(ots) - Reporter ohne Grenzen kritisiert die Angriffe auf
unabhängige Online-Medien wenige Tage vor der Präsidentenwahl in
Belarus am 11. Oktober. Die Seiten der unabhängigen
Nachrichtenagentur Belapan und der Online-Zeitung naviny.by waren
seit dem Wochenende für mehrere Tage nicht erreichbar. Im staatlich
kontrollierten Fernsehen dominiert Amtsträger Alexander Lukaschenko
die Berichte vor der Wahl. Gleichzeitig weigert er sich, an
TV-Duellen der Kandidaten teilzunehmen und degradiert sie so zu
bloßen Scheindebatten. Kritische Diskussionen finden vor allem im
Internet statt, das die Regierung jedoch immer stärker kontrolliert.
"Belapan und naviny gehören zu den wenigen Medien in Belarus, die
darüber berichten, wie es hinter der Fassade einer gut organisierten,
ruhig verlaufenden Wahl wirklich im Land aussieht", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. "Sie sind offiziell
registriert und nutzen wie vorgeschrieben einheimische Server. Die
staatliche Betelecom muss für den ordnungsgemäßen Betrieb der
Webseiten sorgen und die Urheber der Angriffe zur Verantwortung
ziehen."
Die Seiten der unabhängigen Nachrichtenagentur Belapan
(www.belapan.by) und der zu ihr gehörenden Internet-Zeitung naviny.by
waren am Wochenende wegen koordinierter Online-Angriffe
(DDoS-Attacken) stundenlang nicht erreichbar. Auch am Montag konnten
beide Seiten nur mit Unterbrechungen aufgerufen werden. Vor den
Angriffen hatte naviny.by über eine politisch-religiöse Veranstaltung
mit dem amtierenden Präsidenten Lukaschenko berichtet, zu der
Studierende zwangsweise geschickt wurden und hatte Interviews mit
einigen der Studierenden veröffentlicht (http://t1p.de/nrxh).
Der Belarussische Journalistenverband, eine Partnerorganisation
von ROG, verurteilte den Angriff als "weiteres Zeichen für die
systematische Kontrolle des Informationsflusses in Belarus mit dem
Ziel, die öffentliche Meinung zu manipulieren" (http://t1p.de/5nqq).
LUKASCHENKO DOMINIERT DIE SENDUNGEN VOR DER WAHL
Die Berichterstattung in den Wochen vor der Wahl illustrierte
diese Kontrolle erneut sehr deutlich. Zwar berichteten belarussische
Medien insgesamt etwas umfangreicher über die Wahl, die
Nachrichtensendung Panarama auf Belarus 1 TV etwa widmete dem Thema
sechs Prozent seiner Sendezeit gegenüber weniger als einem Prozent
2010 (http://t1p.de/nhvh). Die drei Gegenkandidaten von Alexander
Lukaschenko bekamen die Möglichkeit, auf Belarus 1 TV und im Ersten
Kanal des Nationalen Radios die Bevölkerung für jeweils eine halbe
Stunde direkt anzusprechen und ihre Programme in staatlichen
Zeitungen zu veröffentlichen. Auch kam es vor, dass staatliche Medien
in neutralem oder gar positivem Ton über die Gegenkandidaten
berichteten.
An der erdrückenden medialen Dominanz des amtierenden Präsidenten
änderte dies jedoch nichts. In der Nachrichtensendung Panarama zum
Beispiel ging es in mehr als 70 Prozent aller Wahlberichte um
Lukaschenko und die Zentrale Wahlkommission, während alle drei
Gegenkandidaten zusammen in nur elf Prozent der Berichte vorkamen
(http://t1p.de/nhvh).
Lukaschenkos Gegenkandidaten bekamen zwar die versprochene
Sendezeit in den staatlichen Kanälen zugeteilt, die Sender
platzierten ihre Auftritte jedoch weder prominent noch wurden die
Kandidaten in Programmvorschauen namentlich angekündigt. In der
Sendung Glavny Efir auf Belarus 1 TV lobte hingegen die Serie "21.
Jahrhundert" die vermeintlichen Erfolge und Errungenschaften der mehr
als zwanzigjährigen Herrschaft des Präsidenten in den höchsten Tönen.
WAHLBERICHTE OHNE JEDE SPANNUNG
Ausführlicher als über die Kandidaten und ihre Programme
berichteten belarussische Medien über die Vorbereitung und technische
Durchführung der Wahlen und über die Wahlbeobachtermissionen von OSZE
und GUS, deren Mitarbeiter die gute Organisation der Abstimmung
loben. Das nehme dem Thema jede Spannung, urteilt Ales Antsipenka,
der für den Belarussischen Journalistenverband die Berichterstattung
vor der Wahl beobachtet. Er vergleicht die Situation mit einem
Fußballspiel, "bei dem nur darüber berichtet wird, dass der
Schiedsrichter gut angezogen ist, die Spielregeln eingehalten werden
und das Spielfeld die richtige Größe hat. Über das Spiel selbst
erfährt man nichts."
Dass der Wahlberichterstattung jede Spannung fehlt, liegt auch
daran, dass Lukaschenko die Wähler in der dafür vorgesehenen
Sendezeit nie selbst anspricht. An den TV-Duellen der Kandidaten
nimmt er nicht teil und degradiert sie so zu Scheindebatten.
