(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert Aserbaidschan
auf, alle inhaftierten Journalisten und Blogger umgehend
freizulassen. 30 Tage vor Beginn der Europaspiele appelliert die
Organisation zugleich an die Europäischen Olympischen Komitees, zu
den Repressionen gegen Medienschaffende im Gastgeberland nicht zu
schweigen.
"Die Vorstellung ist unerträglich, dass Präsident Ilcham Alijew
sich als Gastgeber einer sportlichen Großveranstaltung in Szene
setzen darf, während in den Gefängnissen seines Regimes Journalisten
für kritische Recherchen und Kommentare festgehalten werden", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Der Deutsche Olympische
Sportbund und die Europäischen Olympischen Komitees sollten sich
nicht zu Komplizen Alijews machen, sondern im Vorfeld und während der
Spiele die Unterdrückung der Pressefreiheit in aller Deutlichkeit
kritisieren. Für künftige Sportereignisse dieses Ranges muss die Lage
der Menschenrechte schon bei der Vergabe eine viel größere Rolle
spielen."
Derzeit sind in Aserbaidschan mindestens acht Journalisten und
vier Blogger wegen ihrer Tätigkeit im Gefängnis. Durch Verhaftungen,
Razzien und finanziellen Druck ist die Arbeit vieler unabhängiger
oder oppositioneller Medien zum Erliegen gekommen. Auch
Nichtregierungsorganisationen, die sich für Medienfreiheit einsetzen,
gehören zu den Opfern der jüngsten, im vergangenen Sommer begonnenen
Repressionswelle. Die Gesamtzahl politscher Häftlinge im Land
beziffern aserbaidschanische Menschenrechtlicher derzeit auf 80
(http://t1p.de/5wjz).
UNTERSUCHUNGSHAFT UND STRAFEN FÃœR BEKANNTE KRITISCHE JOURNALISTEN
Vergangene Woche verlängerte ein Gericht die schon seit mehr als
einem Jahr dauernde Untersuchungshaft für Rauf Mirkadirow bis zum 19.
September (http://t1p.de/5e7s). Der Auslandskorrespondent der
Wochenzeitung Zerkalo - ein bekannter Kritiker der Regierungen
Aserbaidschans, aber auch der Türkei und Russlands - war im April
2014 aus der Türkei abgeschoben und in seiner Heimat bei der Ankunft
am Flughafen verhaftet worden. Die Behörden werfen Mirkadirow
Hochverrat und Spionage für Armenien vor. Als "Beweis" gegen ihn
dient ein Video, das den Journalisten beim Unterschreiben von
Papieren während eines internationalen Seminars in der georgischen
Hauptstadt Tiflis zeigt.
Seit mittlerweile mehr als fünf Monaten ist Aserbaidschans
wichtigste Investigativjournalistin Khadija Ismajilowa in
Untersuchungshaft. Ursprünglich wurde ihr vorgeworfen, sie habe einen
freien Journalisten in einen Selbstmordversuch getrieben; dieser hat
längst eingeräumt, dass er seine Anschuldigungen unter Druck der
Sicherheitsbehörden zu Protokoll gab. Seit Februar werfen die
Behörden Ismajilowa zusätzlich schwere Untreue, Steuerhinterziehung
und weitere Straftaten vor (http://t1p.de/ezw0).
Ismajilowa ist insbesondere für ihre Recherchen über Vermögen und
Geschäfte höchster Regierungskreise bis hin zur Familie des
Präsidenten bekannt. Sie ist seit Jahren das Ziel staatlicher
Schikanen und anonymer Drohungen, darunter wiederholte
Schmutzkampagnen, bei denen angebliche Sex-Videos Ismajilowas im
Internet lanciert wurden. Reporter ohne Grenzen setzt sich mit einer
Protestmailaktion für die Freilassung der Reporterin ein
(www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/ismajilowa/).
