(ots) - Freihandelsabkommen dürfen die Behandlungsqualität,
den schnellen Zugang zur Gesundheitsversorgung und das hohe
Patientenschutzniveau in Deutschland und der EU nicht
beeinträchtigen. Das deutsche Gesundheitswesen ist geprägt von den
Prinzipien der Selbstverwaltung und der Freiberuflichkeit. Gerade die
Gemeinwohlbindung, der die Kammern und Freien Berufe unterliegen,
trägt in erheblichem Maß zu diesem hohen Niveau bei.
Art. 168 Abs. 7 des Vertrages über die Arbeitsweise der
Europäischen Union stellt klar, dass die Verantwortung der
Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für
die Organisation des Gesundheitswesens und der medizinischen
Versorgung zu wahren ist. Die sich daraus ergebende Vielfalt kommt
den Patienten zugute, denn sie trägt den unterschiedlichen
Rahmenbedingungen in den Mitgliedsstaaten Rechnung. Darüber hinaus
hat die Europäische Union die Sonderstellung des Gesundheitssystems
anerkannt. Gesundheitsdienstleistungen sind besonders sensibel,
allgemeinwohlbezogen und schützenswert und können nicht mit
marktorientierten Dienstleistungen gleichgesetzt werden. Daher sind
sie von der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen.
Wir erwarten, dass die Verhandlungsführer der Europäischen Union
diese Grundsätze bei den Verhandlungen beachten und unsere
erfolgreichen Gesundheitssysteme - auch in Teilen - schützen. Die
Rechte der Patienten wie auch die Freiberuflichkeit von Ärzten,
Zahnärzten, Psychotherapeuten und Apothekern sowie die Kompetenzen
ihrer Selbstverwaltungsorgane dürfen nicht eingeschränkt oder
aufgehoben werden. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen
in Fragen der Gesundheitspolitik und der Ausgestaltung der
Gesundheitssysteme ihre Souveränität behalten. Wir fordern daher eine
Positivliste, die klarstellt, dass TTIP keine Anwendung auf das
Gesundheitswesen und die Heilberufe findet.
Patienteninteressen vor Kapitalinteressen
Kapitalinteressen dürfen medizinische Entscheidungen nicht
beeinflussen. In Deutschland existiert ein weitgehend
selbstverwaltetes, am Gemeinwohl orientiertes Gesundheitswesen. Das
US-amerikanische Gesundheitssystem ist im Gegensatz dazu stark
marktwirtschaftlich geprägt und weist deutlich weniger solidarische
Elemente auf. Die Struktur unseres Gesundheitswesens ist maßgeblich
gekennzeichnet durch Schutzmechanismen wie die
Zulassungsvoraussetzungen für Vertrags(zahn)ärzte, die Bedarfsplanung
oder den Sicherstellungsauftrag der Körperschaften. Diese dürfen
nicht durch Freihandelsabkommen aufgebrochen werden, um rein
gewinnorientierten Unternehmen Profitmöglichkeiten durch das
Betreiben von (Zahn)Arztpraxen, Apotheken oder MVZs zu eröffnen.
Die Heilberufe sichern trotz sinkender Ressourcen und angesichts
einer alternden Gesellschaft mit zunehmend multimorbiden Patienten
weiterhin einen hohen Qualitätsstandard im Gesundheitswesen. Eine
weitere Verschärfung der Versorgungslage durch eine noch stärkere
Ökonomisierung der Medizin würde das bisherige Niveau der
Patientenversorgung jedoch nachhaltig gefährden. Darüber hinaus führt
ein stark marktwirtschaftlich geprägtes Gesundheitswesen die
Patienten und somit auch die Heilberufe in die Abhängigkeit von
konjunkturellen Entwicklungen. Patientenversorgung darf aber keine
Frage der Konjunktur sein. Im Mittelpunkt der medizinischen
Versorgung muss der Patient und nicht die wirtschaftlichen Interessen
einzelner stehen. Wir sind davon überzeugt, dass jeder Patient auch
zukünftig eine seinen Bedürfnissen entsprechende hochwertige
medizinische Versorgung erhalten muss - flächendeckend und
wohnortnah. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Gesundheitswesen
vor Fehlentwicklungen im Zuge von Öffnungs- und
Privatisierungsverpflichtungen zu schützen. Freihandelsabkommen
dienen der wirtschaftlichen Entwicklung, aber sie müssen dort ihre
Grenzen haben, wo sie die medizinische Versorgung der Patienten
beeinträchtigen.
Freihandelsabkommen dürfen den Patientenschutz nicht gefährden
Die Vorschriften für den Berufszugang und die Berufsausübung der
Heilberufe dienen dem Schutz der Patienten und der Sicherung einer
qualitativ hochwertigen gesundheitlichen Versorgung. Sie dürfen nicht
durch die geplanten Freihandelsabkommen ausgehöhlt werden.
Die Heilberufe sind besorgt, dass der Anwendungsbereich der
Freihandelsabkommen Gesundheitsdienstleistungen erfassen,
deregulieren und darüber hinaus einer Normung unterziehen könnte.
Damit würde die den Mitgliedstaaten vorbehaltene Gestaltung der
Gesundheitssysteme nicht nur durch private internationale
industriegetragene Normungsgremien, sondern letztlich durch
internationale Freihandelsabkommen insgesamt ausgehebelt.
