(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die
gezielten Angriffe der Taliban auf mehrere Medienredaktionen in der
afghanischen Stadt Kundus. Bei ihrer Eroberung der Provinzhauptstadt
besetzten die Islamisten neben Regierungsgebäuden auch die Zentralen
mehrerer Medienhäuser. In den Räumen des unabhängigen Radio- und
Fernsehsenders Roschani legten sie Feuer und zerstörten einen großen
Teil der technischen Geräte (http://t1p.de/qkz7).
"Das Völkerrecht verpflichtet staatliche wie nichtstaatliche
Konfliktparteien zum Schutz von Journalisten. Die Taliban sollten
sich bewusst sein, dass gezielte Angriffe auf Journalisten und
Redaktionen Kriegsverbrechen sind", sagte ROG-Geschäftsführer
Christian Mihr. "Die Entwicklung in Kundus bestätigt leider die
Warnungen, dass die afghanischen Journalisten durch den Abzug der
Nato-geführten Truppen in erhöhte Gefahr geraten könnten."
Der am Dienstag angegriffende Sender Roschani sendet normalerweise
20 Stunden am Tag und hat einen Schwerpunkt auf Frauenthemen. Die
Gründerin Sadika Schersai sowie neun der zwölf Angestellten des
Senders sind Frauen. Insgesamt gibt es in der Provinz Kundus rund 100
Journalisten. Sie arbeiten unter anderem bei mindestens fünf Radio-
und drei Fernsehsendern sowie bei fünf Zeitungen, von denen zwei
täglich erscheinen.
Während des Taliban-Vormarschs waren die Regierungstruppen nach
Informationen von Reporter ohne Grenzen nicht in der Lage,
Journalisten und Redaktionen zu schützen. Nach Angaben des Leiters
des Afghanischen Verbands Unabhängiger Journalisten, Rahimullah
Samandar, mussten sämtliche Medienredaktionen in Kundus ihre Arbeit
einstellen. Einige Journalisten seien auf eigene Faust zum Flughafen
der Stadt geflohen, wohin sich die Regierungstruppen zurückgezogen
hatten. Von mehreren Journalisten gab es bis zum Dienstagabend kein
Lebenszeichen.
IN MEHREREN PROVINZEN IST KEINE UNABHÄNGIGE BERICHTERSTATTUNG MEHR
MÖGLICH
Seit dem Frühjahr haben die Taliban sowie neuerdings die
Dschihadistengruppe Islamischer Staat ihre Angriffe auf Zivilisten
deutlich ausgeweitet und dabei auch Medien und Journalisten offen
bedroht. In mehreren Provinzen im Nordosten des Landes - darunter
Badachschan, Nangarhar, Baghlan und Nuristan - ist praktisch keine
unabhängige Berichterstattung mehr möglich (http://t1p.de/xhl4).
Wegen der heftigen Kämpfe sowie der Bedrohung durch Islamisten haben
viele Journalisten dort ihre Arbeit völlig eingestellt. In Helmand im
Süden und Chost im Osten Afghanistans ist die Lage für
Medienschaffende schon länger äußerst schwierig.
So berichten Journalisten aus Dschalalabad, der Hauptstadt
Nangarhars, die staatlichen Sicherheitskräfte hätten ihnen gesagt,
dass sie nicht für ihre Sicherheit garantieren könnten. Besonders
gefährlich sei die Situation für Journalistinnen, die mitunter nicht
einmal ihre Häuser verlassen könnten. Mehrere Orte werden dort von
bewaffneten Gruppen kontrolliert, die als Verbündete des Islamischen
Staats gelten. Journalisten aus der Provinz Baghlan berichten, ihre
Arbeit werde unmittelbar durch die starke Präsenz der Taliban
beeinträchtigt. Die Islamisten hielten sie zu "neutraler"
Berichterstattung an, erwarteten aber tatsächlich, dass ihre Regeln
akzeptiert würden.
Unter anderem wegen der verschlechterten Sicherheitslage und
zunehmender Repressionen gegen die Medien haben vor zwei Wochen 23
Fotojournalisten gemeinsam das Land verlassen und sich auf den Weg
nach Europa gemacht (http://t1p.de/e363).
SEIT 2001 STARBEN MINDESTENS 33 JOURNALISTEN, DARUNTER VIER
DEUTSCHE
Zu einem Klima der Angst unter Journalisten tragen auch Warlords,
Politiker und Regierungstruppen bei. Besonders während
Militäraktionen sind sie vor allem daran interessiert, Journalisten
auf Distanz zu halten. So drohte ein Parlamentsabgeordneter aus der
Provinz Baghlan Ende Mai dem Leiter des örtlichen Fernsehsenders
Tanwir TV, Schir Mohammed Dschahesch, wegen eines Berichts über die
Versetzung eines Polizeioffiziers unverhohlen mit dem Tod.
Der im vergangenen Jahr gewählte Präsident Aschraf Ghani Ahmadsai
sowie der ***Leiter der Einheitsregierung, Abdullah Abdullah, habe
sich schriftlich zur Unterstützung von Journalisten und unabhängigen
Medien verpflichtet und zugesagt, sich für die Verfolgung von
Straftaten gegen Journalisten auszusprechen (http://t1p.de/m96o). So
sollten die Fälle aller in den vergangenen zehn Jahren ermordeten
Journalisten erneut untersucht werden. Ergebnisse dieser
Untersuchungen sind allerdings bislang nicht bekannt.
Seit dem Jahr 2001 wurden in Afghanistan mindestens 33
Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet, die meisten
von den Taliban. Für die meisten der Taten wurden die Täter niemals
zur Rechenschaft gezogen. 15 der Getöteten waren ausländische
Journalisten, darunter vier Deutsche.
Reporter ohne Grenzen unterstützt im Rahmen seiner Nothilfearbeit
derzeit sechs Journalisten aus und in Afghanistan. Auf der Rangliste
der Pressefreiheit steht das Land auf Platz 122 von 180 Staaten.
Weitere Informationen zur Lage der Journalisten in Afghanistan finden
Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/afghanistan/ sowie in einem
ausführlichen Länderbericht (http://t1p.de/aijx), den ROG vor der
Präsidentenwahl im April 2014 veröffentlichte.
Pressekontakt:
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Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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