(ots) - Anlässlich des Deutschlandbesuchs von Boliviens
Präsident Evo Morales am (morgigen) Mittwoch kritisiert Reporter ohne
Grenzen (ROG) den zunehmenden Druck auf kritische Medien in dem
südamerikanischen Land. Wichtige Fernsehsender und Zeitungen sind
dort von regierungsfreundlichen Geschäftsleuten übernommen und auf
Linie gebracht worden. Kritische Medien werden etwa durch
Anzeigenboykotte und Steuerprüfungen schikaniert. Mehrere
Journalisten verloren nach unbotmäßiger Berichterstattung ihre
Stellen oder ihre langjährigen Sendeplätze. Immer wieder kommt es in
Bolivien auch zu Drohungen und Gewalt gegen Journalisten.
"Bolivien engt schleichend, aber sehr wirksam die Spielräume für
unabhängigen Journalismus immer weiter ein", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Erschreckend ist, wie unverblümt
sich Präsident Morales mit dem zunehmenden Verstummen kritischer
Stimmen brüstet."
UNDURCHSICHTIGE BESITZERWECHSEL WICHTIGER MEDIEN
Während Kritiker den staatlichen Fernsehsender Bolivia TV
zunehmend als Sprachrohr des Präsidenten sehen (http://t1p.de/5vw1),
haben in den vergangenen Jahren unter anderem die Fernsehsender ATB,
PAT und Full TV die Besitzer gewechselt und befinden sich nun in der
Hand regierungsfreundlicher Unternehmer. Einem kontroversen Buch des
Journalisten Raúl Peñaranda zufolge wurde etwa der Verkauf von PAT im
Jahr 2012 von der Drohung mit Korruptionsermittlungen flankiert
(http://t1p.de/cd5q). Eine zentrale Rolle bei diesen Transaktionen
schreibt Peñaranda Vizepräsident Álvara García Linera zu
(http://t1p.de/5vw1).
La Razón, die größte Zeitung in der Hauptstadt La Paz, wurde schon
2008 an einen Morales-freundlichen Geschäftsmann verkauft - offenbar
ebenfalls nach einer Reihe von Betriebs- und Steuerprüfungen. Das
ehemals kritische Blatt stellt sich mittlerweile kaum noch gegen den
Kurs der Regierung (http://t1p.de/vpsh).
Die Staatsführung bestreitet zwar jede Einflussnahme auf die
Eigentümerwechsel, brüstet sich aber mit der immer größeren
Unterstützung durch die Medien: Bei seiner ersten Wahl 2005 seien
noch 80 bis 90 Prozent der Medien gegen ihn gewesen, sagte Morales
2013 in einem Zeitungsinterview; mittlerweile seien es nur noch zehn
oder 20 Prozent (http://t1p.de/dahm). Auf das Enthüllungsbuch
Peñarandas reagierte die Regierung mit einer Schmutzkampagne gegen
den Journalisten.
Vizepräsident García Linera drohte "politisierten" Medien
vergangenen August unverblümt mit dem Abzug staatlicher
Werbeaufträge. Dies gelte für Medien, die "lügen" und "Parteipolitik
betreiben" (http://t1p.de/kfqh). Rechtliche Grundlage dieser Drohung
ist ein Dekret von 2009, das die Behörden zur freihändigen Vergabe
ihrer Werbeetats ermächtigt. Auch auf lokaler Ebene kommt es vor,
dass Behörden als Reaktion auf unerwünschte Berichterstattung in
bestimmten Medien keine Werbung mehr schalten (http://t1p.de/zd52).
ZWEI KÜNDIGUNGEN KRITISCHER MODERATOREN AN EINEM TAG
In einer Studie aus dem vergangenen Jahr gab gut die Hälfte der
befragten Journalisten an, im Laufe ihres Berufslebens schon einmal
zensiert worden zu sein. 59 Prozent gestanden ein, Selbstzensur zu
üben. Zensiert werden der Untersuchung zufolge vor allem Themen, die
Konflikte mit der Regierung oder mit den Interessen von Werbekunden
betreffen oder die Gefahr von Klagen bergen (http://t1p.de/hlxa).
