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Paula lächelt. Aus dieser Perspektive hat sie ihre Heimatstadt
noch nie gesehen. Weiße Rauchschwaden steigen aus einzelnen
Schornsteinen auf, unten auf der Straße sehen die Menschen wie
Ameisen aus und am Horizont ist Wald zu erkennen. Noch liegen einige
Teile der Stadt im Schatten, aber die Sonne nimmt immer mehr Straßen
in ihren Besitz. Die wenigen Wolken am sonst blauen Himmel ziehen
langsam über Paula und Sören hinweg. Die beiden stehen im Korb der
Drehleiter, 20 Meter über dem Gelände der Berufsfeuerwehr Gießen. Die
16-jährige Paula erlebt zum Girls'Day eine Schicht lang den Alltag
bei der Feuerwehr.
Paula nimmt den Joystick vor ihr in die Hand. Vorsichtig drückt
sie den Hebel nach unten und sofort setzt sich der Korb in Bewegung.
Die Schwingungen der Leiter so hoch oben sind deutlich zu spüren.
Jetzt versucht sie es noch einmal, diesmal aber mit mehr Gefühl.
Wieder reagiert die Leiter sofort. Nach links. Nach oben. Und wieder
nach unten. Jetzt hat Paula den Bogen raus. Der Himmel hinter ihr ist
in zarte Rottöne getaucht. Trotz Ferien ist die 16-jährige Schülerin
an diesem Morgen sehr früh aufgestanden. Denn heute begleitet Paula
die Wachabteilung II der Berufsfeuerwehr Gießen. Das sind Menschen,
für die Feuerwehr mehr als nur ein Job ist. Da ist zum einen
Brandmeister Sören Kraft, der sie im Korb der Drehleiter bis ganz
nach oben mitgenommen hat. Sein Kollege Brandmeister Tobias Noll, der
heute gemeinsam mit Sören den ersten Angriffstrupp stellt.
Oberbrandmeister Christian Horst ist der Fahrzeugführer des
Löschfahrzeugs, auf dem auch Paula in dieser Schicht einen festen
Sitzplatz haben wird. Brandmeister Marcus Link sitzt dabei genau
neben ihr.
Paula lernt den Alltag bei der Berufsfeuerwehr Gießen kennen und
darf für ein paar Stunden hinter die Kulissen schauen. Ein bisschen
kennt sie sich bei der Feuerwehr schon aus, denn Paula ist in der
Jugendfeuerwehr. Im Laufe der Schicht sieht sie, wie
abwechslungsreich und anspruchsvoll die Aufgaben der Berufsfeuerwehr
sind. Neben den täglichen großen und kleinen Einsätzen bilden sie
sich fort, reinigen ihre Ausrüstung wie etwa Chemikalienschutzanzüge
und haben zwischendurch immer noch Zeit für eine kurze Erklärung. Die
Feuerwehrleute in Gießen sind mit dem Herz bei der Sache und nehmen
Paula mit Freude in ihrer Mitte auf - wenn auch nur für eine Schicht.
Es ist kurz vor 10 Uhr. Auf dem Dienstplan steht "Objekt- und
Straßenkunde". Paula sitzt gemeinsam mit den Feuerwehrleuten an einem
großen Tisch und blickt auf eine grüne Schultafel am anderen Ende des
Raums. Links hinter ihr hängt eine Straßenkarte von Gießen. Nach
einigen kurzen Ausführungen zur Geschichte der Stadt beginnt die
Gruppenarbeitsphase. Paula ist mittendrin, sie hilft ihrer Gruppe,
einen Kurzvortrag über Fahrstraßen zu erarbeiten. Dafür zeigen ihr
Sören und Christian erst einmal, wo genau diese Fahrstraßen
verlaufen. Der Plan zeigt die schnellsten und sichersten Wege zu
möglichen Einsatzstellen im gesamten Stadtgebiet. "Müsst ihr die alle
auswendig wissen?" fragt Paula, als sie sieht, wie umfangreich dieser
Plan ist. "Natürlich hilft es sehr, wenn wir uns in der Stadt
auskennen. Deswegen machen wir ja auch immer wieder Unterrichte wie
diesen. Aber zur Sicherheit steht auf jedem Alarmzettel, der uns
ausgedruckt wird, nochmal genau der Weg zur Einsatzstelle drauf",
erklärt ihr Sören.
Kurz vor Ende des Unterrichts ertönt das Alarmsignal. Der erste
Einsatz für diesen Tag - und für Paula der erste überhaupt. Stühle
werden zurückgeschoben, schwere Schritte sind zu hören. Wie auf einer
Perlenschnur aufgereiht begeben sich die Feuerwehrmänner der
Wachabteilung II auf den Weg in Richtung Fahrzeughalle. Wieder ist
Paula mitten drin. Alle bewegen sich zügig, aber keiner rennt.
