(ots) - Inklusion und die damit einhergehende Teilhabe
von Menschen mit Behinderung ist ein Prozess. Und ja, vor allem ein
Lernprozess. Für Menschen ohne Behinderung möglicherweise sogar in
stärkerem Maß als für Menschen mit Behinderung. Denn die eigene
Einstellung ist eine wichtige Voraussetzung, um Menschen mit
Behinderung auf Augenhöhe zu begegnen und sich ihnen gegenüber so zu
verhalten, dass sie sich respektiert fühlen. "Eine Umfrage unter
Menschen mit einer leichten geistigen Behinderung hat uns viele
Einsichten vermittelt. Zum Status quo der Inklusion und zu Aspekten,
die verbesserungswürdig sind.", fassen die Ergotherapeutinnen
Stephanie Blödgen und Beata Jakubiak vom DVE (Deutscher Verband der
Ergotherapeuten e.V.) Erkenntnisse aus ihrer Bachelorarbeit zusammen.
Im Sinne einer möglichst guten Förderung hat man viele Jahre
Menschen mit einer Behinderung, so auch Menschen mit einer geistigen
Behinderung, in speziellen Schulen, Einrichtungen, Arbeitsstätten und
Wohnheimen untergebracht. Und daher im täglichen Leben kaum
angetroffen. Seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention
2009 ändert sich das allmählich. Die äußeren Rahmenbedingungen werden
seither kontinuierlich weiter angepasst. Doch wie sieht es in der
Gesellschaft aus? Ist das Thema Inklusion angekommen? Und haben sich
seither vor allem diejenigen umgestellt, die in engem Kontakt mit
Menschen mit Behinderung sind? Haben sie ihren Umgang mit dem
Gegenüber verändert? "Im Rahmen unserer Bachelorarbeit sind wir der
Frage nachgegangen, was Menschen mit einer geistigen Behinderung
unter Teilhabe verstehen und ob das, was sie sich dazu wünschen,
bereits stattfindet.", erklärt die Ergotherapeutin Stephanie Blödgen.
Der Weg: eine persönliche Befragung. Die Zielgruppe: Menschen mit
Behinderung in Form einer leichten Intelligenzminderung oder
Lernbehinderung.
Können Menschen mit Behinderung das?
Schon im Vorfeld der Befragung erlebten sie die meisten Menschen
als skeptisch und bremsend. Denn manche vertraten die Meinung, es sei
sinnlos, man könne doch gar nicht richtig miteinander kommunizieren
und es gebe keine adäquaten Antworten. Auch wenn die
Tätigkeitsbereiche von Ergotherapeuten oft völlig unterschiedlich
sind, ist ihnen eines gemein: Ein zentraler Aspekt der Ergotherapie
ist, jedem Klienten auf Augenhöhe zu begegnen und mit ihm so zu
kommunizieren, dass er versteht, worum es geht. Ergotherapeuten
passen dazu ihre Verständigung an, nutzen gegebenenfalls die
sogenannte leichte Sprache oder Bilder. So können sie herausfinden,
was Klienten sich wünschen, welche Ziele sie erreichen wollen. "Es
ist nicht unser Recht, über andere Menschen hinweg zu bestimmen. Das
haben wir bei unserer täglichen Arbeit gelernt.", bestätigt Beata
Jakubiak, warum es für sie und ihre Kollegen selbstverständlich ist,
mit Menschen mit Behinderung so umzugehen, dass ihre persönlichen
Anliegen beachtet und sie sich geschätzt fühlen.
Typisch in der Ergotherapie: Einfach mal fragen!
Menschen mit einer (geistigen) Behinderung haben
selbstverständlich ebensolche Vorstellungen und Gefühle wie Menschen
ohne Behinderung und möchten nicht entmündigt werden, nur, weil es
dann vielleicht unkomplizierter und rascher geht. Wie schnell das im
Alltag dennoch passiert, zeigen die Antworten, die Beata Jakubiak und
Stephanie Blödgen erhalten haben. Die Verletzungen des
Selbstbestimmungsrechts von Menschen mit Behinderung durch die
Menschen in ihrem Umfeld beginnen beim ungefragt die Post öffnen,
gehen weiter mit Vorschriften bei der Freizeitgestaltung bis hin zu
Verboten bestimmter Nahrungsmittel. Von der Vielzahl von
Reglementierungen in Wohnheimen ganz zu schweigen. So ist oftmals
weniger die Behinderung der Grund für Einschränkungen, sondern die
genannten Verhaltensweisen ebenso wie weitere externe Faktoren.
Ergotherapeuten wünschen sich: mehr Selbstbestimmung zulassen
Ergotherapeuten arbeiten im Positiven, schauen sich an, über
welche Ressourcen und Fähigkeiten ihr Gegenüber verfügt. "Wir haben
immer wieder festgestellt, dass wir Ergotherapeuten Menschen mit
Behinderung mehr zutrauen als andere.", erklären Jakubiak und Blödgen
übereinstimmend. Und weiter: "Wir wissen, dass manchmal sehr viel
Geduld nötig ist, um mit Menschen mit geistiger Behinderung Abläufe
des täglichen Lebens zu üben. Beispielsweise den Weg vom Wohnheim zur
Arbeit in der Straßenbahn zurück zu legen. Oder alleine zum
Supermarkt zu gehen." Was sich für Menschen ohne Behinderung banal
anhört, ist für Menschen mit Behinderung jedoch ein Stück Freiheit,
Unabhängigkeit, Lebensqualität. Eben Teilhabe und sich im "normalen"
Leben autark bewegen. "Wir wünschen uns, dass sich möglichst viele
Menschen die Rückschlüsse, die sich aus dem beschriebenen Teilbereich
unserer Befragung ergeben, zu Herzen nehmen. Denn Inklusion
funktioniert am besten, wenn wir die Menschen mit Behinderung und
ihre Wünsche ernst nehmen und sie befähigen, ein möglichst
selbstbestimmtes Leben zu führen.", lautet das Fazit der beiden
Ergotherapeutinnen.
Informationsmaterial zur Ergotherapie erhalten Interessierte bei
den Ergotherapeuten vor Ort; diese sind über die Therapeutensuche im
Navigationspunkt "Service" des DVE (Deutscher Verband der
Ergotherapeuten e.V.) auf www.dve.info zu finden. Zur Kampagne der
Ergotherapie geht es hier entlang: www.volle-kraft-im-leben.de
Pressekontakt:
Angelika Reinecke, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des DVE e.V.
Telefon: 033203 - 80026, E-Mail: a.reinecke(at)dve.info