(ots) - Die Daten von 4,3 Millionen beschäftigten BKK
Versicherten zeigen: Rund 15 Prozent aller Krankentage mit ärztlichem
Attest gehen auf psychische Erkrankungen zurück. Seelische Leiden
sind meist sehr langwierig. Im Schnitt dauern Krankschreibungen
deswegen mit 40 Krankentagen je Fall sehr lange. Affektive Störungen,
zu denen Depressionen zählen, machen einen Großteil psychischer
Diagnosen aus: Die Ausfallzeit ist hierbei im Schnitt sogar 58 Tage
je Fall.
Nehmen Psychische Erkrankungen zwangsläufig immer weiter zu?
Krankentage wegen seelischer Leiden haben sich gegenüber 2003 mehr
als verdoppelt. Die Falldauer bei Krankschreibungen ist in zehn
Jahren um 25 Prozent gestiegen. Empirische Studien zeigen allerdings
keine wesentliche Zunahme psychischer Störungen. Franz Knieps,
Vorstand des BKK Dachverbandes dazu: "Eine der Erklärungen hierfür
ist, dass die Menschen ihr psychisches Leiden akzeptieren und Hilfen
im Gesundheitswesen in Anspruch nehmen. Entsprechend häufiger werden
Beschäftigte wegen sogenannter F-Diagnosen krankgeschrieben. Die
heutzutage umfangreicheren Kenntnisse psychischer Krankheitsbilder
bei Allgemeinmedizinern und Hausärzten tragen ebenfalls zum Anstieg
der Krankschreibungen wegen psychischer Probleme bei. Noch vor 10, 15
Jahren wurden Patienten mit Symptomen, die auf ein psychisches Leiden
hindeuten, viel häufiger unspezifische körperliche Beschwerden
attestiert."
Mehr attestierte psychische Leiden, keine "neue Epidemie"
Epidemiologische Daten haben teilweise andere Ergebnisse als die
Krankschreibungsdaten. Insgesamt zeigen die epidemiologischen Daten
auf Bevölkerungsebene keine generelle Zunahme psychischer Störungen
seit Ende der 1990er Jahre. Dazu Prof. Frank Jacobi von der
Psychologischen Hochschule Berlin: "Die Diagnoseraten haben sich den
wahren Prävalenzen über die letzten Jahre angenähert, sie scheinbar
sogar überholt - insbesondere bei Depressionen.
Möglicherweise haben wir es also auch mit einer
Überdiagnostizierung zu tun. Eine Diagnose wird häufig unspezifiziert
oder bei nur leicht beeinträchtigten Personen gestellt, um überhaupt
eine Unterstützung anbieten zu können. Der Trend der kontinuierlichen
Zunahme von Krankschreibungen aufgrund psychischer Probleme könnte
aber auch dazu führen, dass sich Menschen zu schnell als
behandlungsbedürftig erleben und auch bei 'normalen', vorübergehenden
psychischen Belastungen das Hilfesystem aufsuchen." Auch die
fortschreitende Digitalisierung spielt eine Rolle; Jacobi weiter:
"Per Computer erfasste Krankheitsdaten bleiben in den Krankenakten
von Ärzten, Kliniken, Krankenkassen oder Rentenversicherern. Wer
einmal die Diagnose Angsterkrankung, Depression oder
Persönlichkeitsstörung erhalten hat, den wird diese Diagnose
'verfolgen'. Somit werden aktuell Personen mit psychischen
Erkrankungen z. T. systematisch überschätzt - bei psychischen
Störungen von einer 'Epidemie des 21. Jahrhunderts' zu sprechen wäre
folglich übermäßig dramatisierend."
Große regionale Unterschiede
In den BKK Abrechnungsdaten zeigen sich große regionale
Unterschiede bei den psychischen Diagnosen. So werden Depressionen
insbesondere in Süddeutschland (Bayern und Baden-Württemberg)
häufiger diagnostiziert als im Norden oder Osten Deutschlands. In
Großstädten wie Berlin, Hamburg, München werden mehr seelische Leiden
attestiert als in ländlichen Gegenden.
Detailanalysen von Depressionen und des Burn-out-Syndroms zeigen
deutliche Unterschiede: Diagnoseraten, Krankschreibungen sowie
Antidepressiva-Verordnungen sind nicht überall in Deutschland gleich
verteilt, es werden Schwankungsbreiten bis zum 43fachen des höchsten
Werts gegenüber dem niedrigsten berichtet.
Im Detail: Lediglich 0,3 Prozent der BKK Versicherten im
Saale-Orla-Kreis (Thüringen) bekamen eine Burn-out-Diagnose,
attestiert, während dieser Anteil im Kreis Ansbach (Bayern) bei 3,4
Prozent liegt. Gleiches gilt für die Verordnung von Antidepressiva:
Im Kreis Meißen (Sachsen) liegt der Anteil der BKK Versicherten, die
ein Antidepressivum erhalten, bei 4,4 Prozent. Im Kreis Straubing
(Bayern) ist der Wert mit 11,5 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Diese Schwankungsbreiten können nicht allein durch tatsächliche
unterschiedliche Erkrankungshäufigkeiten in den Regionen erklärt
werden. Vielmehr ist ein Zusammenhang mit Regionalindikatoren wie der
Ärztedichte (Nervenarzt, Hausarzt, Psychiater, Psychotherapeut)
nachweisbar.
Der nun als Buch vorliegende BKK Gesundheitsatlas 2015 "Blickpunkt
Psyche" legt den Fokus auf psychische Erkrankungen, insbesondere den
Depressionen und dem Burn-Out-Syndrom. Bei den Gastautoren kann
nachgelesen werden, wie der aktuelle Stand des Diskurses zur
Entwicklung seelischer Krankheiten, zu möglichen Ursachen und
präventiver Herangehensweise zur Vermeidung von psychischen Leiden
ist.
Bestellt werden kann der BKK Gesundheitsatlas unter:
shop(at)mwv-berlin.de.Krankenstand
Krankenstand: Prozentualer Anteil der Krankgeschriebenen je
Kalendertag. Für das Jahr 2014 wird dieser wie folgt ermittelt: 17,1
Krankentage je beschäftigtes Pflichtmitglied ÷ 365 Tage x 100 = 4,68
Prozent.
Krankheitsfall/Falldauer: Im Jahr 2014 dauerte ein Krankheitsfall
im Durchschnitt 12,9 Tage.
Krankengeldfall: Es handelt sich hier in der Regel um AU-Fälle mit
einer Dauer von mehr als 42 Kalendertagen.
Der BKK Dachverband vertritt 87 Betriebskrankenkassen und vier BKK
Landesverbände. Sie repräsentieren rund zehn Millionen Versicherte.
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