(ots) - Der syrische Autor Yassin Al-Haj Saleh, der als
führender Intellektueller der Opposition in seinem Heimatland gilt,
hat die Vergabe des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises an den
syrischen Dichter Adonis durch die Stadt Osnabrück als Beleidigung
des Begriffs Aufklärung verurteilt. "Ich fürchte, dass dieser Begriff
eng mit einem europäischen Zentralismus verbunden ist, der sowohl
sich selbst gefällt als auch jenen, die sein Bild widerspiegeln",
schreibt Al-Haj Saleh in einem Beitrag für den "Kölner
Stadt-Anzeiger" (Dienstag). Wahrscheinlich komme der Preis eher den
Vorlieben der verleihenden Seite und ihrer Ideologie entgegen. Al-Haj
Saleh warf den Verantwortlichen Halsstarrigkeit und Unbelehrbarkeit
vor. Sie beharrten trotz der Kritik an Adonis undistanzierter Haltung
zum Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad darauf, dass
die Ehrung des Dichters seinem Eintreten für die Trennung von
Religion und Staat, die Gleichberechtigung der Frauen in der
arabischen Welt sowie für eine aufgeklärte arabische Gesellschaft"
gelte. "In Wirklichkeit ist der bekannte Dichter jedoch keineswegs
für ein besonderes Engagement im Kampf für Frauenrechte bekannt und
hat sich niemals persönlich in der Auseinandersetzung um die
Emanzipation hervorgetan." Auch habe Adonis niemals einem
freiheitlichen säkularen Denken nahegestanden, das gegen die
religiöse Herrschaft und für mehr Freiheit und Gerechtigkeit - für
religiöse wie für nichtreligiöse Menschen - kämpft, "denn der
Säkularismus des Dichters Adonis fürchtet sich vor der Masse, nicht
vor dem Regime des Tyrannen. Adonis wendet sich gegen eine Herrschaft
des Islam, weil sie islamisch ist, nicht weil es eine Herrschaft ist.
Aus diesem Grund war seine Stimme angesichts des Willkürregimes von
Assad und seinesgleichen kaum vernehmbar", so Al-Haj Saleh. Nach
viereinhalb Jahren des Mordens habe Adonis den Assad-Staat in keinem
einzigen Artikel verurteilt. "Über kein zerstörtes Haus hat er
geschrieben, kein Massaker, nicht über den Tod unter Folter, über
keine Verhafteten, Entführten, Verschwundenen, Vergewaltigten. Nicht
einmal über die Opfer des IS konnte er Eindeutiges schreiben, weil er
sich niemals über die Opfer der beiden Assad-Regimes geäußert hat."
Immer habe sich der 85-Jährige in größerer Nähe zum "säkularen"
Regime des Tyrannen befunden als zur Opposition. "Er greift nicht nur
die Islamisten unter den Oppositionellen an, sondern die gesamte
Opposition, säkulare Demokraten wie uns eingeschlossen." Yassin
Al-Haj Saleh, geboren 1961 in Rakka, saß von 1980 bis 1996 in
politischer Haft. 2013 musste er sein Land verlassen. Er lebt heute
in Istanbul. 2012 erhielt er den "Prinz-Claus-Award".
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