(ots) -
- Strukturen und Spielregeln des weltweiten Automobilvertriebs werden
sich grundlegend verändern
- Flexible, intermodale Mobilitätslösungen machen 2035 bis zu 50
Prozent des Branchenumsatzes aus
- Die heutigen Profittreiber After Sales und Finanzdienstleistungen
treten damit langfristig in den Hintergrund
- Automobilhersteller müssen sich schon heute mit gezielten
Investitionen in ihr Markensystem auf den Vertrieb der Zukunft
vorbereiten
Der weltweite Automobilvertrieb steht vor einem drastischen
Strukturwandel. Bis 2035 sind nicht mehr klassischer Fahrzeugverkauf,
After Sales und Finanzdienstleistungen Hauptumsatz- und
-gewinntreiber, sondern zunehmend ganzheitliche, intermodale
Mobilitätslösungen. Dies wiederum ruft neben den aktuellen auch neue
Wettbewerber auf den Plan, die die Autobauer im traditionellen
Geschäft auf breiter Front unter Druck setzen. Auch wenn der
fundamentale Strukturwandel erst nach 2025 voll eintritt, wird die
Veränderungsdynamik im Systemprofit bereits in den nächsten Jahren
sichtbar werden. Für alle Automobilhersteller heißt es deshalb
bereits heute, mit strategisch gezielten Investitionen die Weichen
für den Vertrieb der Zukunft zu stellen. Wer zögert, läuft Gefahr,
bis 2035 weite Teile der neuen Umsatz- und Ertragsquellen an
Wettbewerber wie Google, Uber, Baidu oder Intermediäre wie Auxmoney
und Beepi zu verlieren und seine heutige Marktposition aufs Spiel zu
setzen. Dies sind Ergebnisse der aktuellen Oliver Wyman-Studie
"Systemprofit 2035: Strukturwandel Automobilindustrie", aus denen
entsprechende Handlungsfelder abgeleitet werden.
Im Jahr 2014 belief sich der Gesamtumsatz des weltweiten
Automobilvertriebs auf rund 3,3 Billionen Euro. Mit zusammen gut 2,5
Billionen Euro und einem Anteil von circa 76 Prozent steuerten Neu-
und Gebrauchtwagenverkauf den Löwenanteil bei. Beim Systemprofit von
insgesamt 273 Milliarden Euro waren allerdings das
After-Sales-Geschäft und Finanzdienstleistungen mit zusammen 217
Milliarden Euro und einem Anteil von über 79 Prozent
Hauptgewinnbringer. Demgegenüber kamen Neu- und Gebrauchtwagenverkauf
mit insgesamt 23 Milliarden Euro nur auf knapp 8 Prozent.
Systemprofit beschreibt dabei den Gewinn des Markensystems der
Hersteller beziehungsweise freier Anbieter über alle Segmente und
Vertriebsstufen des Automobilvertriebs.
Schon in den nächsten zehn Jahren werden sich die ersten
strukturellen Veränderungen in der Verteilungsstruktur abzeichnen.
Zum einen müssen sich die Hersteller neuer Konkurrenten erwehren. Zum
anderen ebnen die Multikanalnutzung durch den Kunden, die zunehmende
Preistransparenz und die Digitalisierung der Kundenschnittstelle
Intermediären und Onlinehändlern den Weg, die größten traditionellen
Ertragsquellen anzugreifen. Automobilhersteller und vor allem Händler
werden in den kommenden Jahren darauf eine Antwort finden müssen, vor
allem wenn Schwergewichte wie Amazon oder Alibaba in den Markt
eintreten. Denn dadurch wird mehr und mehr Geschäftsvolumen aus dem
traditionellen Händlerkanal abgezogen.
Blick über den Tellerrand schaffen
Neben diesem Verteilungskampf beginnt sich der Strukturwandel bis
2025 auf der Umsatz- und Profitseite zu materialisieren. Die
Bedeutung von Mobilitätsdiensten wird leicht zunehmen und zwischen 13
und 18 Prozent zum Systemprofit beisteuern - nach 12 Prozent im Jahr
2014. Der Gewinn aus dem Verkauf von Neu- und Gebrauchtwagen wird
inflationsbereinigt nur minimal steigen und lediglich 4 bis 11
Prozent ausmachen. After Sales und Finanzdienstleistungen werden das
System mit einem Anteil von 61 bis 71 Prozent weiterhin tragen. Trotz
zusätzlicher Profitgenerierung von etwa 70 Milliarden Euro verlieren
die fahrzeugbezogenen Dienstleistungen geringfügig an Bedeutung, da
neben dem Wachstum bei Mobilitätsdienstleistungen auch noch neue
Umsatz- und Ertragsquellen erschlossen werden. Hier geht es
insbesondere um Werbeerlöse beziehungsweise Umsatzanteile am E- und
M-Commerce-Geschäft, die durch internetfähige Fahrzeuge und die
kommerzielle Nutzung von Big Data realisiert werden. Diese neuen
Erlösquellen können bis 2025 zwischen 5 und 20 Prozent des
Systemprofits erreichen, je nach Stand der Regulierung und der
Durchdringung des autonomen Fahrens. Hersteller und Händler müssen
daher den Blick über den Tellerrand schaffen - trotz der aufwendigen
Verteidigung ihrer langjährig optimierten Margen. Denn die
Veränderungen bis 2025 sind lediglich die Vorboten des bisher größten
Strukturwandels im Automobilvertrieb.
