(ots) -
- Chinas strukturelle Probleme gefährden die magische
BIP-Wachstumsschwelle von sieben Prozent
- Die Auswirkungen auf unser Wachstum sind signifikant
- Vier Szenarien: "Stagnation", "Wachstum auf Pump", "neue
Normalität" oder "neues Wachstum"
- Unternehmen müssen sich auf einen Umbruch einstellen
Chinas Wirtschaftsdaten sind zurzeit ernüchternd: Die Exporte, die
zwischen 2000 und 2013 noch mit jährlichen Wachstumsraten von 18,9
Prozent in die Höhe schnellten, legten 2014 nur noch magere 6,1
Prozent zu; in der ersten Jahreshälfte 2015 waren es sogar gerade mal
0,9 Prozent. Wichtige inländische Indikatoren wie das Volumen des
Schienenverkehrs (minus 10,1%) oder die Zahl der Neubauprojekte
(minus 15,8%) sacken ab. Damit ist auch die magische
Wachstumsschwelle von sieben Prozent für das Bruttoinlandsprodukt
(BIP) in Gefahr. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle Roland
Berger-Studie "Chinas Zukunft: Stagnation, "New Normal" oder neues
Wachstumsmodell?".
"China steht im Augenblick für alle Elemente, die wir mit
Ungewissheit verbinden: Die Entwicklungen dort sind vielschichtig und
nicht eindeutig interpretierbar, die Prognosen sind widersprüchlich",
sagt Studienautor Professor Dr. Burkhard Schwenker, Ex-CEO und
heutiger Chairman des Advisory Council von Roland Berger. "In unserer
Studie skizzieren wir deshalb mögliche Szenarien für Chinas Zukunft
und sorgen für Orientierung".
Chinas große Herausforderungen
Schwenker und seine Mitautoren haben eine Reihe von strukturellen
Problemen analysiert, die China dringend in den Griff bekommen muss:
Eines davon ist die stark gestiegene Ãœberschuldung von Staat,
Unternehmen und Privathaushalten. 2014 betrug sie 25 Billionen
US-Dollar. Das ist 25-mal so viel wie im Jahr 2000 und entspricht 282
Prozent des BIP - doppelt so viel wie noch vor acht Jahren. An
zweiter Stelle nennt die Studie die Überkapazitäten in der Industrie,
eine Folge von Ãœberinvestitionen. Noch vor zehn Jahren lasteten
chinesische Unternehmen ihre Fabriken zu 90 Prozent aus, heute sind
es nur noch 60 Prozent. Auch demografisch gesehen hat China einen
Wendepunkt erreicht: Die Ein-Kind-Politik, die als so genannte
"demografische Dividende" Chinas rasantes Wachstum der vergangenen
Jahrzehnte mit ermöglicht hat, kehrt sich allmählich ins Negative um:
Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter sinkt seit 2012 rapide.
Schätzungen zufolge wird die chinesische Erwerbsbevölkerung bis 2050
um 220 Millionen Menschen schrumpfen.
Magische Wachstumsschwelle von sieben Prozent ist in Gefahr
Seit 1978 ist das chinesische BIP pro Jahr inflationsbereinigt um
satte 9,85 Prozent pro Jahr gewachsen. Viele andere Regionen, auch
Europa, haben davon profitiert. Seit 2010 hat sich das chinesische
Wachstum jedoch deutlich verlangsamt; der IWF rechnet gegenwärtig
sogar mit einem Rückgang unter die Schwelle von sieben Prozent. Diese
markiert einen Kipppunkt: Der chinesische Premierminister Li Keqiang
hält sieben Prozent BIP-Wachstum für notwendig, um jährlich zehn
Millionen Jobs zu schaffen und die Arbeitslosenrate in den
Großstädten auf rund vier Prozent zu halten.
Für die Weltwirtschaft gilt ähnliches: "China ist für die
Volkswirtschaften weltweit von zentraler Bedeutung", sagt Roland
Berger-Experte Tobias Raffel. "Wenn der chinesische Wachstumsmotor
ins Stocken gerät, könnte sich der bisher positive Impuls auf die
anderen Länder sehr schnell ins Negative umkehren." Zwei Jahrzehnte
lang war China, dessen BIP fast dreimal so schnell wie die
Weltwirtschaft wuchs, für 40 Prozent des globalen
Wirtschaftswachstums verantwortlich. Allein die europäischen Exporte
nach China sind in den vergangenen fünf Jahren um 164 Milliarden Euro
gestiegen; China ist damit zum zweitwichtigsten Handelspartner
Europas aufgestiegen. Die Roland Berger-Experten gehen daher auch
davon aus, dass ein Rückgang des chinesischen Wachstums auf fünf
Prozent das Wachstum Deutschlands um 0,8 Prozentpunkte schwächen
würde. Angesichts der zentralen Stellung Deutschlands müssten andere
Länder Europas mit einem Dominoeffekt ähnlicher Größenordnung
rechnen.