INTERNET IMMER STÄRKER ÜBERWACHT
Weil Radio und Fernsehen in Belarus nahezu vollständig unter
staatlicher Kontrolle stehen und nur noch sehr wenige Zeitungen
unabhängig berichten, finden kritische Diskussionen inzwischen vor
allem online statt. Die Regierung hat die Kontrolle des Internets
deshalb im Wahljahr noch einmal merklich verstärkt. Zum 1. Januar
2015 traten Änderungen am Mediengesetz in Kraft, die es dem
Informationsministerium erlauben, Internetseiten ohne
Gerichtsbeschluss sperren zu lassen. Waren zuvor nur Kriegspropaganda
und Aufrufe zu Gewalt oder Extremismus verboten, sind es jetzt
sämtliche Informationen, die "nationalen Interessen" zuwiderlaufen
(http://t1p.de/h3ge). Diese weit und willkürlich interpretierbaren
Formulierungen erlauben es, selbst ausländische Seiten zu sperren,
zumal es das erklärte Ziel der Gesetzänderung ist, die Bevölkerung
vor zerstörerischem Einfluss aus dem Ausland zu schützen
(http://t1p.de/vlf5).
Mitte Mai veröffentlichte der staatliche
Telekommunikationsanbieter Beltelecom eine Ausschreibung für Software
und Technologie, "um Nutzerdaten zu sammeln und zu archivieren und
Webseiten zu blockieren" (http://t1p.de/vlf5). Am 18. Juni wurde die
Seite des Online-Journals kyky.org gesperrt, nachdem sich Autoren
kritisch über die Feiern zum Siegestag geäußert hatten. Die Sperre
wurde erst sechs Tage später wieder aufgehoben, nachdem Mitglieder
der Redaktion beim Informationsministerium vorgesprochen und alle
beanstandeten Artikel von der Seite entfernt hatten
(http://t1p.de/fpxm).
Bereits seit 2010 müssen Internet-Cafés in Belarus die Identität
jedes Nutzers nachweisen und Verbindungsdaten ein Jahr lang
speichern. 2012 wurden die Gesetze noch einmal verschärft und
erschweren seither den Zugang zu ausländischen Seiten
(http://t1p.de/5o5p). Internetanbieter wurden verpflichtet,
Überwachungssoftware zu installieren. Zudem dürfen Webseiten nur noch
von einheimischen Servern aus betrieben werden.
NEUE REGISTRIERUNGSPFLICHT BEIM STAAT
Die Änderungen am Mediengesetz vom Januar 2015 sehen zudem vor,
dass sich sämtliche Unternehmen, die journalistische Information
weiterverbreiten, beim Staat registrieren lassen. Neben
Presse-Grossisten und Rundfunkanbietern gehören dazu auch die
Betreiber von Online-Medien und Blogs. Details zur Registrierung
regelt eine Resolution des Informationsministeriums vom 17. April
2015. Wer seit dem 1. Juli Informationen ohne Registrierung
weiterverbreitet, tut dies illegal. Wer registriert ist und zweimal
vom Informationsministerium verwarnt wird, dessen Unternehmen kann
geschlossen werden.
Der Belarussische Journalistenverband befürchtet, dass Grossisten,
die regimekritische Zeitungen verteilen, keine Registrierung
erhalten. Ende August hat sich die unabhängige Zeitung Nowy Tschas
erneut vergeblich darum bemüht, in das Angebot des staatlichen
Presse-Grossisten Belsajuzdruk aufgenommen zu werden, aus dem es seit
den Wahlen 2006 gestrichen ist. Vor ähnlichen Problemen stehen die
Regionalzeitungen Hazeta Slonimskaja und Intex-press
(http://t1p.de/eqgx).
GELDSTRAFEN FÃœR FREIE JOURNALISTEN
Mit besonderen Schwierigkeiten kämpfen in Belarus freie
Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten. Laut Gesetz
erhalten nur festangestellte Mitarbeiter ausländischer Medien eine
Lizenz für ihre Arbeit. Die Anträge freier Journalisten wurden in der
Vergangenheit meist abgelehnt. Viele von ihnen arbeiten deshalb ohne
Lizenz und wurden deshalb immer wieder zu Geldstrafen verurteilt.
Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2015 wurden 21 Journalisten,
die für ausländische Medien arbeiten, zu Strafen von insgesamt mehr
als 6.300 Euro verurteilt (http://t1p.de/fpxm).
Weitere Probleme bereitet freien wie festangestellten Journalisten
ein inoffizielles Verbot, Regierungsgebäude und andere staatliche
Einrichtungen von strategischer Bedeutung zu fotografieren. Am 26.
Februar wurde deshalb ein Fotograf der Zeitung Komsomolskaja Pravda
in Gewahrsam genommen, nachdem er die Akademie der Wissenschaften in
Minsk fotografiert hatte. Das Verbot geht angeblich zurück auf eine
interne amtliche Anweisung, deren Veröffentlichung die Behörden
jedoch verweigerten (http://t1p.de/pj3d).
Auf der Rangliste von Reporter ohne Grenzen steht Belarus auf
Platz 157 von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Situation von
Journalisten in Belarus finden Sie unter
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/belarus/.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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