Ende Januar wurde der Journalist Sejmur Chasi zu fünf Jahren Haft
wegen "schweren Rowdytums" verurteilt (http://t1p.de/cltl). Chasi ist
als Reporter der Oppositionszeitung Azadliq und Moderator der
kritischen Fernsehsendung "Azerbaycan Saati" bekannt, die vom Ausland
aus nach Aserbaidschan ausgestrahlt wird. Seine Strafe bezieht sich
auf einen Vorfall vom vergangenen August, als er sich gegen einen
tätlichen Angriff eines Fremden verteidigte.
KRITISCHE MEDIEN IN BEDRÄNGNIS
Der Repressionswelle seit dem vergangenen Sommer sind auch mehrere
der wenigen verbliebenen kritischen Medien in Aserbaidschan zum Opfer
gefallen. Seit einer Razzia Ende Dezember ist das Büro von Radio
Azadliq geschlossen, dem aserbaidschanischen Dienst des
US-Auslandssenders Radio Free Europe/Radio Liberty in Baku
(http://bit.ly/1DTiLdU). Die unabhängige Zeitung Zerkalo musste im
vergangenen Mai ihre gedruckte Ausgabe einstellen, weil sie infolge
staatlicher Eingriffe in Anzeigenmarkt und Vertriebswege nicht mehr
genug Einnahmen erzielte, um die laufenden Kosten zu decken
(http://t1p.de/3vlw).
Auch die wichtigste Oppositionszeitung Azadliq steht am Rande des
Ruins. Mehrfach musste sie wegen ausstehender Ãœberweisungen des
staatlicher Vertriebsunternehmens vorübergehend den Druck einstellen;
hinzu kommen hohe Geldstrafen und immer weiter reichende staatliche
Einschränkungen der Vertriebswege. Fernsehen und Rundfunk stehen
ohnehin längst unter vollständiger staatlicher Kontrolle.
MEDIEN-NGOS VERFOLGT, GESETZE VERSCHÄRFT
Zu den Zielen der staatlichen Repressionen gehören auch
Nichtregierungsorganisationen, die sich für freie Medien einsetzen.
So wurden die Bankkonten des Institute for Reporters' Freedom and
Safety (IRFS), der aserbaidschanischen Sektion der US-Organisation
IREX sowie die des Media Rights Institute (MRI) eingefroren, ebenso
die persönlichen Konten der Leiter von IRFS und MRI
(http://t1p.de/dsda). IRFS-Chef Emin Emin Husejnow harrt seit August
2014 in der Schweizer Botschaft in Baku aus, weil er seine sofortige
Verhaftung befürchtet, nachdem er an der Ausreise gehindert und der
Sitz seiner Organisation durchsucht wurde (http://t1p.de/91x3).
Vergangene Woche sprach der Europäische Menschenrechtsgerichtshof
Husejnow 15.000 Euro Schmerzensgeld zu, weil die aserbaidschanischen
Behörden ihn 2008 willkürlich festnahmen, in Polizeigewahrsam
misshandelten und seine Anschuldigungen anschließend nicht
glaubwürdig untersuchten (http://t1p.de/06fs).
Anfang Februar traten zwei Verschärfungen des Mediengesetzes in
Kraft. Demnach kann ein Medium künftig geschlossen werden, wenn
bekannt wird, dass es aus dem Ausland finanziell unterstützt wird.
Die betrifft vor allem unabhängige Medien, die aufgrund der
staatlichen Kontrolle des Anzeigenmarktes oft auf internationale
Unterstützung angewiesen. Geschlossen werden können nun auch Medien,
die zweimal innerhalb eines Jahres wegen Verleumdung verurteilt
werden (http://t1p.de/ni12).
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Aserbaidschan auf Platz
160 von 180 Ländern. Weitere Informationen über die Lage der
Medienschaffenden in Aserbaidschan finden Sie unter
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/aserbaidschan/.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Silke Ballweg / Christoph Dreyer
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29