(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert Ägypten vor dem
Deutschland-Besuch von Präsident Abdelfattah al-Sisi in dieser Woche
zur sofortigen Freilassung aller inhaftierten Journalisten auf. Im
April verurteilte ein Gericht in Kairo drei Journalisten zu
lebenslangen Haftstrafen. Mindestens sieben weitere sitzen derzeit im
Gefängnis - zum Teil seit mehr als eineinhalb Jahren ohne formale
Anklage oder Prozess. Gegen viele weitere Medienschaffende sind
Verfahren anhängig.
"Unter Präsident Sisis Führung hat die Kriminalisierung kritischer
Journalisten in Ägypten ein bisher ungekanntes Ausmaß erreicht",
sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Kritische Stimmen werden
mit Verweis auf Sicherheitsgründe und Anti-Terror-Gesetze
systematisch verfolgt. Die Freilassung aller inhaftierten
Journalisten wäre ein erster kleiner Schritt, um die umfassende
Unterdrückung abweichender Meinungen zu beenden."
VERURTEILT WEGEN VORSÄTZLICHER VERBREITUNG FALSCHER NACHRICHTEN
Die Journalisten Abdullah al-Facharani, Samhi Mustafa und Mohamed
al-Adli wurden am 11. April 2015 wegen Verbreitung von Chaos und
falscher Informationen zu lebenslanger Haft verurteilt
(http://t1p.de/mdx2). Zudem wurden sie beschuldigt, an der Bildung
einer "Kommandozentrale" beteiligt gewesen zu sein. Deren Ziel sei es
gewesen, vorsätzlich falsche Nachrichten und manipulierte Bilder von
Menschenrechtsverletzungen und massiver Gewalt der Sicherheitskräfte
gegen Demonstranten im Ausland zu verbreiten, um die Regierung zu
destabilisieren.
Facharani und Mustafa gehören zu den führenden Köpfen des
Bürgerjournalimus-Projekts Rassd und wurden in der Vergangenheit
unter anderem von der Deutsche Welle Akademie trainiert, Facharani
besuchte im Sommer 2012 im Rahmen eine "Blogger-Tour" des Auswärtigen
Amts Deutschland. Mohamed al-Adli ist Journalist beim religiösen
Fernsehsender Amgad TV. Die drei wurden im August 2013 einige Tage
nach der gewaltsamen Auflösung eines Protestlagers festgenommen, bei
der Hunderte Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi
getötet wurden.
Die drei Journalisten haben über Misshandlungen, Drohungen und
katastrophalen Bedingungen im Gefängnis geklagt. Ihre Fälle wurden im
Rahmen eines Massenprozesses gegen insgesamt 51 Angeklagte
verhandelt, der von zahlreichen Verfahrensfehlern gekennzeichnet war
und sich weitgehend auf die Aussage eines einzigen Polizeioffiziers
stützte.
SEIT 21 MONATEN OHNE ANKLAGE IM GEFÄNGNIS
Mahmud Abu Seid - bekannter unter seinem Künstlernamen Shawkan -
wird seit mittlerweile mehr als 21 Monaten ohne Prozess oder formelle
Anklage festgehalten. Er hat als freier Fotograf für internationale
Medien wie die Fotoagenturen Demotix und Corbis oder das deutsche
Magazin Focus gearbeitet und wurde am 14. August 2013 festgenommen,
als er über die gewaltsame Auflösung der Protestcamps von
Mursi-Anhängern berichtete (http://t1p.de/6p5a).
Die Staatsanwaltschaft hat dem Fotografen unter anderem Besitz von
Waffen, Teilnahme an einer illegalen Versammlung, Störung des
öffentlichen Friedens, Mord und Mordversuch vorgeworfen - dieselben
Anschuldigungen wie gegen Hunderte zeitgleich festgenommene
Demonstranten. Beschwerden gegen seine fortgesetzte willkürliche
Inhaftierung wurden abgewiesen. Shawkan soll in Polizeigewahrsam und
im Gefängnis wiederholt misshandelt worden.
NEUAUFLAGE DES AL-JAZEERA-PROZESSES: AUSTRALIER DROHT AUTOMATISCHE
VERURTEILUNG
Am Montag sollte in Ägypten auch das Wiederaufnahmeverfahren gegen
die Al-Jazeera-Journalisten Peter Greste, Mohamed Adel Fahmi und
Baher Mohamed fortgesetzt werden. Sie waren vor knapp einem Jahr in
erster Instanz zu sieben bis zehn Jahren Haft verurteilt worden, weil
sie mit der Veröffentlichung falscher Nachrichten eine terroristische
Organisation - die verbotene Muslimbruderschaft - unterstützt hätten.
In der Neuauflage des Prozesses droht dem mittlerweile abgeschobenen
Australier Peter Greste eine automatische Verurteilung, weil er weder
ins Land zurückkehren noch sich durch einen Verteidiger vertreten
lassen darf (http://t1p.de/7qjp).
Die Anfang 2014 verabschiedete Verfassung hat Ägypten nur auf dem
Papier mehr Presse- und Meinungsfreiheit gebracht. Regierung und
Justiz gehen systematisch gegen Medien mit Verbindungen zur
Muslimbruderschaft oder Sympathien für die Gruppe vor. Willkürliche
Festnahmen und Folter sind an der Tagesordnung. Nach wie vor können
Journalisten und andere Zivilisten vor Militärgerichten abgeurteilt
werden. Nicht zuletzt infolge eines von Regierung und Staatsmedien
geschürten Klimas pauschaler Verdächtigungen müssen Reporter mit
Gewalt von Sicherheitskräften und Demonstranten rechnen. Selbstzensur
ist verbreitet. Viele Medien ergreifen offen Partei für Armee und
Regierung, nur wenige ägyptische Journalisten wagen Kritik.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Ägypten auf Platz 158
von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Lage der Journalisten in
dem Land finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/ägypten/.
DEMONSTRATION ZUM SISI-BESUCH IN BERLIN: Anlässlich des
Deutschland-Besuchs von Präsident Sisi ruft Reporter ohne Grenzen für
Mittwoch (3. Juni) 11:30 Uhr zu einer Demonstration vor dem
Bundeskanzleramt für die Freilassung aller in Ägypten inhaftierten
Journalisten auf.
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Silke Ballweg / Christoph Dreyer
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