(ots) - Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG)
verfehlt sein Ziel auch im vierten Jahr deutlich. Es sollte
Einsparungen bei Arzneimittelverordnungen in Höhe von zwei Milliarden
Euro jährlich erzielen. 2014 wurden gerade einmal 320 Millionen
erreicht. "Die wirtschaftliche Entlastung der gesetzlichen
Krankenversicherungen ist also auf einem homöopathischen Niveau", so
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK).
"Wenn das AMNOG als viel zitiertes 'lernendes System' konsequent
weiterentwickelt wird, sind jedoch viel größere Einsparungen
möglich."
Der Innovationsreport 2015, den Professor Dr. Gerd Glaeske und
Wissenschaftler der Universität Bremen mit Unterstützung der TK
erstellt haben, zeigt außerdem, dass die frühe Nutzenbewertung auch
qualitativ hinter den Erwartungen zurück bleibt: Von den 20
Präparaten, die im Jahr 2012 auf den Markt kamen, wurden nur zwölf
vollständig bewertet. Entweder war das zu erwartende
Verordnungsvolumen zu gering, die Präparate sind nicht zu Lasten der
GKV erstattungsfähig oder es handelt sich um Arzneimittel gegen
seltene Erkrankungen. "Wenn das AMNOG endlich in der Arztpraxis
ankommen und eine echte Entscheidungshilfe sein soll, müssen
ausnahmslos alle neuen Arzneimittel auf ihren patientenrelevanten
Zusatznutzen bewertet werden", kommentiert Glaeske.
Nur eine von 20 Ampeln grün
Im diesjährigen Innovationsreport wurden die Präparate wieder nach
dem Ampelschema bewertet. Nur ein Medikament erhielt eine grüne Ampel
in der Gesamtbewertung. Sieben Mal zeigt die Ampel gelb und sogar
zwölf Mal rot. Beim Marketing haben die Pharmahersteller ihre
Hausaufgaben hingegen gemacht. Die Präparate wurden nach ihrer
Markteinführung beinahe genauso häufig verordnet wie die neuen
Arzneimittel im Vorjahr (41.000 Packungen zu 49.000 Packungen zu
Lasten der TK). Lediglich der Umsatz fiel in Anbetracht der
niedrigeren Innovationskraft auch geringer aus (27,5 Mio. Euro zu
74,0 Mio. Euro).
Trotzdem sind mehr als die Hälfte der untersuchten Präparate schon
jetzt in die Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften aufgenommen
worden. Nach einer aktuellen DocCheck-Umfrage im Auftrag der TK
treffen 30 Prozent der befragten Ärzte ihre Entscheidung zur
Verordnung neuer Arzneimittel am häufigsten aufgrund solcher
Leitlinienempfehlungen. Nur 15 Prozent der Befragten gaben das
Ergebnis der frühen Nutzenbewertung als häufigste Informationsquelle
an.
Ein weiteres Ergebnis des Innovationsreports: "Die Innovationen
fokussieren auf die falschen Bereiche. Forschung findet erkennbar
nicht dort statt, wo sie benötigt wird", so Baas. "Statt neuer
Antibiotika stehen hauptsächlich Indikationsgebiete im Fokus, bei
denen die Pharmaindustrie die größte Rendite erwartet." Von den 20
neuen Präparaten des Jahres 2012 sind fünf zur Behandlung von
seltenen Erkrankungen zugelassen und neun gegen Krebs. Diesem
zunächst positiven Trend stehen extrem hohe Preise für diese
Medikamente gegenüber. Außerdem bedeutet die vermehrte Zulassung von
Medikamenten gegen seltene Erkrankungen nicht automatisch, dass es
nun deutlich mehr Therapiemöglichkeiten für Menschen gibt, die ein
seltenes angeborenes Leiden haben. Es liegt vielmehr im Interesse der
Industrie, große Volkskrankheiten so umzudefinieren, dass
Patientengruppen auf das Maß von seltenen Erkrankungen verkleinert
werden. Dies sichert ihnen einen relativ raschen Durchlauf durch das
AMNOG-Verfahren und per Gesetz einen Zusatznutzen.
Keine Karenzzeiten für Mondpreise
Baas: "Aus fachlicher Sicht ist es sinnvoll, dass der verhandelte
Erstattungsbetrag rückwirkend ab dem Tag der Markteinführung gilt und
nicht erst ab dem zweiten Jahr. Entweder hat ein neuer Wirkstoff
einen Zusatznutzen für die Patienten oder nicht. Karenzzeiten für
'Mondpreise' von Präparaten ohne Zusatznutzen müssen also entfallen."
Es ist außerdem sinnvoll, dass der zwischen dem GKV-Spitzenverband
und dem pharmazeutischen Unternehmer ausgehandelte Erstattungsbetrag
zumindest in Teilen geheim ist. Öffentliche Preise setzen den
Unternehmer aufgrund der besonderen Rolle des deutschen Marktes
(Referenzpreisland) zusätzlich unter Druck. Durch geheime
Preisnachlässe könnten die gesetzlichen Krankenkassen höhere Rabatte
aushandeln, weil die Industrie damit nicht mehr automatisch in vielen
anderen Märkten Abschläge hinnehmen müsste.
In einem Sonderkapitel befasst sich der Innovationsreport mit
Arzneimitteln gegen Krebs. Neben dem demografischen Wandel mit der
zunehmenden Patientenzahl, der längeren Behandlungsdauer und der
gestiegenen Zahl an Krebsmedikamenten, sind es vor allem die hohen
Preise, welche die Therapie zu einer finanziellen Herausforderung für
die gesetzlichen Krankenkassen machen. "Dabei steht der
Innovationsgrad und der tatsächliche medizinische Nutzen häufig nicht
in einem angemessenen Verhältnis zum Preis", meint Professor Dr.
Wolf-Dieter Ludwig, Vorstandsvorsitzender der Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft und Mitherausgeber des Innovationsreports.
Zudem weist das AMNOG auch hier gravierende Schwächen auf. Wenn das
Vergleichspräparat in der frühen Nutzenbewertung schon einen so hohen
Preis erzielt, wie es in der Krebsmedizin üblich ist, braucht das
neue Medikament keinen Zusatznutzen zur bestehenden Therapie. Dadurch
ist es auf mittelfristige Sicht nicht möglich, das System vor
Nachahmerpräparaten zu schützen.
Hintergrund für die Redaktionen
Die digitale Pressemappe mit dem vollständigen Report, den
gezeigten Charts, den Statements und der Pressemitteilung finden Sie
unter www.presse.tk.de (Webcode 747402).
Im Juli und August 2015 hatte das Marktforschungsunternehmen
DocCheck Research im Auftrag der TK eine Online-Befragung von n = 500
niedergelassenen Ärzten durchgeführt.
Pressekontakt:
Dennis Chytrek
Tel. 040 - 6909 3020
dennis.chytrek(at)tk.de
www.newsroom.tk.de
www.twitter.com/TK_Presse