(ots) -
Dienstag, 24. März 2015, 20.15 Uhr
Die Suche nach Hitlers Volk (1)
Deutschlandreise '45
Bei seiner Fahrt durch gerade eroberte Gebiete Deutschlands
interviewt ab Ende 1944 Saul Padover mit seiner Spezialeinheit für
psychologische Kriegsführung unzählige "ganz normale" Deutsche.
Der US-Soziologe und Historiker trifft Bäuerinnen, Bürgermeister,
junge Frauen in der Kluft des "Bundes deutscher Mädel", Lehrer,
Anwälte, Arbeiter, Hausfrauen und einstige Gewerkschafter. Was er
über seine Gespräche notiert, ist beklemmend.
Es bleibt bis heute der unmittelbarste und beklemmende
Stimmungsbericht aus dem ruinierten Niemandsland zwischen Krieg und
Frieden. Padover trifft auf verbitterte, illusions-, teils gefühllose
Zivilisten - sie fühlen sich vom "Führer", der ihnen so viel
verheißen hatte, betrogen. Plötzlich wollte keiner mehr ein
"richtiger Nazi" gewesen sein - man habe unter Zwang mitgemacht und
sich der Partei angeschlossen. Und immer aufs Neue bekommt er
Erklärungsversuche, Entschuldigungen, Ausflüchte zu hören - aber
keine schlüssige Antwort auf die Fragen, die den Betrachter bewegen:
Wie konnte das alles geschehen? Wie funktionierte die Diktatur in
ihrem Inneren? Wie bereitwillig reihten die Deutschen sich ein?
Die erste Folge der Dokumentation "Die Suche nach Hitlers Volk -
Deutschlandreise '45" greift diese Fragen auf und widmet sich den
Vorkriegsjahren. Illustriert durch authentische Bilder, erläutert von
renommierten Forschern und gestützt auf den neuesten Erkenntnisstand,
entwirft sie eine Charakterstudie der Deutschen in der Diktatur.
Dabei offenbart sich ein erstaunliches Bild. Hitlers Volk setzte sich
in seiner Mehrheit nicht aus durch Terror verängstigten oder vom
schönen Schein verblendeten Untertanen zusammen, wie gemeinhin
überliefert. Es war eine Diktatur, die während der Vorkriegsjahre die
Zustimmung der Massen suchte und auch fand - Terror und Zwang waren
dosiert und auf bestimmte Gruppen fokussiert. Die meisten
Zeitgenossen fühlten sich - bis in die ersten Kriegsjahre hinein -
bestens aufgehoben in der Illusion einer unterschiedslosen
Volksgemeinschaft. Ein modern wirkendes Vorzeigemodell, wie es auch
von ausländischen Besuchern und Diplomaten geschätzt und bewundert
wurde. Das aber auf der Abgrenzung der Verfemten gründete: der
"Arbeitsscheuen", Homosexuellen, Behinderten und vor allem der Juden.
Der Film will keine letztgültigen Erklärungsmuster verkünden, aber er
geht der Wirklichkeit hinter Klischees und Trugbildern auf den Grund,
schafft Ãœberblicke, liefert Zahlen und quellengesicherte
Bestandsaufnahmen. Authentische Filmbilder, Fotos und Dokumente,
Grafiken, Zahlen und Zeugnisse, Erkenntnisse und Analysen kundiger
Fachleute bringen uns die alltägliche Welt jener Generation näher,
sie machen augenfällig, was bis heute unbegreiflich bleibt.
Teil 2 wird am Dienstag, 31. März 2015, 20.15 Uhr, ausgestrahlt.
Dienstag, 31. März 2015, 20.15 Uhr
Die Suche nach Hitlers Volk (2)
Deutschlandreise '45
Im Dezember 1944 führt der US-Soziologe und Historiker Saul K.
Padover hinter der Front in Belgien Gespräche mit deutschen
Kriegsgefangenen.
Dabei stellt er erschüttert fest, dass sie immer noch bereit sind,
bedingungslos für das "Dritte Reich" und Hitler zu kämpfen. Hitler
verlangte "fanatischen Widerstand" selbst in völlig aussichtsloser
Situation. Und die Mehrheit der deutschen Soldaten folgte ihm.
Folgte ihm bis in den Untergang. Bis zuletzt glaubten viele an die so
genannten "Wunderwaffen" - Düsenjäger und Raketen. Auch viele
deutsche Zivilisten klammerten sich an diese Hoffnung. Wunder-
"Gläubigkeit" ist konstitutiv für die nationalsozialistische
Mentalität und wird von einer großen Anzahl der "Volksgenossen"
verinnerlicht. Es sind vor allem die ganz Jungen, die nach wie vor
vorbehaltlos bereit sind, sich zur Not selbst für ihren "Führer" zu
opfern: Folge einer totalitären Erziehung, die ganz offen darauf
angelegt war, aus Kindern und Jugendlichen Kampfmaschinen zu machen.
Dies gilt in besonderem Maße für Angehörige der SS: Sie sind
durchdrungen von einem rassistischen Überlegenheitsgefühl, das
völlige Rücksichtslosigkeit gegen "Minderwertige" rechtfertigen soll,
dazu kommt die fast schon pathologische Vorstellung, Träger einer
historischen Mission der "Vorsehung" zu. Ein junger ehemaliger
Angehöriger der Waffen-SS erzählt Padover - nicht ohne Stolz - von
Erschießungen. Was hat Männer wie ihn zu hemmungslosen Tätern
gemacht?
Saul Padover staunt auch darüber, wie gut gekleidet und genährt die
Deutschen noch Anfang 1945 sind. Das ist kein Zufall. Dieser Krieg
war von deutscher Seite von Anfang an auch ein Raub-Krieg:
Systematisch ließ die nationalsozialistische Führung die besetzten
Gebiete, vor allem im Osten, ausplündern, um die Versorgung der
deutschen Bevölkerung sicher zu stellen. Padover sieht von den
Alliierten verheerte Städte - verblüfft stellt er fest, dass die Post
immer noch einigermaßen pünktlich zugestellt wird, Bahnen fahren -
und die Menschen zur Arbeit gehen. Der deutschen Bürokratie, dem
deutschen Ordnungssinn und der allgemeinen Loyalität zum "Führer"
hatte selbst die immer weiter fortschreitende Zerstörung der
deutschen Städte nichts anhaben können. Kein "Widerstand" weit und
breit. Im Gegenteil: Die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 galten
den meisten Deutschen als Verräter.
Auf der Grundlage neuester Forschungsergebnisse stellt der Film
zahlreiche traditionelle Einschätzungen auf den Prüfstand und liefert
Antworten auf Fragen, die noch immer bewegen: Was wussten die
Deutschen von der systematischen Ausplünderung der besetzten Gebiete,
von den Millionen Verhungerten und Erschossenen, vom Holocaust? Wie
viele von ihnen waren in die Verbrechen involviert? Welche Bedeutung
hatte die Bindung an Eid und Befehl? Wie viel Eigeninitiative legten
die Täter an den Tag?
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