Stiefel, Hose, Jacke und Helm. Los geht's. Paula legt noch schnell
den Sicherheitsgurt an, da setzt sich das Fahrzeug auch schon in
Bewegung. "Technische Hilfeleistung" ist das Einsatzstichwort; noch
weiß niemand, was sie gleich erwarten wird. Unter dem schrillen
Martinshorn wühlen sich die Feuerwehrfahrzeuge durch den
Stadtverkehr. Paula prüft den Sitz ihres Helmes. Sie schaut seitlich
aus dem Fenster. Sören blickt mit einem verschmitzten Lächeln zu ihr
herüber und sagt: "Das ist die Fahrstraße Nummer drei."
Kurze Zeit später haben sie den Einsatzort erreicht. Noch immer
weiß niemand Genaueres. Fahrzeugführer Christian hält es für das
Beste, Paula vorerst nicht mit dem Angriffstrupp bis zur Wohnungstür
gehen zu lassen. Sie bleibt auf dem Bürgersteig vor dem großen
Wohnhaus stehen und beobachtet das geschäftige Treiben um sie herum.
Vor dem Feuerwehrfahrzeug, in dem sie eben noch gesessen hat, fährt
ein Rettungswagen vor. Die Besatzung steigt aus. Bepackt mit großen
Rucksäcken und Taschen folgen sie den Feuerwehrleuten in das Gebäude.
Über Funk fordern Marcus' Kollegen zusätzlich benötigtes Material an,
das er ihnen nach oben bringt. Kurze Zeit später kommt er wieder
zurück und kann Paula auch mehr berichten: Eine Frau war gestürzt und
konnte aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen. "Jetzt kümmert sich
der Rettungsdienst um die Frau. Aber ernsthaft verletzt hat sie sich
zum Glück nicht", weiß der Feuerwehrmann.
Zu einer Technischen Hilfeleistung werden die Feuerwehren häufiger
gerufen als zu einem Brand. Die Feuerwehrleute sind für alle Lagen
bereit. So auch die Berufsfeuerwehr der hessischen Universitätsstadt
Gießen. Neben der Berufsfeuerwehr gibt es hier auch sechs Freiwillige
Feuerwehren. Zusammen unterstehen sie dem Amt für Brand- und
Bevölkerungsschutz der Stadt. Seit drei Jahren wird dieses von
Oberbrandrätin Martina Berger geleitet. Sie ist die erste Chefin
einer Berufsfeuerwehr in Deutschland. Etwa zehn Prozent ihrer Arbeit
ist tatsächliche Feuerwehrtechnik. Die Oberbrandrätin bekommt nur
noch wenig vom täglichen Feuerwehrdienst mit. Dennoch möchte sie den
Pulsschlag "ihrer" Feuerwehr spüren. Daher liest sie alle
Einsatzberichte, tauscht sich mit den Abteilungsleitern aus und nimmt
an den Sitzungen der Wehrführer und des Stadtbrandinspektors der
Freiwilligen Feuerwehr teil. Dabei geht es nicht um Kontrolle ihrer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, es geht vielmehr darum, den Blick
aufs Ganze nicht zu verlieren.
Über das Interesse der Schülerin freut sich die Oberbrandrätin
sehr, denn der Frauenanteil in den Berufsfeuerwehren ist mit 1,2
Prozent sehr gering. "Paula kann so einen Einblick gewinnen, was es
bedeutet, bei der Berufsfeuerwehr zu arbeiten. Ich finde es toll,
dass sie da ist."
Auf dem Hof eines ehemaligen Kasernengelände stehen zwei
Feuerwehrfahrzeuge. Auf einer Bank sitzt eine Frau; vor ihr ein
Kinderwagen. Kaum Wolken am Himmel, die Sonne wirft inzwischen lange
Schatten auf den Kasernenhof, der von drei Seiten mit Gebäuden
umringt ist. Einige der Fenster sind weit geöffnet. Menschen blicken
neugierig nach draußen. Die drei Kinder, die sich eben noch den Ball
zugekickt haben, kommen ein Stück näher und laufen gleich mehrmals um
die beiden roten Fahrzeuge herum.
Ein Heulton dröhnt durch das gesamte Gebäude und weit über den Hof
hinweg. Die Wachabteilung II wurde vor wenigen Minuten in die
Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge gerufen. Die Brandmeldeanlage
hatte ausgelöst. Vor Ort stellen Sören und Tobias fest: Kein Rauch.
Kein Feuer. Ein Fehlalarm. Das Heulen verstummt.
Die Feuerwehrleute begeben sich zurück zu ihren Fahrzeugen. Mitten
drin ist wieder Paula in ihrer orange-blauen Uniform. Aus allen
Richtungen kommen nun weitere Kinder und Jugendliche gelaufen.
Neugierige Blicke. Große Augen. Lächelnde Gesichter. Die Mädchen und
Jungen stellen sich in einer Reihe vor den Feuerwehrfahrzeugen auf
und klatschen jeden einzelnen der Feuerwehrmänner mit einem "High
five" ab. Als das Feuerwehrfahrzeug mit Paula an Bord vom Hof fährt,
winken die Kinder begeistert. Auch die Feuerwehrleute verabschieden
sich durch die offenen Fenster. Paula lächelt.
(Sabrina Reitz)
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