"Das gesamte System Automobilvertrieb steht zur Disposition",
erklärt Fabian Brandt, Partner bei Oliver Wyman und Experte für After
Sales. "Alle etablierten Ertragsquellen werden langfristig neu
verteilt. Darauf müssen sich die Automobilhersteller jetzt
vorbereiten, um ihr klassisches Geschäft abzusichern und sich für
neue Umsatz- und Profitfelder rechtzeitig zu positionieren." Mit dem
Fortschreiten der Digitalisierung sowohl in der Automobilindustrie
als auch in der globalen Gesellschaft und der Etablierung des
autonomen Fahrens werden die Weichen für tief greifende Veränderungen
gestellt. Bis 2035 kann der Anteil von mobilitätsbezogenen
Dienstleistungen und Lösungsangeboten sowie neuen Umsatzquellen auf
bis zu 50 Prozent des Branchenumsatzes steigen. Darunter wird mit
großer Wahrscheinlichkeit insbesondere der Fahrzeugverkauf leiden.
Auch die heutigen Profittreiber After Sales und
Finanzdienstleistungen werden stark unter Druck geraten.
Durch diese Veränderung wird sich die gesamte Automobilindustrie
neu ordnen.
Neue Balance zwischen Auto und Mobilitätsdiensten entsteht
Tatsächlich, so zeigt die Oliver Wyman-Studie, werden die
Automobilhersteller und ihr Markensystem zunehmend in allen Bereichen
ihrer Geschäftsmodelle angegriffen - und das von unterschiedlichsten,
oftmals branchenfremden Unternehmen. Neben dem bereits hart
umkämpften Gebrauchtwagengeschäft punkten Onlinegrößen wie Ebay oder
Amazon mit ihren Stärken im Ersatzteilgeschäft, während Fintechs wie
Auxmoney, Kreditech, LendingClub oder Funding Circle den Bereich der
Finanzdienste angreifen. Selbst das Hoheitsgebiet der Hersteller,
Fahrzeugentwicklung und -bau, ist vor Attacken nicht gefeit. Bestes
Beispiel dafür ist Tesla. Der Neueinsteiger hat in kürzester Zeit ein
nahezu konkurrenzloses Elektroauto auf den Markt gebracht.
Smartphone-Gigant Apple arbeitet mit dem iCar ebenfalls an einem
Elektrofahrzeug, während Onlineriese Google bereits seit einiger Zeit
Prototypen eines selbstfahrenden Autos auf öffentlichen Straßen
testet. Zudem verändert das Unternehmen Konzernstruktur und Namen, um
das Stammgeschäft mit diesem Engagement nicht zu gefährden. Bei den
Mobilitätsdiensten gehören Car Sharing und Ride Sharing in vielen
Großstädten mittlerweile schon fast zum Alltag und Uber
revolutioniert den globalen Markt für Fahrdienste. Zwar mischen
Automobilhersteller mit ihren eigenen Diensten auch im Markt mit,
müssen sich aber neuen Wettbewerbern und anderen Dynamiken stellen,
als sie es aus ihrem traditionellen Geschäft gewohnt sind.
Gesamtsystem Mobilität rückt in den Fokus
Ab 2025 wird das Auto an sich zunehmend in den Hintergrund treten,
insbesondere im Volumensegment. Vorstellbar sind Szenarien, in denen
bis 2035 bestimmte Städte den Individualverkehr stark einschränken
und dafür über elektrische, autonome Fahrzeuge
Transportdienstleistungen angeboten werden. Dies wird die Auslastung
und Effizienz der Fahrzeuge in die Höhe treiben, zu einer deutlichen
Reduktion des Fahrzeugbesitzes führen und die Entwicklungskonzepte
von Städten maßgeblich beeinflussen. Die kommerzielle Parkindustrie
beispielsweise wird dadurch vor große Herausforderungen gestellt.