Vier Szenarien für die Entwicklung bis 2020
Die Experten von Roland Berger entwerfen in ihrer Studie vier
mögliche Zukunftsszenarien. Sie setzen dabei auf den bisher bekannten
Details zu Chinas neuem Fünfjahresplan auf: Automatisierung,
Digitalisierung, neue Produktionsprozesse, E-Mobilität,
Ressourceneffizienz und moderne Dienstleistungen sollen die
ressourcenintensive Industrialisierung ablösen. Ausbildungskampagnen
sollen die Arbeitsproduktivität verbessern und das Pro-Kopf-Einkommen
bis 2020 auf 12.000 US-Dollar verdoppeln. Die chinesische Regierung
plant unter anderem, die Privatisierung vor allem im Banken-,
Energie- und Eisenbahnsektor voranzutreiben und das Unternehmertum
auf Klein- und Kleinstunternehmerebene zu fördern.
Im ersten Szenario werden die Reformen des neuen Fünfjahresplans
nicht vollständig umgesetzt und auch das globale Wachstum bleibt zu
schwach, um die chinesische Wirtschaft zu stützen. In diesem
"Stagnations"-Szenario müsste China an drei Fronten kämpfen:
Wirtschaftlich herrscht Flaute, die Ãœberschuldung steigt weiter und
die strukturellen Probleme bleiben ungelöst.
Das zweite Szenario beschreibt eine "Stabilität auf Pump", die dem
Land zwar ein anhaltendes Wachstum von über sieben Prozent bescheren
würde, nicht aber die strukturellen Probleme löst. Mittelfristig
hätte dieses Szenario denselben Effekt wie das erste.
Vielversprechender ist das dritte Szenario, das sich an Aussagen
des chinesischen Präsidenten Xi Jinping anlehnt, der angesichts
niedrigerer Wachstumsraten von einer "neuen Normalität" spricht.
Dieses Szenario setzt darauf, dass die Reformen des Fünfjahresplans
rechtzeitig und erfolgreich umgesetzt werden und China sich an
niedrigere Wachstumsraten gewöhnt. Das vierte und optimistischste
Szenario mit dem Titel "neues Wachstum" weckt die Aussicht auf eine
Rückkehr zu Wachstumsraten von über sieben Prozent. Dieses Szenario
beruht auf der Annahme eines schnellen globalen Wirtschaftswachstums
verbunden mit der Umsetzung der weitreichenden politischen Reformen
in China.
Vorbeugen ist besser als heilen
Welches der vier Szenarien sich bewahrheiten wird, lässt sich
nicht vorhersagen, alle Szenarien sind gleich wahrscheinlich. . Die
Experten von Roland Berger empfehlen der europäischen Politik und
Wirtschaft daher vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Dabei stehen
ihnen verschiedene Möglichkeiten offen. Zunächst können sie Chinas
Bemühungen um einen einfacheren Marktzugang für ausländische
Unternehmen unterstützen. "Eine Benachteiligung ausländischer
Marktakteure macht es China nicht gerade leichter, seine Wirtschaft
wieder auf Kurs zu bringen", meint Roland Berger-Chefökonom Klaus
Fuest. Zweitens ist es im Interesse Europas, ein Freihandelsabkommen
mit China auszuhandeln. Zwar gab es seit November 2013 einige
Fortschritte beim Investitionsschutzabkommen CAI, doch nach wie vor
sind die Bedingungen für Joint Ventures genauso ungeklärt wie die
Liste der Investitionen, von denen ausländische Firmen ausgeschlossen
sind.
Drittens sollte Europa andere Wachstumschancen erschließen. "Jedes
Prozent Wachstum, das wir woanders gewinnen, reduziert unsere
Abhängigkeit von einem ungewissen China", sagt Burkhard Schwenker.
Die Themen dafür sind bekannt: So könnte ein schneller Abschluss der
TTIP-Verhandlungen in Europa rund 120 Milliarden Euro an Synergie-
und Wohlfahrtsgewinnen freisetzen. Das allein würde viele der
negativen Bremseffekte eines schwachen chinesischen Wachstums
kompensieren. Außerdem sollte Europa die Vorteile des gemeinsamen
Binnenmarkts stärker nutzen und mehr in seine Infrastruktur
investieren.
Auch die europäischen Unternehmen sind gut beraten, sich ihre
Optionen offen zu halten, indem sie die Szenarien im Blick behalten
und entsprechend planen. "Da wir aktuell keines der Szenarien
ausschließen können, macht es Sinn, alle vier auf ihre
unternehmenspolitischen Auswirkungen zu analysieren", sagt Fuest.
Unternehmen sollten daher ihr China-Engagement auf mögliche
Auswirkungen der Szenarien überprüfen und intelligente Strategien für
den Umgang damit entwickeln.
Ein "Weiter so wie bisher" wird nach Ansicht von Burkhard
Schwenker jedenfalls nicht funktionieren: "Selbst wenn wir
optimistisch sind und davon ausgehen, dass Chinas neuer
Fünfjahresplan gelingt und unser "neues Wachstum"-Szenario wahr wird,
ändert das die Lage für europäische Unternehmen deutlich: Denn dann
werden sie in kurzer Zeit neue chinesische Konkurrenten haben und die
Zahl der chinesischen Weltmarktführer wird stark ansteigen."
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