(ots) - Ihr kriegt uns nicht." Wir brauchen diese trotzige
Selbstvergewisserung, um uns vor dem monströsen Terror von Paris zu
schützen. Dazu passt der Wappenspruch der französischen Hauptstadt:
"Fluctuat nec mergitur - sie wankt, aber sie fällt nicht." Dieser
über 650 Jahre alte Leitspruch der alten Hansestadt - mit einem
Handelsschiff im Wappen - mag uns vor Augen führen, aus welcher
Geschichte Europa seine Kraft zieht. Und er mag uns vor Augen führen,
dass der islamistische Terror - trotz seiner abscheulichen
Einzigartigkeit - nicht die erste und nicht die letzte Bedrohung
unseres Friedens und unserer Freiheit ist.
Das erste, was wir den Opfern von Paris schuldig sind, ist Trauer.
Unser Zorn, unsere Wut, unsere Angst drohen diese Anteilnahme zu
überdecken. Wenn wir der Trauer keinen Gedanken mehr widmen, hätten
die Terroristen ihr erstes Ziel erreicht. "Wir weinen mit Ihnen", hat
die Bundeskanzlerin gesagt. Nehmen wir uns die Zeit dafür. Sie ist
mehr wert als jedes exhibitionistische Bekenntnis der Anteilnahme
über unsere Profilfotos in den Sozialen Medien. Aber natürlich
ersetzt die Einkehr nach einem solchen Schlag nicht Analyse und
Handeln. Dieser Freitag, der 13. reicht weit über Madrid und London
hinaus, er reicht auch über das Massaker gegen Charlie Hebdo und die
jüdische Community in Paris im Januar dieses Jahres hinaus. Es geht
nicht mehr allein um die asymmetrische Kriegsführung einer
Untergrundorganisation wie Al Kaida oder um die Racheakte
verblendeter Schläfer. Der sogenannte Islamische Staat, der sich im
Irak, in Syrien und in Libyen anschickt, jegliche staatliche Ordnung
in der arabischen Welt wegzureißen, dieser IS verlagert seinen Krieg
in das Kampfgebiet Europa - mit taktischer Raffinesse und
strategischem Kalkül. Nach dem Anschlag auf die Meinungsfreiheit sind
die Exekutionskommandos in den Pariser Restaurants und Cafés ein
Anschlag auf unsere Lebensart. Und die Selbstmordattentate am Stade
de France, die zum Glück nicht die beabsichtigte Massenpanik
ausgelöst haben, zielten in ihrer Symbolik wohl nicht nur auf
Frankreich, sondern auch auf Deutschland.
Die Kriegserklärung ist unübersehbar. Doch Hass und Zorn dürfen
nicht darüber entscheiden, wie wir diese Erklärung annehmen. Nach dem
11. September sind Unordnung und Unheil in der Welt verstärkt worden,
nicht nur durch die falsche Kriegserklärung gegen den Irak. Wir haben
in unserer westlichen Egozentrik übersehen, dass wir nicht allein die
Angegriffenen sind. Der Krieg der Dschihadisten richtet sich ebenso
gegen die überwältigende Mehrheit der Muslime. So wie wir übersehen
haben, dass unsere Weigerung, den Syrien-Flüchtlingen zu helfen,
diese millionenfach nach Europa hat aufbrechen lassen. Einen Tag vor
Paris hat der IS zwei Bomben in Beirut gezündet. Die 43 Toten und 240
Verletzten waren nicht nur dieser Zeitung nur wenige Zeile wert. Ja,
wir müssen unsere Werte verteidigen. Ignoranz aber gehört nicht dazu.
Ja, wir müssen den Krieg gegen den IS verstärken - vielleicht sogar
mit deutscher Beteiligung. Genauso unnachgiebig müssen wir an einer
Friedenslösung für Syrien arbeiten, müssen mit Russland sprechen und
gemeinsam mit den USA die sunnitischen Fundamentalisten in Riad an
die Kandare nehmen. Gewiss aber dürfen wir unsere Angst nicht gegen
die Flüchtlinge richten, die Schutz bei uns suchen - was
Sicherheitsverschärfungen und verlässliche Registrierung nicht
ausschließt. Wer den Kampf gegen den IS als einen Kampf gegen Muslime
führt, tritt selbst unsere Werte mit Füßen. Und er wird am Ende auch
keinen Frieden finden.
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Florian Giezewski
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