Künftig prägen daher nicht mehr in erster Linie die
Kaufentscheidungen des Kunden das Geschäft der Automobilhersteller,
sondern deren Mobilitätsbedürfnisse, bequem und preisgünstig von A
nach B zu kommen. Entsprechend werden mobilitätsorientierte Lösungen,
die neben Fahrzeugen eine breite Palette an alternativen
Verkehrsmitteln abdecken, langfristig den Takt im Automobilvertrieb
vorgeben. Start-ups und etablierte Firmen aus anderen Branchen werden
mehr und mehr in den Automobilmarkt eindringen und mit ihren Stärken
die Ertragsquellen im System attackieren. "Oftmals wird das Fahrzeug
gar nicht mehr im Fokus des Geschäftsmodells stehen, sondern
lediglich als Mittel zum Zweck gesehen werden", betont Marcel
Springer, Automobilexperte bei Oliver Wyman. "So geht es zum Beispiel
darum, die Onlinenutzung während der Fahrt attraktiv zu gestalten und
im Fahrzeug Geld zu verdienen. Kurzfristig stehen hier
fahrzeugbezogene Geschäfte wie Parkplatzbuchungen im Vordergrund,
perspektivisch geht es um die komplette Abdeckung des E- und
M-Commerce-Geschäftsvolumens während der Autofahrt."
Integrierte Lösungsangebote sind gefragt
Um in diesem Spiel erfolgreich mitzuwirken, müssen die Hersteller
sich und ihr Markensystem neu erfinden und dafür strategisch gezielt
investieren. Der Fokus auf Fahrzeugverkäufe, After Sales und
Finanzdienste ist zukünftig nicht mehr ausreichend. Umfassende
integrierte Lösungsangebote - und damit die Erfüllung
unterschiedlichster Mobilitätsansprüche der Kunden - sind gefragt.
Damit einher gehen Investitionen, eine höhere Risikobereitschaft und
folglich auch eine Mäßigung der Erwartungen an den traditionellen
Return on Investment. Zugleich werden neue Geschäftsmodelle
erforderlich, beispielsweise Direktvertrieb oder spezielle Nutzungs-
und Gebührenmodelle, sowie die Antwort auf die Frage, wie die
Wettbewerbsfähigkeit angesichts der Dynamik der Onlineriesen und der
Silicon-Valley-Start-ups sichergestellt wird. Unverzichtbar ist
ebenso die Digitalisierung der Unternehmen und eines Teils ihrer
Kultur, um beispielsweise in Inkubatoren neue Geschäftsmodelle
schnell entwickeln und testen zu können. Ähnliches gilt für gezielte
strategische Partnerschaften, in denen sich die klassischen Autobauer
öffnen müssen. Und schließlich muss die Kundenschnittstelle gesichert
werden. Dazu heißt es, die gesamte Kundenbeziehung professionell zu
nutzen, die bestehenden Daten konsequent auszuwerten und Lösungen zu
bieten, die alle Geschäftsfelder der Automobilhersteller im
Mobilitätsumfeld sinnvoll integrieren.
Noch halten die etablierten Automobilhersteller alle Trümpfe in
der Hand. Denn beim Stichwort Mobilität fallen heute nicht die Namen
Google oder Apple, sondern die Namen der großen Automobilhersteller.
Diese haben entsprechend positiv belegte Marken und besetzen mit
ihren Partnern an vielen Punkten die Kundenschnittstelle. Gleichwohl
sind sie mit integrierten After Sales oder Finanzdienstleistungen
sowie ersten, vielversprechenden Mobilitätsangeboten bereits
vielerorts im Lösungsgeschäft tätig. "Damit haben sie den Fuß in der
Tür, um im künftigen Gesamtsystem Mobilität an vorderster Front
mitzumischen. Diese Tür müssen sie jetzt aber weiter aufstoßen. Nur
wer heute gezielt und entschlossen handelt, wird zu den Gewinnern
gehören", stellt Matthias Bentenrieder, Partner bei Oliver Wyman und
Experte für Mobilitätsdienstleistungen, fest.
Handlungsfelder für den erfolgreichen Automobilvertrieb der
Zukunft
1. Kurzfristig die Optimierung von operativer Exzellenz durch
Kostensenkung und Margenoptimierung vorantreiben, um Raum für
Investitionen zu schaffen. Big-Data-Lösungen und konsequente
Datennutzung helfen, das heutige Geschäft "intelligenter" und
profitabler zu gestalten.
2. Geschäftsmodelle weiterentwickeln, um mit einer direkten
Kundenansprache und speziellen Nutzungs- sowie Gebührenmodellen die
Mobilitätsbedürfnisse der Kunden zu erfüllen und langfristig die
Kundenschnittstelle zu sichern.
3. Auf vielfältigere Partnerschaften setzen und mehr Risiken
eingehen, um mit attraktiven Dienstleistungen auch 2035 eine wichtige
Rolle zu spielen.
4. Das Unternehmen und die Kultur digitalisieren, um mit der
Schnelligkeit der Onlineriesen und Silicon-Valley-Start-ups mithalten
zu können.
5. Frühzeitig langfristige Szenarien für den kommenden
Strukturwandel entwickeln, um das eigene Geschäft gegen kommende
Gewinneinbußen und das potenzielle Wegbrechen wichtiger
Partnerschaften wappnen.
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