Die Aufgaben der Kammern der Heilberufe sind im Wesentlichen in
den Heilberufe- und Kammergesetzen verankert. Sie beinhalten die
Förderung der Qualitätssicherung und der Fortbildung, die Gestaltung
der Weiterbildung ihrer Mitglieder, die Mitwirkung an der
Berufsausbildung, die Wahrung der Interessen des Berufsstandes und
die berufsrechtliche Ãœberwachung ihrer Mitglieder. Diese Bestimmungen
sind notwendig, um ein hohes Qualitätsniveau der medizinischen
Versorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten
sicherzustellen. Der EuGH hat mehrfach entschieden, dass ein
zwingender Grund des Allgemeininteresses eine Beschränkung des
Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann.
Zwingende Gründe des Allgemeininteresses sind die Gewährleistung des
Patientenschutzes und der qualitativ hochwertigen
Gesundheitsversorgung. Die Grundsätze der Freiberuflichkeit und der
Selbstverwaltung durch Kammern sowie die Vorschriften für den
Berufszugang und die Berufsausübung müssen daher auch unter der
Geltung von TTIP beibehalten werden. Die Verhandlungsführer der
Europäischen Union müssen zwingend dafür Sorge tragen, dass der
Patientenschutz und die hohe Qualität der medizinischen Versorgung
nicht einem rein marktwirtschaftlich motivierten
Liberalisierungsstreben zum Opfer fallen. Wir fordern daher, dass
Gesundheitsdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich von
Freihandelsabkommen ausgeschlossen werden.
Freihandelsabkommen dürfen unsere Standards nicht senken
TTIP wie auch CETA sehen einen mit Experten besetzten
Regulierungsrat vor, der sich über Regulierungsansätze etwa in den
Bereichen Medizinprodukte und Arzneimittel austauschen soll. Auch
wenn es hier primär darum gehen soll, Produkte und Dienstleistungen
besser auf die Markteinführung vorzubereiten, befürchten wir die
Einführung einer Struktur, die Mitgliedstaaten ausschließt und allein
den Interessen der Industrie Vorschub leistet. Keinesfalls darf
dieses Gremium über die Köpfe demokratisch legitimierter Regierungen
hinweg Fakten schaffen.
Beispielhaft erinnern wir an die jahrelangen Diskussionen über das
Verbot der Bewerbung verschreibungspflichtiger Arzneimittel oder den
zwingend notwendigen Zugang zu den aus klinischen Prüfungen gewonnen
Daten. Die Industrie verfolgt hier einen eklatant anderen Ansatz, der
bislang keinen Eingang in die EU-Gesetzgebung gefunden hat. Das muss
auch in Zukunft so bleiben.
Teilnahme am medizinischen Fortschritt sicherstellen
Der medizinische Fortschritt basiert auch darauf, medizinische
Verfahren anzuwenden und sie stetig zu verbessern. Anders als in den
USA, die sogenannte "Medical Procedure Patents" zulassen, sind in
Europa gemäß Art. 53 lit c) des Europäischen Patentübereinkommens
(EPÜ) Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des
menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die
am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, von der
Patentierbarkeit ausgeschlossen. Dieser Ausschlusstatbestand
verhindert, dass die Wahl der Behandlungsmöglichkeiten durch den
Patentschutz eingeschränkt wird. Ärzten muss die Freiheit erhalten
bleiben, sich für die am besten geeignete Maßnahme zur Behandlung
ihrer Patienten entscheiden zu können. Durch "Medical Procedure
Patents" können Behandlungsmöglichkeiten blockiert werden. Dies führt
letztlich dazu, dass Patienten von der Teilhabe am Fortschritt in der
Medizin ausgeschlossen werden. "Medical Procedure Patents" müssen in
Europa auch weiterhin verboten bleiben.
Gesundheitsschutz ist nicht verhandelbar
Im Rahmen der Freihandelsabkommen wird auch über den
Investitionsschutz diskutiert. Sehen ausländische Investoren den Wert
ihrer Investitionen durch politische Entscheidungen, Gesetze oder
sonstige staatliche Maßnahmen geschmälert, so können sie neben dem
ordentlichen Rechtsweg auch private Schiedsgerichte anrufen.
Schiedsgerichtsverfahren sind mit Blick auf die Gesundheitspolitik
mit erheblichen Risiken verbunden. Insbesondere die mangelnde
Transparenz, die fehlende Einbettung in den europäischen
Rechtsrahmen, die Rekrutierung von Schiedsrichtern aus
internationalen Anwaltskanzleien und deren Fokus auf internationales
Handelsrecht würden dem öffentlichen Interesse und der Komplexität
der unterschiedlichen Gesundheitssysteme der Vertragsstaaten
potenziell nicht gerecht.
Sollte es zu einer Auseinandersetzung über die Auslegung der
Vereinbarungen kommen, so stehen den Vertragsparteien
zwischenstaatliche Streitbeilegungsmechanismen zur Verfügung. Auch
steht es den Vertragsparteien frei, eine ordentliche Gerichtsbarkeit
zu wählen. Die Einführung intransparenter paralleler Justizstrukturen
ist nicht zuletzt aus staatsbürgerlicher Sicht inakzeptabel. Selbst
wenn für die Anrufung solcher Schiedsgerichte hohe Hürden errichtet
würden, so reicht doch bereits das Drohpotential möglicher
Schadensersatzforderungen aus, um von notwendiger Gesetzgebung
zugunsten der öffentlichen Gesundheit abzusehen.
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