(ots) - Nach einem Urteil des Hanseatischen
Oberlandesgerichts darf der Nahrungsmittelkonzern Unilever
wissenschaftliche Hinweise auf Risiken seines Cholesterinsenkers
Becel pro.activ weiterhin leugnen. Die Richter werteten eine Aussage
des Herstellers, derzufolge es bei Becel pro.activ "aus
wissenschaftlicher Sicht ... keinen Hinweis" auf Nebenwirkungen gebe,
als Meinungsäußerung - damit darf sie unabhängig von ihrem
Wahrheitsgehalt verbreitet werden (Az 7 U 7/13). Eine Klage der
Verbraucherorganisation foodwatch gegen die weitere Verbreitung
dieser Aussage wurde in zweiter Instanz abgewiesen, ohne dass die
Richter die Sicherheit der Margarine überprüft und bewertet hatten.
foodwatch kündigte an, zunächst die Urteilsbegründung abzuwarten, um
dann "sehr wahrscheinlich" Revision beim Bundesgerichtshof
einzulegen.
Weil unverändert erhebliche Zweifel an der Sicherheit des Produkts
bestehen, beantragte foodwatch zudem bei der Europäischen Kommission,
der cholesterinsenkenden Margarine Becel pro.activ die Zulassung als
Lebensmittel zu entziehen. Der Antrag wurde an diesem Montag an
EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis übermittelt.
Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von
foodwatch, bezeichnete die Konsequenz aus dem Urteil als
inakzeptabel: "Die Verbraucher sind weder vor Gesundheitsrisiken noch
vor irreführenden Aussagen geschützt. Wir haben jetzt eine absurde
Situation: Unilever darf öffentlich die Meinung vertreten, dass es
keinen Hinweis auf Nebenwirkungen von Becel pro.activ gibt -
gleichzeitig können wir belegen, dass eine ganze Reihe von
wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf gesundheitliche Risiken
hinweist. Das Presserecht reicht, jedenfalls nach Auffassung des
Oberlandesgerichts, nicht aus, um Unilever eine Aussage zu verbieten,
die nachweislich falsch und zudem gefährlich ist. Weil der Konzern
offensichtlich seiner Verantwortung nicht gerecht wird und seinen
Kunden weiterhin gesundheitliche Risiken zumutet, muss die
Europäische Kommission reagieren. Der vorsorgende Gesundheitsschutz
gebietet es, ein Produkt vom Markt zu nehmen, dessen Sicherheit so
sehr in Zweifel steht."
Fakt ist: Unilever kann weder den gesundheitlichen Nutzen noch die
Sicherheit von Becel pro.activ belegen. Die französische
Lebensmittelsicherheitsbehörde ANSES betonte 2014, es fehle jeder
Beweis dafür, dass Lebensmittel mit zugesetzten Pflanzensterinen
tatsächlich Herzkrankheiten vorbeugen. Eine Reihe von Studien legt
vielmehr nahe, dass die in hoher Konzentration der Margarine
zugesetzten Pflanzensterine das verursachen könnten, was sie
eigentlich verhindern sollen: Ablagerungen in den Gefäßen und damit
ein erhöhtes Risiko auf Herzkrankheiten. Das Bundesinstitut für
Risikobewertung (BfR) hatte bereits 2008 betont, dass der Verzehr von
Lebensmitteln mit zugesetzten Pflanzensterinen von gesunden Menschen
ohne Cholesterinproblem "ausdrücklich vermieden werden sollte" und
dies mit möglichen Gesundheitsrisiken begründet. Dennoch hatte
Unilever unter Verwendung von Zitaten eines Wissenschaftlers im Jahr
2011 behauptet, dass es "aus wissenschaftlicher Sicht ... keinen
Hinweis" auf Nebenwirkungen gebe.
Weil das Hanseatische Oberlandesgericht - wie im Jahr 2012 bereits
das Landgericht Hamburg in erster Instanz - die Aussage als
"Meinungsäußerung" einstufte, scheiterte die Klage von foodwatch: Als
Meinung darf das Zitat verbreitet werden, egal ob es wahr ist oder
nicht. Hätten die Richter das Zitat als "Tatsachenbehauptung"
gewertet, wäre Unilever dagegen in der Belegpflicht gewesen.
foodwatch sieht nun die Europäische Kommission am Zug. Diese hatte
auf Betreiben Unilevers im Jahr 2000 "gelben Streichfetten mit
Phytosterinzusatz" wie Becel pro.activ die Zulassung als sogenanntes
"neuartiges Lebensmittel" (novel food) erteilt und dabei auch auf
ihre Sicherheit überprüft. In der europäischen Novel-Food-Verordnung
heißt es: Neuartige Lebensmittel "dürfen keine Gefahr für die
Verbraucher darstellen" (EU VO 258/97, Art. 3 Abs. 1). Zum Zeitpunkt
der Zulassung lagen die heute bekannten, kritischen Studien
allerdings noch gar nicht vor. Das Ergebnis der Sicherheitsprüfung
ist 15 Jahre alt und bildet nicht den heutigen Stand der Wissenschaft
ab. In dem foodwatch-Antrag an die EU-Kommission auf Aberkennung der
Zulassung heißt es: "Die daraus resultierende Risikobewertung steht
im Widerspruch zur Novel-Food-Verordnung, der zufolge ein Risiko für
die Gesundheit der Verbraucher ausgeschlossen werden muss."
An Unilever erneuerte foodwatch die Forderung, das umstrittene
Produkt vom Markt zu nehmen. Matthias Wolfschmidt: "Ein solcher
Cholesterinsenker sollte allenfalls als Medikament mit
arzneimittelrechtlicher Zulassung vermarktet werden, falls Nutzen und
Sicherheit irgendwann einmal belegt werden können. Im Supermarktregal
hat Becel pro.activ nichts verloren."
LINKS:
- Informationen zu Becel pro.activ:
http://tinyurl.com/becelproactiv
- E-Mail-Aktion an Unilever: www.aktion-becel.foodwatch.de
REDAKTIONELLE HINWEISE:
- foodwatch-Antrag an die EU-Kommission:
http://tinyurl.com/becel-antrag
- Übersicht über die wissenschaftlichen Hinweise zu Nebenwirkungen
von Becel pro.activ: http://tinyurl.com/studien-pflanzensterine
- Fragen & Antworten zu Becel pro.activ und zum Prozess:
http://tinyurl.com/faq-becelproactiv
- Chronologie der Auseinandersetzung zwischen foodwatch und
Unilever: http://tinyurl.com/becel-chronologie
- Bildmaterial unter www.foodwatch.de/material-abgespeist
Pressekontakt:
foodwatch e.V.
Andreas Winkler
E-Mail: presse(at)foodwatch.de
Tel.: +49 (0)30 / 24 04 76 - 290