(ots) - Reporter ohne Grenzen ist empört über die
aggressiven Versuche des aserbaidschanischen Regimes, die Arbeit des
in Berlin ansässigen Senders Meydan TV zu verhindern. Mit
Verhaftungen und stundenlangen Verhören hat die aserbaidschanische
Polizei in den vergangenen Tagen versucht, einheimische Mitarbeiter
des Senders einzuschüchtern. Aufsehen erregte der Fall des
19-jährigen Meydan-TV-Reporters Schirin Abbasow, der am 16. September
zunächst spurlos verschwand und seither von der Polizei in Gewahrsam
gehalten wird.
"Meydan TV gehört zu den wenigen Quellen für unabhängige
Informationen aus Aserbaidschan und ist dem Regime vor den
Parlamentswahlen im November ganz offensichtlich ein Dorn im Auge",
sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Gerade weil Meydan TV im
Berliner Exil produziert wird, ist der Sender umso mehr auf mutige
Reporter in Aserbaidschan angewiesen, die ungeschminkt über die
Zustände in ihrem Land berichten. Die unverhohlenen Versuche,
Meydan-Reporter und ihre Familien einzuschüchtern, ziehen jedes
Bemühen Aserbaidschans um ein besseres Image auf internationaler
Ebene ins Lächerliche."
Der Programmdirektor von Meydan TV, Emin Milli, äußerte sich
gegenüber ROG kämpferisch: "Wir geben unsere unabhängige
Berichterstattung nicht auf. Wir werden unsere Arbeit fortsetzen, mit
neuen Formaten experimentieren und Bürgerjournalismus mit neuen
Projekten weiter voranbringen." Milli hatte den Sender 2013 in Berlin
gegründet. Meydan TV berichtet über Politik, Kultur und Gesellschaft
Aserbaidschans und wurde in kurzer Zeit populär. Der youtube-Kanal
des Senders wurde seit April 2013 rund 12 Millionen Mal aufgerufen
und hat fast 21.000 Abonnenten.
SYSTEMATISCHE FESTNAHMEN UND VERHÖRE
Nach Angriffen auf die Redaktion von Meydan TV in Berlin
(http://t1p.de/0awq) und Drohungen gegen Milli stehen inzwischen vor
allem einheimische Reporter, die aus Aserbaidschan für den Sender
berichten, unter Druck. Am 16. September verschwand der 19-jährige
Meydan-TV-Reporter Schirin Abbasow auf dem Weg zur Universität
spurlos. Erst am folgenden Tag erfuhr seine Familie, dass ihn die
berüchtigte Polizeieinheit zum Kampf gegen organisierte Kriminalität
(MIA) festhält. Der Journalist durfte keinen Kontakt zu seinem Anwalt
aufnehmen und wurde am 17. September wegen Widerstands gegen die
Staatsgewalt zu dreißig Tagen Gewahrsam verurteilt.
Abbasow ist einer von vier Meydan-TV-Mitarbeitern, gegen die die
aserbaidschanische Regierung nach den Europaspielen im Juni 2015 ein
Ausreiseverbot verhängte. Als bekannter Videoblogger hatte er das
Regime nicht nur für die millionenteure Sportveranstaltung
kritisiert, mit der die Regierung international ihr Image aufbessern
wollte. Er berichtete auch über die Schauprozesse gegen die
prominenten Menschenrechtler Leyla und Arif Yunus sowie über die
Verurteilung der bekannten Investigativjournalistin Khadija
Ismajilowa.
DRUCK AUF FAMILIEN MUTIGER JOURNALISTEN
Fünf weitere Mitarbeiter von Meydan TV verhörte die Polizei in den
vergangenen Tagen nach Berichten des Senders über Proteste in
Aserbaidschans viertgrößter Stadt Mingetschewir. Die Bevölkerung
hatte dort im Sommer den Rücktritt des lokalen Polizeichefs
gefordert, nachdem am 20. August ein Mann in Polizeigewahrsam ums
Leben gekommen war. Am 16. September hielt die Abteilung zum Kampf
gegen organisierte Kriminalität fünf Stunden lang die
Meydan-Mitarbeiterin Aytaj Achmadowa fest und fragte sie nicht nur
über die Demonstrationen in Mingetschewir aus, sondern vor allem über
die Tätigkeit von Meydan TV sowie über die Finanz- und
Managementstruktur des Senders.
Am 18. September durchsuchten Beamte die Wohnung von
Meydan-TV-Reporter Javid Abdullajew und nahmen Computer und Kameras
mit. Am selben Tag wurde der Fotograf Ahmed Muchtar festgenommen,
dessen Bruder mit Meydan-TV zusammenarbeitet. Sowohl Aytaj Achmadowa
als auch die bekannte Journalistin und Meydan-Redakteurin Gunel
Mowlud berichten von steigendem Druck auf ihre Familien. Mehrere
Personen hätten ihre Arbeitsstellen verloren, einigen wurde mit
Gefängnisstrafen gedroht (http://t1p.de/96i6).
Präsidentenberater Ali Hasanow erklärte am Montag (20. September),
durch die Verhaftungen habe der Staat die ordnungsgemäße Beachtung
der neuen Regeln für die Akkreditierung von Mitarbeitern
ausländischer Medien vom 18. März 2015 durchsetzen wollen
(http://t1p.de/xhji). Dem widerspricht, dass keiner der verhörten
Journalisten auf seine Akkreditierung angesprochen wurde.
BUNDESREGIERUNG LEHNT UNTERSTÃœTZUNG VON MEYDAN-TV AB
Für ein koordiniertes Vorgehen gegen Meydan-TV sprechen auch die
unverhohlenen Drohungen des aserbaidschanischen Sportministers gegen
den Gründer des Senders Emin Milli während der Europaspiele im Juni.
Der Staat werde ihm seine Schmutzkampagne gegen Aserbaidschan nicht
verzeihen, ließ Asad Rahimow Milli über Dritte mitteilen, man werde
ihn kriegen, in Deutschland oder auch anderswo (http://t1p.de/lgz1).
Wegen seiner kritischen Berichterstattung saß Milli bis November 2010
insgesamt 16 Monate in Aserbaidschan im Gefängnis und verließ das
Land wenig später.
Im Juli 2015 wurden 23 seiner Verwandten gezwungen, einen Brief an
den aserbaidschanischen Präsidenten Ilcham Alijew zu unterschreiben.
Darin distanzieren sie sich von der "anti-aserbaidschanischen
Haltung" Millis und erklären, sie hätten ihn aus ihrer Familie
ausgeschlossen.
Das Bundesaußenministerium sieht indes keinen Anlass, unabhängige
Medien für Aserbaidschan zu fördern. "Ihr Projekt entspricht nicht
der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung in Aserbaidschan",
beschied es Emin Milli auf dessen Bitte um Projektförderung
(http://t1p.de/dkz3).
Derzeit sind in Aserbaidschan mindestens acht Journalisten und
vier Blogger wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Am 9. August 2015 starb
der freie Journalist Rasim Alijew, nachdem in einen Hinterhalt
gelockt und zusammengeschlagen worden war. Auf der Rangliste der
Pressefreiheit belegt Aserbaidschan Platz 162 von 180 Staaten.
Weitere Informationen zur Situation von Journalisten in dem
südkaukasischen Land finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/aserbaidschan/.
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