(ots) -
Öffentliche Gesundheitstipps zur Ernährung haben gute Absichten,
sollten jedoch auf besseren und aktuelleren Erkenntnissen beruhen, um
die Öffentlichkeit zu schützen und gesundheitliche Vorteile zu
erzielen, wurde auf einer grossen Konferenz postuliert.
(Photo: http://photos.prnewswire.com/prnh/20150324/736074 )
Bei der in Florenz von der Associazione Nazionale Medici
Cardiologi Ospedalieri (italienischer nationaler Verband von
Krankenhaus-Kardiologen) abgehaltenen Konferenz kamen führende
internationale Experten auf den Gebieten Ernährung und medizinische
Forschung zu Wort.
Michele Gulizia, nationaler Präsident der ANMCO (italienischer
nationaler Verband von Krankenhaus-Kardiologen) und Direktor der
kardiologischen Abteilung des Krankenhauses "Garibaldi-Nesima" in
Catania, Italien, erklärte: "Das Essen ist ein komplexes System: auf
der einen Seite bekommt es eine fast krankhafte Aufmerksamkeit in den
Medien, auf der anderen Seite sind faktische Informationen über das
Essen auf unseren Tischen rar. Die Frage Fett ist ein spezielles
Beispiel, denn es wurde in der Vergangenheit oft dämonisiert, und
seine korrekte Nutzung wurde erst nach 40 Jahren Medienterrorismus
richtiggestellt. Fehlinformationen über unsere Nahrung betreffen auch
Kohlenhydrate, Proteine und Diäten zur Gewichtsabnahme, die bestimmte
Nährstoffe oder einzelne Elemente ganz weglassen, ohne dass es dafür
unterstützende medizinische Nachweise gibt. Diese Art der
Berichterstattung hat einen Einfluss auf die Nahrungsauswahl
bestimmter Bevölkerungsschichten."
Ein wichtiger, im Journal of Clinical Epidemiology
veröffentlichter Bericht beleuchtet, dass die Empfehlungen der WHO
nicht korrekt verbreitet werden: sogar "starke Empfehlungen" basieren
häufig auf Studien, die wenig bis sehr wenig verlässlich sind. In dem
Bericht wurden alle WHO-Richtlinien untersucht, die zwischen 2007 und
2012 veröffentlicht wurden, mit dem Resultat, dass 289 von 456 (über
55 %) der als "stark" eingestuften Empfehlungen auf Studien mit
geringer bis sehr geringer Qualität beruhen [(1)] . Es fällt daher
schwer zu glauben, dass die auf ihnen basierenden Richtlinien
verlässlich sind; die Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit
sind unsicher. Darüber hinaus gibt die WHO gelegentlich
"konditionale" Empfehlungen heraus, deren vorteilhafte Effekte nicht
angegeben oder unbekannt sind. Dies ist eine merkwürdige Situation
angesichts der Tatsache, dass auf der Zweiten Internationalen
Ernährungskonferenz in Rom im November 2014 alle Mitgliedsstaaten
einstimmig beschlossen haben, dass von der World Health Organization
herausgegebene Dokumente nur auf den besten verfügbaren Studien und
den hochwertigsten wissenschaftlichen Nachweisen beruhen sollen.
Ausserdem wäre es angemessener, wenn Empfehlungen auf an mehreren
Zentren durchgeführten Beobachtungsstudien basieren würden, die sich
spezifisch auf ein Thema beziehen und aktuell sind, um
Unstimmigkeiten und Schlussfolgerungen zu vermeiden, die oft die
tatsächliche Information falsch wiedergeben. Es sei nur darauf
verwiesen, dass die Empfehlungen im letzten Bericht zum Verbrauch von
zusätzlichen Zuckern bei Erwachsenen und Kindern auf der Untersuchung
von vier Beobachtungsstudien beruhen, die in den 1960er Jahren in
Japan zum Thema Karies durchgeführt wurden. Lediglich eine Fussnote
unten auf den Seiten gibt an, dass "konditionale" Empfehlungen
verfasst werden, wenn keine Sicherheit über die Balance von Risiken
und Vorteilen vorliegt bzw. es keinen Nachteil aus der Akzeptanz der
Empfehlung gibt. Ein Grundthema der Konferenz war die Notwendigkeit
für mehr Klarheit nach den kürzlichen hochrangigen Diskussionen, ob
einzelne Nährstoffe wie saturierte Fette, Zucker und Salz für
chronische Zustände wie Übergewicht, Herzkrankheiten und Typ
2-Diabetes verantwortlich gemacht werden können.
Seit der berühmten Sieben-Länder-Studie aus den 1970er Jahren
[(2)], in der saturierte Fette für höhere Cholesterinspiegel im Blut
und Herzkrankheiten verantwortlich gemacht wurden, haben sich die
Nahrungsgewohnheiten in den westlichen Ländern in Richtung
Nahrungsmittel mit weniger Fett und Cholesterin entwickelt. Eine
Neubewertung der fettarmen Ernährung hat nun zu einem Angriff auf
Zucker und andere Kohlenhydrate sowie mehr Konfusion in der
Öffentlichkeit als je zuvor geführt. Verschlimmernd wirkt sich aus,
dass auch die Wissenschaft nicht einig ist, ob Fette oder
Kohlenhydrate schlechter für die Gesundheit sind. Ein Umdenken ist
nötig, wie auf der Konferenz in Florenz erklärt wurde.
Vor seiner Präsentation auf der Konferenz kommentierte Professor
Dennis Bier aus Houston, USA: "Der Ansatz mit einzelnen Nährstoffen
ist zur Definition der biochemischen Reaktion nötig, aber er kann
nicht die gesamte menschliche Reaktion auf komplette Diäten mit
verschiedenen Nährstoffmustern und komplexen Zutaten erklären."
Der nachfolgende Redner, Professor Furio Brighenti von der
Universität Parma, fügte hinzu: "Die Nahrungsmittelforschung der
Zukunft braucht neue und innovative experimentelle Modelle, die -
über die biologischen Effekte - hinaus andere Aspekte der
menschlichen Ernährung berücksichtigen, wie z.B. psychologische,
kulturelle und soziale Aspekte, die letztlich alle etwas mit der
Nahrungsauswahl zu tun haben."
Der Mitvorsitzende der Konferenz, Professor Carlo La Vecchia von
der Universität Mailand, sagte: "30 Jahre der 'Lipid-Phobie'
erscheinen heute als nicht komplett in Ãœbereinstimmung mit der
wissenschaftlichen Realität. Wird sich der aktuelle Trend zur
'Karbo-Phobie' als ebenso irreführend herausstellen? Heutzutage
sollte der Schwerpunkt nichtauf der Gesamtmenge der Nährstoffe,
sondern der kompletten Zusammensetzung und Qualität der Ernährung
liegen."
1) Alexander et al. - Journal of Cl. Epidem (2013) WHO recommendations are
often strong based on low confidence in effect estimates.
2) http://en.wikipedia.org/wiki/Seven_Countries_Study
http://www.anmco.it
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