(ots) - In Deutschland sollten zuwandernde
Kinder so früh wie möglich Zugang zu Vorsorge- und
Behandlungsangeboten haben. Die Realität sieht indes oft ganz anders
aus. Dabei haben von den über 100 000 Kindern und Jugendlichen, die
2013 nach Deutschland eingewandert sind, gerade minderjährige
Flüchtlinge oft massive körperliche Beschwerden. Viele sind auch
psychisch traumatisiert.
Besonders im frühen Kindesalter sind noch Maßnahmen zur Prävention
oder zur Früherkennung und Behandlung schwerwiegender Erkrankungen
möglich. In späteren Jahren sind diese kaum mehr nachholbar. Deshalb
sollte gerade für sehr junge zuwandernde Kinder der Zugang zu
Vorsorge- und Behandlungsangeboten schnell und effektiv möglich sein,
fordert PD Dr. Erika Sievers von der Deutschen Gesellschaft für
Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ).
Die zuwandernden Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter
kommen als "Seiteneinsteiger" in das deutsche Schulsystem und
Gesundheitswesen. Bei ihren deutschen Mitschülern wurde bei der
Einschulung eine schulärztliche Untersuchung durchgeführt. Daher
sollten alle zuwandernden Kinder zu Schulbeginn und auch noch in
höheren Klassen die Chance erhalten, auf schulrelevante
gesundheitliche Defizite untersucht zu werden. Diese so genannten
Seiteneinsteigeruntersuchungen über die öffentlichen Kinder - und
Jugendgesundheitsdienste können eine Schlüsselfunktion haben, um
Unterstützungsmöglichkeiten zu nutzen. Sie werden bisher allerdings
längst nicht flächendeckend umgesetzt, kritisiert Sievers.
Dabei sind Kindergesundheit, Sensibilität für das Kindeswohl und
Kinderbewusstsein aus sozialpädiatrischer Sicht die wirklich echten
Prüfsteine der Migrations- und Integrationspolitik. Die
Interkulturelle Öffnung des Gesundheitswesens ist derzeit hoch
aktuell: 33 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren in
Deutschland haben einen Migrationshintergrund.
Den Themenschwerpunkt Gesundheit und Pflege hat auch der
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und
Integration für 2015 gewählt. Integrationsbeauftragte von Bund,
Länder und Kommunen sollten bei ihren Maßnahmen insbesondere auch die
Bedarfe der Kinder auf der Grundlage der UN-Kinderrechtskonvention
berücksichtigen. Im Fokus ist derzeit besonders die Situation
minderjähriger Flüchtlinge, die allein oder mit ihren Eltern nach
Deutschland kommen. 35 Prozent der Asylerstanträge wurden 2013 von
Kindern und Jugendlichen gestellt.
2013/2014 erfolgte auf Initiative von Kindernetzwerks e.V. an
Sozialpädiatrischen Zentren eine bundesweite Befragung, die in
Kooperation mit der DGSPJ und der Technischen Universität München
durchgeführt wurde. Über 85 Prozent der Teilnehmer gaben dabei an,
dass oft oder häufig sprachliche Verständigungsschwierigkeiten bzw.
kulturell unterschiedlich geprägte Krankheits- und
Behandlungskonzepte zwischen dem medizinischen Personal und den
Eltern des Kindes bestehen.
Zwei Lösungsvorschläge wurden favorisiert: der Einsatz von
qualifizierten Dolmetschern (erfolgt derzeit nur zu 33 Prozent), die
für den Einsatz im Gesundheitswesen und im kultursensiblen Umgang mit
Migrantenkindern qualifiziert sind. Und die Bereitstellung von
Informationsmaterialien zum jeweiligen Krankheitsbild und
Behandlungskonzept in der Muttersprache des Patienten (nur für 47%
verfügbar).
Um dies zu verbessern, fordert die DGSPJ die
- Bereitstellung notwendiger Ressourcen in Aus-, Fort- und
Weiterbildung von Fachkräften zur Stärkung ihrer transkulturellen
Kompetenz
- bedarfsgerechte Bereitstellung von Ãœbersetzungen,
Dolmetscherleistungen und ergänzenden mehrsprachigen
Informationsmaterialien, um zuwandernden Familien solche
Informationen zuteil werden zu lassen, mit denen fundierte
Entscheidungen getroffenen werden können.
- Etablierung vorbildhafter Modelle wie die "Migrant Friendly
Hospitals" in Kinderkspitälern in der Schweiz oder der dortige
Nationale Telefondolmetscherdienst. Dieser macht
Übersetzungsleistungen gerade in Notfällen kurzfristig in großer
Sprachenvielfalt möglich.
- Vereinfachung des Zugangs zu medizinischer Versorgung für
Flüchtlinge und Asylsuchende durch eine bundesweite Einführung einer
elektronischen "Gesundheitskarte" wie in Bremen und Hamburg bereits
praktiziert ("Bremer Modell"). Dies ermöglicht Familien eine
schnellere und effektivere Krankenbehandlung und senkt den
Verwaltungsaufwand.
Kinder- und Jugendärzten kommt in Zukunft eine Schlüsselrolle zu,
um zuwandernde Kinder und Jugendliche zeitnah bedarfsgerecht zu
versorgen. Hier besteht auf Bundes- und Länderebene
sektorenübergreifender dringender Handlungsbedarf, um gesundheitliche
Chancengleichheit für alle Kinder zu gewährleisten. Dafür wird sich
die DGSPJ nachhaltig einsetzen.
Pressekontakt:
PD Dr. Erika Sievers MPH
c/o Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, Düsseldorf
sievers(at)akademie-oegw.de