(ots) - Konsens unter Fachleuten: Gesetz wird schaden statt
zu schützen / Hohe Belastung für Länder und Kommunen /
Organisationen legen Stellungnahmen vor
ProstituiertenSCHUTZ - der Titel des geplanten Gesetzes ist
irreführend. Denn der Entwurf, der sich zurzeit in Abstimmung
befindet, sieht eine Reihe von Pflichten für Prostituierte vor, mit
denen sie überwacht und kontrolliert werden sollen. Die
ursprünglichen Ziele des Gesetzes, nämlich die Rechte von
Prostituierten zu stärken, sie vor Gewalt, Zwang, Ausbeutung und vor
gesellschaftlicher Stigmatisierung zu schützen, werden von diesem
Entwurf weit verfehlt. Es drohen stattdessen neue Gefahren - bei
immensen Kosten für Länder und Kommunen. Dieses Gesetz wird schaden
statt zu schützen.
Die unterzeichnenden Organisationen lehnen den Gesetzentwurf daher
ab. Sie haben dem Bundesministerium für Familien, Frauen, Senioren
und Jugend nun ausführliche Stellungnahmen vorgelegt.
Prof. Dr. Maria Wersig, Deutscher Juristinnenbund e.V.,
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung,
Familienlastenausgleich, erklärt:
"Der Entwurf hat gravierende Mängel und verletzt in seinem
Kernelement - der Anmeldepflicht - wichtige Grundrechte
(Berufsfreiheit, Recht auf informationelle Selbstbestimmung) von
Frauen und Männern, die der Prostitution aus freier Entscheidung
nachgehen. Weil die Themen Menschenhandel/Zwangsprostitution und die
freiwillige Prostitutionsausübung vermischt werden, wird im Ergebnis
die Berufsausübung von Prostituierten unzulässig erschwert. Trotzdem
werden die geplanten Maßnahmen Menschenhandel nicht verhindern. Der
Entwurf wählt, um seine erklärten Ziele zu erreichen, die falschen
Mittel, denn er setzt einseitig und im Ergebnis unverhältnismäßig auf
die Kontrolle und Ãœberwachung von Prostituierten, besonders durch die
regelmäßige verpflichtende Anmeldung und Gesundheitsberatung."
Maria Loheide, Diakonie Deutschland - Evangelischer Bundesverband
e.V., Vorstand Sozialpolitik, erklärt:
"Oberstes Ziel des Gesetzes muss die Stärkung der Rechte von
Prostituierten sein. Nur so kann ausreichend Schutz gegen Ausbeutung
und Gewalt gewährleistet werden. Die Diakonie Deutschland erwartet,
dass auf die Regelung zur Anmeldepflicht verzichtet wird und
stattdessen die Rahmenbedingungen für die Unterstützung und Beratung
verbessert werden. Der Ausbau dieser Strukturen ist eine wichtige
Voraussetzung für Prostituierte und Betroffene von Menschenhandel, um
selbstbestimmt Alternativen für ihre Lebensgestaltung entwickeln zu
können."
Marianne Rademacher, Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe
erklärt:
"Die Erfahrungen aus 30 Jahren HIV-Prävention sind eindeutig:
Freiwillige Beratungen werden gerne angenommen. Kontrolle und
Repression führen dazu, dass viele Frauen illegal arbeiten, sodass
Hilfs- und Präventionsangebote sie nicht mehr erreichen. Die
Anmeldepflicht wird für Länder und die Kommunen mit erheblichem
organisatorischen und finanziellen Aufwand verbunden sein - teils
weit über die Grenzen der Belastbarkeit hinaus. Mit den dafür
erforderlichen Mitteln könnten stattdessen wirksame Angebote in einer
völlig neuen Dimension geschaffen werden. Es ist bemerkenswert: Hier
soll ein Gesetz gegen die einhellige Expertise aller Fachleute aus
Prävention und Beratung - einschließlich öffentlicher
Gesundheitsdienst - umgesetzt werden. Wir können davor nur
eindringlich warnen!"
Andrea Hitzke, Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission e.V.,
Beratungsstelle für Prostituierte, ehemalige Prostituierte und Opfer
von Menschenhandel erklärt:
"Aus Sicht der Beratungspraxis lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Sehr kritisch sehen wir die Anmeldepflicht mit den damit verknüpften
Anforderungen. Wir haben in Dortmund Sexarbeiterinnen den
Gesetzentwurf vorgestellt und ihre Meinung dazu erfragt. Sie
äußerten sich besonders zu der Anmeldepflicht sehr besorgt. Abgesehen
davon, dass Menschenhändler die Anmeldepflicht nutzen können,
betroffene Frauen in Abhängigkeit zu bringen, können insbesondere
die Anmeldebescheinigungen leicht missbraucht werden. Gerät diese in
falsche Hände, etwa durch Diebstahl, oder die Menschenhändler nehmen
sie direkt an sich, kann sie hervorragend genutzt werden, um die
Betroffenen zu erpressen und unter Druck zu setzen."
Monika Nürnberger, Einrichtungsleitung des Frauentreff Olga,
erklärt:
"Notwendig ist auch eine explizite Trennung der Themenkomplexe
"Sexarbeit" und "Menschenhandel und Zwangsprostitution". Diese ist im
aktuellen Gesetzesentwurf nicht oder nur minimal erfolgt. Das neue
Prostituiertenschutzgesetz muss als Adressat_innen primär die
selbstbestimmten, freiwillig und professionell arbeitenden
Sexarbeiter_innen haben, welche sich selbst nicht als Opfer sehen -
und keine Opfer sind. Die von Menschenhandel und Ausbeutung
betroffenen Menschen müssen unbedingt eine gesetzlich sinnvoll
untermauerte Unterstützung erhalten. Doch sind wir der Ansicht, dass
die entsprechenden juristischen Richtlinien nicht über das
Prostituiertenschutzgesetz festgelegt werden können, sondern
Straftaten darstellen und auch entsprechend verankert werden sollen."
Susanne Kahl-Passoth, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen
Frauenrates e.V. erklärt:
"In diesem Entwurf überwiegt ein Kontrollfuror. Prostituierte
sollen einer engen behördlichen Überwachung unterworfen werden. Das
läuft der bekundeten Absicht, ein praxistaugliches
ProstituiertenSCHUTZgesetz zu schaffen, diametral entgegen. Mehr als
bedenklich ist auch, dass die gesamten Pflichten zur Anmeldung,
Beratung und regelmäßigen Gesundheitskontrolle allein Prostituierten
obliegen, während die Kunden (abgesehen von der Kondompflicht) davon
unbehelligt bleiben."
Ausführliche Stellungnahmen sowie weitere Informationen:
http://ots.de/sIhRz
Deutsche AIDS-Hilfe: http://www.aidshilfe.de
Deutscher Frauenrat e.V.: https://www.frauenrat.de/
Deutscher Juristinnenbund e.V.: http://www.djb.de/
Diakonie Deutschland - Evangelischer Bundesverband e.V.:
http://www.diakonie.de/
Dortmunder Mitternachtsmission e.V.:
http://d1a.de/mitternachtsmission/
Frauentreff Olga:
http://www.drogennotdienst.org/angebote/Frauentreff-OIga/
Eine Stellungnahme des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des
Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie von zahlreichen
Gesundheitsämtern finden Sie hier: http://ots.de/0q92k
Pressekontakt:
Deutsche AIDS-Hilfe
Holger Wicht
Pressesprecher
Tel. (030) 69 00 87 - 16
holger.wicht(at)dah.aidshilfe.de
www.aidshilfe.de