(ots) - Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels
2015, Navid Kermani, bescheinigt dem Islam gegenwärtig ein
"verheerendes und fürchterliches Bild". Das Kernproblem sei "ein
völliger Bruch mit seiner geistigen, spirituellen und ästhetischen
Tradition", sagte der Schriftsteller und Orientalist dem "Kölner
Stadt-Anzeiger". Das begründe demgegenüber eine Form von Neid auf das
Christentum. "Nicht im kleinlichen Habenwollen. Aber was ich sehe,
ist: Das Christentum hat seine Tradition ungleich besser bewahrt als
der Islam." Kermani nannte es ein Missverständnis, zu glauben, der
Islam müsse erst einmal in der Moderne ankommen. "Der
Fundamentalismus wendet sich gerade gegen die Tradition und will sie
abschaffen, indem er an einen behaupteten Uranfang zurückkehrt und
sich vermeintlich authentisch auf den Koran bezieht, dabei aber eine
1400-jährige Deutungsgeschichte negiert. Diese Ausrottung der eigenen
Tradition ist das eigentlich Erschütternde, wenn man heute islamische
Länder bereist." Tradition, die unterdrückt und abgewürgt wird, werde
zur Gefahr. "Sie kehrt nämlich zurück. Als Zombie." Scharfe Kritik
übte der 47-Jährige, der als Reporter häufig im Nahen und Mittleren
Osten unterwegs ist, am Regime in Saudi-Arabien und dem dort
vorherrschenden Wahhabismus, einer fundamentalistischen Ausprägung
des sunnitischen Islams. "Sie haben nicht den geringsten Respekt vor
der Vergangenheit, weder als ästhetisches Gefüge, noch für die
klassische islamische Gelehrsamkeit, und schon gar nicht für die
Volksfrömmigkeit. Stattdessen bauen die Saudis von Zentralasien bis
Bosnien überall identische McMoscheen aus dem Baukasten und planieren
die Altstädte, um Shopping Malls darauf zu bauen oder die höchsten
Hochhäuser der Welt." Kermani sprach von einer "nicht nur
spirituellen, sondern auch ästhetischen Barberei". Vor diesem
Hintergrund warnte er die christlichen Kirchen davor, die ästhetische
Dimension ihrer Religion zu vernachlässigen. "Mir scheint, ein
wesentlicher Grund für den Bedeutungsverlust des Christentums in
unseren westlichen Gesellschaften liegt darin, dass die Kirchen so
wenig auf die Form achtgeben, nicht nur, aber gerade auch in den
Gottesdiensten." Religion sei "nicht primär eine Verstandestätigkeit,
sondern eine Herzensangelegenheit".
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