(ots) - Wissenschaft warnt vor Dramatisierung der
Flüchtlingszahlen
IMIS-Direktor Pott: Dramen finden andernorts statt - Scharfe
Kritik an "Festungspolitik"
Osnabrück. Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen warnt die
Wissenschaft vor einer Dramatisierung. In einem Interview mit der
"Neuen Osnabrücker Zeitung" (Freitag) sagte der Direktor des
Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der
Universität Osnabrück (IMIS), Andreas Pott: "Die Dramen und
Katastrophen finden andernorts statt. Zum Beispiel im kleinen
Libanon, der mit seinen vier Millionen Einwohnern alleine eine
Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat."
Außerdem seien die Zahlen für Deutschland weder erstmals so hoch,
noch hätten sich die Prognosen für das vergangene Jahr erfüllt.
"Während für 2014 zeitweise weit über 200.000 Flüchtlinge
prognostiziert wurden, lag die Zahl der Asylanträge durch
hinzukommende Erstantragsteller am Jahresende bei 173.000. Dies
entspricht nicht einmal 0,3 Prozent der Bevölkerung eines der
reichsten Länder der Erde. Rechtfertigt dies eine Überforderungs- und
Katastrophenrhetorik?", fragte der Migrationsforscher.
Pott monierte eine "ebenso schäbige wie schändliche europäische
Festungspolitik". Statt einer umfassenden und europäisch
koordinierten Flüchtlingspolitik werde auf Abwehr und Abschreckung
gesetzt. Und wenn Flüchtlinge nach Deutschland kämen, sei der Umgang
mit ihnen "nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch
migrationspolitisch kurzsichtig". Asylbewerber würden vielerorts
ausgegrenzt. "Sie werden nicht integriert, sondern separiert",
kritisierte der Experte. "Viel zu oft werden sie künstlich schwach
gehalten, statt gestärkt zu werden", so etwa durch Arbeitsverbote
oder die Unterbringung in "peripher gelegenen und unwürdigen
Sammelunterkünften", wie Pott sagte. "Ihre Qualifikationen und
Potenziale liegen brach", erklärte er.
Der IMIS-Chef kritisierte ferner, dass Flucht gegenwärtig als
Ausnahmeereignis dargestellt werde. "Die Migrationsgeschichte und die
Krisenhaftigkeit unserer globalisierten Welt lehren aber, dass Flucht
etwas ist, das immer wieder geschieht", sagte Pott. "Wir sollten auch
in Zukunft mit Fluchtbewegungen rechnen und uns auf sie einstellen",
mahnte der Direktor des bundesweit renommierten, von dem Historiker
Klaus J. Bade gegründeten Instituts, an dem sich rund 40
Wissenschaftler mit Migration und Integration befassen.
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