In den vergangenen Monaten lenkte eine Serie von Kündigungen und
Rücktritten bekannter Journalisten den Blick der Öffentlichkeit auf
den politischen Druck hinter den Kulissen. Ende Juli kündigte Amalia
Pando, die seit zehn Jahren eine beliebte Frühsendung auf Radio Erbol
moderiert hatte. Zur Begründung sagte sie einer Zeitung, die
Regierung habe dem Sender mit finanziellen Sanktionen gedroht. Am
selben Tag kündigte der Fersehsender Cadena A dem Moderator John
Arandia, der sich im Zusammenhang mit einer Protest- und Streikwelle
im Süden des Landes sehr regierungskritisch geäußert hatte
(http://t1p.de/kfqh).
Der Sender Red Uno TV stellte Ende Mai nach zwölf Jahren die
tägliche Sendung von Enrique Salazar ein und kündigte dessen Vertrag.
Zwei Tage zuvor hatte Salazar Kommunikationsministerin Marianela Paco
einem harten Interview unterzogen (http://t1p.de/q3fz).
SCHLEPPENDE ERMITTLUNGEN IN FÄLLEN VON MORD UND GEWALT
Auch Drohungen und Gewalt gegen Journalisten kommen in Bolivien
immer wieder vor. Polizei und Justiz reagieren darauf oft nur
schleppend und tragen so dazu bei, dass die Täter ungestraft
davonkommen.
Ein Beispiel sind die Todesdrohungen gegen zwei Journalisten des
Fernsehsenders ATB in der Stadt Cochabamba Ende März: Escarley
Pacheco fand einen mit Blut befleckten Brief mit einer Patronenhülse
im Briefkasten. José Miguel Manzaneda erhielt einen blutigen Brief
mit der Warnung: "Pass auf Dich auf, JM." Die beiden Reporter hatten
mehrere Polizeiskandale aufgedeckt, darunter eine mutmaßliche
Vergewaltigung durch sieben Polizisten sowie Bordell-Besuche von
Polizisten im Dienst (http://t1p.de/a9tv).
Präsident Morales forderte zwar umgehend eine Untersuchung der
Drohungen, doch die Ermittlungen traten wochenlang auf der Stelle,
während ATB und die Journalisten des Senders in den sozialen Medien
immer öfter bedroht und beleidigt wurden. Ein halbes Jahr zuvor hatte
schon der Polizeichef von Cochabamba Pacheco bedroht, als diese ihn
mit Fragen zu Gewaltvorwürfen seiner Ex-Frau konfronierte
(http://t1p.de/jtuf).
Keine wesentlichen Fortschritte haben bis heute die Ermittlungen
im Fall Cristian Osvaldo Mariscal Calvimontes gebracht. Der
Journalist des Senders Canal Plus TV Tarija ist seit Januar 2014
spurlos verschwunden. Ohne Ergebnis blieben auch die Ermittlungen zu
dem Doppelmord an den Geschwistern und Journalisten Verónica und
Victor Hugo Peñasco in El Alto im Februar 2012; vor knapp zwei Wochen
wurden drei der Tatverdächtigen offenbar mangels Beweisen aus der
Untersuchungshaft entlassen (http://t1p.de/5vw1). Nach wie vor
unaufgeklärt sind auch der Tod von Carlos Quispe beim Angriff einer
aufgebrachten Menschenmenge auf seinen Radiosender im März 2008 sowie
der Brandanschlag auf den Sender Radio Popular in Yacuiba im Oktober
2012.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Bolivien auf Platz 94
von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Situation der Journalisten
in dem südamerikanischen Land finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/bolivien/.
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