bit.ly/1DTrV8U
Pressekontakt:
foodwatch e.V.
Martin Rücker
E-Mail: presse(at)foodwatch.de
Tel.: +49 (0)30 / 24 04 76 - 2 90